Seit Erfindung des Internets hat sich die Verbraucherbewertung zum Alptraum jedes Verkäufers entwickelt. Wer früher seinen Kunden übers Ohr haute, sah ihn zwar vielleicht nie wieder, dafür standen aber noch genügend andere ahnungslose Opfer Schlange. Heute dagegen setzt der übervorteilte Käufer gleich eine Weltöffentlichkeit darüber in Kenntnis, dass der vermeintliche Markenschuh schon nach einer Woche seine Sohle verloren hat. Nein, Verkaufen macht unter solchen Bedingungen nicht mehr wirklich Freude.
Vielleicht erklärt sich ja daraus jene seltsame Erfahrung, die ich zuletzt an einer Supermarkt-Backstube machen durfte. Es handelte sich dabei um eine Kundenbewertung – so weit, so bewährt. Das Neue an diesem Konzept: Der Kunde bewertet gar nicht. Vielmehr wird er selbst bewertet.
Spießrutenlauf am Tresen
„Schon wieder ein Schokoladencroissant?“, ruft die Fachverkäuferin: „Das hatten Sie doch gestern schon?“ Um dann mit missbilligendem Kopfschütteln das gewünschte Gebäck aus der Ablage hervorzukramen.
Etwa zweimal pro Woche komme ich nicht dazu, mein Frühstück einzunehmen. In diesem Fall gibt es drei Möglichkeiten. Die erste: Ich lasse es einfach ausfallen und hungere vor mich hin. Die zweite: Ich besorge mir unterwegs etwas, das mir auf keinen Fall schmeckt und stopfe es unter Qualen in mich hinein. Die dritte: Ich besorge mir einfach, worauf ich Lust habe. Es scheint absolut außergewöhnlich und unverschämt zu sein, aber ich bevorzuge tatsächlich Variante Nummer drei.

Jedenfalls folgt zuverlässig der Spießrutenlauf am Tresen. „Nein, sagen Sie nicht … Schokoladencroissant? Nein!“ Fassungsloser Blick zu den übrigen Kunden, die rechte Hand geht zur Stirn. „Er bestellt jedes Mal … wirklich: Je! Des! Mal! Ein Schokoladencroissant!“ Das Geschrei erschüttert den Markt, hinten am Pfandautomaten lässt jemand vor Schreck die Flasche fallen. „Glauben Sie mir das? Wie finden Sie das? Ja, ist es nicht vollkommen verrückt?“
Manchmal schaue ich erst vorsichtig, ob die böse Frau vom Kundenbewertungsportal wieder im Dienst ist. Kann ich sie nicht erblicken, wage ich es und stelle mich in die Reihe. Doch das kann auch schief gehen: Gerade, als ich drankomme, schießt sie wie ein Drache aus der Höhle hervor. „Wasdarfssein?“ Und dann: „Ach, Sie sind‘s? Aber nicht, dass Sie wieder …!“ Also bestelle ich ganz brav ein Milchbrötchen. Und esse es vor ihren Augen auf.
Seit einer Woche gehe ich jetzt doch lieber zu einem anderen Bäcker, auch wenn ich dafür einen Umweg nehmen muss. Inzwischen habe ich dort schon zweimal um ein Schokoladencroissant ersucht. Mit schweißnassen Händen, Zittern in der Stimme. Bislang fragte mich die Frau am Tresen nur irritiert, ob mir ganz wohl ist. Allerdings muss ich zugeben: Meine Nervosität steigt. Soll ich meine Bestellung auch noch ein drittes Mal in Folge riskieren? Oder kommt dann bereits die Rüge vom Bäckerkundenüberwachungsamt?
Für Verbraucher jedenfalls brechen spürbar härtere Zeiten an. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn noch mehr Dienstleister den Spieß umdrehen und ihren Kunden knallhart die Meinung geigen. Medien zum Beispiel. Sie als Leser sollten sich schon mal warm anziehen! Haben Sie etwa nicht erst vergangene Woche schon ein Gegenlicht gelesen?