Das Auge isst mit. Gerade in der Gegenwart, die Verpackung und ästhetisches Arrangement so wichtig nimmt wie das, was arrangiert wird, sind Aussehen und Präsentationsweise von Nahrungsmitteln von Bedeutung – für den Genuss und auch für die Kaufentscheidung.
Mehr als nur Nahrungsaufnahme
Demgemäß hat sich Foodstyling zu einem wichtigen Zweig der Werbeindustrie entwickelt. Selbst Fotoamateure verfügen über Apps, mit denen sich auf dem Smartphone Speisen kinderleicht ins rechte Licht setzen und für Instagram und Co. zubereiten lassen.
Dass in sozialen Netzwerken so leidenschaftlich Essbares geteilt wird, ist ein Beleg dafür, dass Essen als gesellschaftliches Distinktionsmittel weit mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme: Pierre Bourdieus kleine Unterschiede lassen grüßen. Identität und Individualität definieren sich heute so gut über das, was (und wie) man isst, wie über Mode oder den Musikgeschmack.
Die Ausstellung „Stil leben“ in Schloss Bonndorf lässt diese Zusammenhänge bereits im Titel anklingen. Zu den ausgestellten sieben Malern und Fotografen, mit deren Werke die Schau zum Thema Essen und Nahrungsmittel in Stillleben von Gegenwartskunst und -fotografie bestückt ist, gehört die Fotografin Tina Sturzenegger.

Meist sind ihre Aufnahmen vorzügliches Design – manchmal auch Kunst, wie die vier großformatigen Fotografien in Bonndorf. Gaumenschmeichler nehmen fast figürliche Züge an wie aufeinander getürmten Fishburger neben demolierten Coladosen und Mayo-Tuben. Oder sie mutieren zu Hochhausarchitektur wie die vor urbaner Kulisse im Grünen in den Himmel wachsenden Sandwich-Türme.
In Zeiten, in denen sich fast jeder täglich ein Rindersteak aus dem Supermarktkühlfach leisten könnte, muss es für den gehobenen Geschmack schon deshalb ein „Steak (Galloway)“ oder „Steak (Aubrac)“ sein. Dass Ralph Fleck in seiner 2020 entstandenen Serie in Öl mit rohem Fleisch als einzigem Motiv nach Rinderrassen unterscheidet, verweist auf diesen Sachverhalt.

Gern kredenzt Fleck dem Auge auch eine überdimensionale Kartoffel, groß wie zwei nebeneinander gelegte Nudelhölzer; oder einen Broccoli im Blow-up. Ein Schwarzwälder Schinken und ein schönes Stück Schwarzwälder Kirsch aus der Pinselküche des Freiburger Malers sind in Bonndorf, das mitten im Schwarzwald gelegen ist, wohl Pflicht.
Das Torten- ist ein Glanzstück Fleckscher Malkunst, die, aus der richtigen Distanz betrachtet, geradezu fotorealistisch wirkt. Ebenfalls im ersten Raum sind auf einem Tisch dreidimensionale Köstlichkeiten ausgelegt. Wer in Versuchung geriete und in sündig-süßer Absicht beispielsweise den Glassturz über der Erdbeer-Sahne höbe, würde freilich auf Granit beißen. Genauer: auf Bronze, denn Heiner Meyers verführerisches Törtchen ist Kunst – ein Fake also, bemaltes Metall wie die anderen aufgereihten Kalorienbomben.
Meyers Himbeerkuchen und Sacher- oder Herren-Sahne-Torte sowie etliche Petits fours: Ungenießbar für den Gaumen, sind sie ein Fest fürs Auge.
Fabian Häfeli wiederum erhebt Gemüse zum Kunstwerk. Fotografisch arrangiert er sie zu „Skulpturen auf weißem Cubus“ wie die durchschnittene Sellerie mit apart gegeneinander verschobenen Hälften. Mit einem Augenzwinkern gemalt sind die fotorealistischen Bilder Eun Hui Les. Ihre drei Paprikaschoten „im Weggla“ – auf Deutsch: Brötchen – beispielsweise spielen auf eine dreigeteilte Nürnberger Bratwurstspezialität an.
Foodporn vom Feinsten
András Pinczehelyis Ölbild „Daily Routine“ ist Foodporn der ursprünglichen Sorte: Politisch inkorrekt feiert das fotografische Genre Junkfood, kalorienreiche und ungesunde Nahrung. Im konkreten Fall ist es ein Burger, der sich sündhaft in drei Lagen neben Pommes mit Mayo auftürmt.

Fraglos bekömmlicher ist Pinczehelyis Pizza mit Shrimps – oder eine flugfähige „Pizza Vesuvio“. Im Plural verderben in „I maestri“ die Köche den Pizzateig.
Häfeli hat auch Obst und Gemüse zeitgemäß inszeniert, indem er sie in Würfel oder geometrisch-eckige Formen schnitt und großformatig ablichtete. Ist es bei aller Chicness der Inszenierung auch ein Hohngesang auf die EU-Normierungswut?
Bernhard J. Widmanns Gemüse und Obst, mit denen die Schau ausklingt, verstoßen aufs Ultimativste gegen jede Norm. Zwei miteinander verwachsene Karotten tanzen eng umschlungen Tango. Ein Apfel wirkt, als habe er einen anderen, kleineren im „Huckepack“. Und erst die Tomate! Ganz am Ende wird die Schau zum Alptraum für jeden EU-Bürokraten.
Bis 1. November auf Schloss Bonndorf. Öffnungszeiten: Do. und Fr. 14-19 Uhr, Sa. und So. 12-17 Uhr.