Wer ist das? Weshalb wurde die Person fotografiert? Und wie kommt das Porträt auf die Plakatwand?
Diese Fragen mögen sich in den kommenden Tagen viele Passanten stellen, die im Konstanzer Stadtgebiet auf die überlebensgroßen Aufnahmen des Fotografen Florian Schwarz stoßen. Auf 15 Werbetafeln an unterschiedlichsten Plätzen, Straßen und Orten erscheinen Porträtfotos von Menschen, deren Arbeit während der Corona-Krise in sogenannten „systemrelevanten“ Berufen zur Versorgung mit existentiellen Gütern und Dienstleistungen beitrug. So begegnen uns Pflegekräfte, Ärzte, Notfall- und Rettungssanitäter sowie Supermarkt-Mitarbeiter.
Die Aufnahmen entstanden größtenteils während des Lockdowns im Frühjahr 2020. Schwarz zeigt die Personen immer am Ende ihrer Arbeitsschicht, meist im Pausenraum auf einem Stuhl sitzend. Vor neutralem Hintergrund und im natürlichen Seitenlicht sind die Dargestellten formatfüllend in Szene gesetzt. Ihre ernsten Gesichter, mal mit, mal ohne Blickkontakt zum Betrachter, erzählen von getaner Arbeit.
Ihr Arbeitsumfeld selbst bleibt ausgeblendet, lediglich ihre Kleidung erlaubt Rückschlüsse auf die berufliche Tätigkeit. Ebenso verzichtet Schwarz bewusst auf die Nennung von Namen oder Alter. Unsere ganze Aufmerksamkeit soll der Person, dem Menschen hinter dem Beruf, gelten.
Der Fokus auf Menschen in Ausnahmesituationen trägt die typische Handschrift des in Konstanz geborenen Fotografen, der sich mit mehreren Langzeit-Studien und Projekten in verschiedenen Ländern und Erdteilen einen Namen in der zeitgenössischen Fotografie gemacht hat. Stets entfaltet sich sein Schaffen zwischen scheinbar sachlicher Dokumentation und empfindsamer Beobachtung.
Während seine Arbeiten, häufig Porträts, jedoch meist in Ausstellungen und Büchern den Weg zum Betrachter finden, wählte Florian Schwarz diesmal das besondere Medium des Werbeplakates. Mit der temporären Installation, die knapp zwei Wochen dauern wird, trägt er sein ambitioniertes Fotoprojekt in den öffentlichen Raum und lässt die porträtierten Personen im urbanen Alltagsgeschehen unübersehbar in Erscheinung treten.
Die monumentalen Porträtaufnahmen versteht Schwarz als „visuelle Hommage an die Menschen, die während des Lockdowns den Laden am Laufen gehalten haben“. Seine Intention ist es, „die Wertigkeit von körperlicher Arbeit in Zeiten der Digitalisierung“ sichtbar zu machen. Es geht ihm um Respekt und Wertschätzung, Anteilnahme und Solidarität, denen gegenüber, die immer für uns da sind und trotz aller Widrigkeiten scheinbar selbstverständlich ihrer Arbeit nachgehen.
Vor allem in der Zeit des absoluten Lockdowns setzten sie ihre eigene Gesundheit aufs Spiel, um der Allgemeinheit ein „normales“ Weiterleben zu ermöglichen – dafür haben wir von Balkonen applaudiert, jetzt geraten diese Menschen wieder in Vergessenheit.
Wichtig war Schwarz die intensive persönliche Begegnung mit den Porträtierten. Die Aufnahmen entstanden während Gesprächen, beim Zuhören, gleichsam spontan, in denen er „immer eine große Nähe“ spürte. Diese sensible Dialogsituation wirkt unmittelbar auf den Betrachter zurück. Der Blick des Fotografen auf sein Gegenüber ist dabei gleichermaßen von Distanz und Einfühlung geprägt, changiert zwischen Berichterstattung und Empathie.
Die Auswahl der Personen geschah „ohne Casting“ durch persönliche Kontakte des Künstlers zu den jeweiligen Einrichtungen, die alle in Konstanz und Umgebung liegen. In den Kliniken, Supermärkten und beim Roten Kreuz stieß Schwarz mit seiner Projektidee auf eine „überwältigende Resonanz“, wie er berichtet.

Mit der ungewöhnlichen Plakataktion, möchte Schwarz Neugier und Irritation erzeugen und zum Nachdenken anregen. Es gilt, gesellschaftspolitische Fragestellungen aufzuwerfen und mit den Mitteln der Fotografie einen Diskurs anzustoßen über die Wahrnehmung und Wertigkeit von Arbeit in Zeiten einer massiven, weltweiten Krise. Durch das Medium des Plakates im Stadtraum begibt sich Schwarz bewusst in das Spannungsfeld von Fotografie, Kunst und Werbung, mit der Intention, die Wahrnehmung von Fotografie zu verändern.
Wesentlich ist für Schwarz zudem das Moment der unverhofften Konfrontation zwischen Betrachter und Porträtfoto abseits des etablierten Kulturbetriebes. Die Bilder kommen zu den Menschen in ihr alltägliches Lebensumfeld, zugleich treten die gezeigten Personen aus ihrer bisherigen Unsichtbarkeit heraus, werden quasi über Nacht stadtbekannt, bleiben aber doch anonym. Es ergeben sich nicht zuletzt neue, überraschende Berührungspunkte von Mensch zu Mensch.
Die Plakat-Aktion läuft von 18. bis 28. September. Die begleitende Broschüre, mit einem Plan aller Standorte, liegt in den Kultureinrichtungen zum Mitnehmen aus. Weitere Informationen: http://www.florian-schwarz.net