Wenn es draußen ungemütlich wird, dann flüchten wir gern nach drinnen. Da sind wir sicher vor Gewalten, die wir nicht kontrollieren können und die uns Angst machen: Regen, Hagel, Sturm, Blitz und Donner. Das haben wir gelernt, als wir noch in Höhlen lebten. Und diese Schutzstrategie hat sich erhalten.
Ergebnis einer schnellen Google-Suche: „7 Tage Art of Living all inclusive Stille-Retreat mit Meditation, Breathwork und Yoga im Schwarzwald.“ Und: „Eine achtsame Auszeit vom stressigen Alltag: MBSR-Kompaktkurs am Bodensee.“ Auch: „Das innere Kind: Wege zur Selbstliebe.“ Oder: „Meditations-Retreat am Bodensee mit Meditation, Qigong und Yoga“.
Der Blick geht nach innen
Ist es Zufall, dass in Zeiten von Terror, Krieg, Krisen und zunehmender Unwägbarkeit des Lebens Angebote wie diese aus dem Boden sprießen? Wir wenden (zumindest, wenn wir es uns leisten können) vermehrt den Blick nach innen, auf die eigenen Gedanken- und Gefühlswelten, auf blockierende oder hilfreiche Muster in unserem Leben und Handeln.
Die Techniken dafür sind teils alt, teils neu: geistige Übungen wie Meditation, körperliche wie Yoga. Ach ja, MBSR bedeutet mindfulness-based stress reduction, Stress-Verminderung durch Achtsamkeit. Ein ganzer Wirtschaftszweig ist rund um diese Sehnsucht nach Besinnung und Innerlichkeit entstanden, von Retreats (Auszeiten) bis zu Life-Coachings und Yoga-Kursen.

Und das ist gut, eigentlich. Denn wer sich nach innen wendet, kann etwas über sich lernen. Das ist allerdings Arbeit, oft genug hart und unangenehm, vielleicht schmerzhaft, manchmal sogar traumatisch. Denn was sich da in uns verbirgt, ist oft aus guten Gründen verborgen und will nicht unbedingt ans Licht.
Die weichgezeichneten Fotos sonniger Landschaften und strahlender Menschen, die die bei Google entdeckten Angebote illustrieren, suggerieren etwas anderes: dass der Blick nach innen so eine Art Wellness sei. Gut für mich, leicht und mühelos, ein Spaziergang.
Alles soll reibungslos funktionieren
Und da wird es heikel. Denn sich in sich zu versenken, kann auch bedeuten, den Kopf in den Sand zu stecken oder in Nabelschau zu verharren. Als sei es das Ziel, eine möglichst ideale Insel zu werden, ausbalanciert und klinisch sauber optimiert und psychisch-emotional reibungslos funktionierend.
Nachdem wir unsere Körper mit Fitness und Foto-Filtern bei Instagram perfektioniert haben, sollen jetzt unsere Psyche und Seele folgen. Schau mal, wie achtsam-glücklich-strahlend-lächelnd-stark ich durch die Sonne schwebe!
Wirkliche Stärke entfalten wir aber erst, wenn wir von den Reisen nach innen etwas nach außen mitbringen und in unsere sozialen Beziehungen tragen. Wenn wir anders in Kontakt zu anderen Menschen gehen als zuvor: aufmerksamer, fokussierter, liebevoller.
Wenn wir Ruhe und Sicherheit geben können, weil wir sie in uns erarbeitet haben. Wenn aus gutem Gefühl auch gute Taten werden, wenn wir einen Unterschied machen in der Welt. Wenn wir nicht nur uns selbst optimieren, sondern auch unser Drumherum verbessern.
Und das wird immer konfliktreich sein, weil wir dabei selbstverständlich Menschen begegnen, die anders sind als wir. Aber nur daraus entsteht auch Neues, Ungedachtes, Unvorstellbares. Wenn ich immer in der Höhle hocke, begegne ich nur noch mir selbst.