Dieser Mann hat den Handschlag eines jungen Metzgers. Das wundert niemanden, denn Bernhard Kitt übt einen handfesten Beruf aus. Mit seiner Frau Antonia betreibt er einen Obstbau am Rande von Überlingen. Als er zarte 18 Jahre alt war, übergab ihm sein Vater den Hof mit Gerät. Seitdem baut er selbst Äpfel an.
Wer ihn besucht, sieht außer einem Hühnergatter und vielen Apfelkisten noch etwas, das eigentlich nicht hierhergehört: eine kunstvoll gefügt Mauer, mehr als zweit Meter hoch, in deren Oberfläche zahlreiche Bilder eingearbeitet sind.
Mauer von Künstlerehepaar geschaffen
„Die Mauer ist viereinhalb Tonnen schwer“, berichtet Kitt mit jener Selbstverständlichkeit, als ob er über einen Boskop reden würde. Der Bau aus Ziegeln und keramischen Bruchstücken hat eine bewegte Vorgeschichte, die eines zeigt: Die Wege der Kultur sind manchmal sehr gewunden – mit dem Hang zum Umweg und Irrweg.
Schöpfer der Mauer ist das Künstlerpaar Klaus Schultze und Nika Haug. Beide haben daran gearbeitet, haben gerungen und ihre Ideen umgesetzt. Nika Haug arbeitet mit Elementen aus geschmolzenen Glasflaschen, die sie zur Blumenszene arrangierte. Und er steuerte den Grundplan sowie seine reiche Bildersprache bei. Nun steht das Gebilde zwischen Wohnhaus und Hühnerwiese. „Dieses Werk ist für mich wie ein Kind, für das man einen Platz finden muss“, bekennt Antonia Kitt.

Unpraktisches Teil auf einem Bauernhof
Spaziergänger kommen öfters vorbei und trauen ihren Augen nicht. So ein unpraktisch erscheinendes Teil in einem landwirtschaftlichen Betrieb? Viel erstaunlicher ist, dass sich das monumentale Teil sehr gut einfügt. Einmal in der Woche kommen Kinder aus einer Schule herauf zum „Lernort Bauernhof.“
Heute werden sie von ihrer Lehrerin Aurelia Moreau hochgeführt. Sie misten die Hühner aus und schauen sich im Frühjahr die Blüte der Obstbäume an. Wie selbstverständlich betrachten sie die Wand und befühlen das Material, sie staunen über die Risse und deuten mit den Fingern auf Details wie eine eingravierte Pistole oder ein stürzendes Flugzeug.
Man kann es als Anspielung auf den Absturz der Tupolew-Maschine im Jahr 2002 lesen. Das Wrack schlug nur wenige hunderte Meter entfernt vom Obsthof ein.
Die Stadt winkt ab
Doch so schön der Kunstbrocken neben dem Bauernhof auch ist: Eigentlich gehört er in einen größeren Rahmen. Zum Beispiel auf eine öffentliche Fläche gestellt wie einen Park. Die Stadt Überlingen gibt sich in diesem Punkt eher zurückhaltend.
„Im Hinblick auf die hohen Sicherheitsstandards im öffentlichen Raum und auf die damit verbundenen technischen Herausforderungen, auf die Kosten und Folgekosten können wir ein solches komplexes Vorhaben derzeit leider nicht in Angriff nehmen“, heißt es aus der städtischen Pressestelle auf eine Anfrage des SÜDKURIER. Überlingen, das sonst sehr ambitioniert Kulturarbeit leistet, scheint an der titanischen Mauer kein Interesse zu haben, obwohl sie sichtbaren Bezug zur Stadt hat.
„Der Prophet im eigenen Lande...“
Bernhard Kitt kann diese Argumente nicht recht nachvollziehen. „Das sind eher Ausreden“, sagt er im Gespräch und klopft gegen die Mauer. „Was soll da denn runterfallen? Das Ding ist viereinhalb Tonnen schwer.“ Natürlich parken sie das detailreiche Opus gerne zwischen Baum und Borke.
Doch zwischen Altstadt und Ufer wäre es besser ausgestellt, mehr Leute könnten es sehen und sich ihre Gedanken machen. Mit moderner Kunst sei man eben nicht interessiert, da ist sich das Ehepaar einig. Bernhard Kitt, um ein Sprichwort nie verlegen, bringt es auf den Punkt: „Der Prophet im eigenen Lande gilt eben nichts.“
Klaus Schultze selbst ist mit dem Standort Obsthof recht zufrieden. Wo sonst steht ein Kunstwerk mit Anselm-Kieferschen Ausmaßen in einer Bauernwiese? Das scheint es nur in Überlingen zu geben, das seine Vergangenheit so gerne pflegt.
Wenn die Stadt anfragen sollte, würden sie verkaufen. Über den Preis in fünfstelligem Bereich werden würde man sich dann schnell einig, sagt Nika Haug am Telefon.