Als die Menschheit schon längst in Eisenbahnen durch die Landschaft raste, erste Flugzeuge zum Himmel stiegen, Telefonleitungen ganze Ozeane überbrückten: Da feierte ein Phänomen seine triumphale Rückkehr, das so gar nicht zu den rationalen Errungenschaften der Moderne passen wollte. Spuk!

Dass es „mehr Dinge zwischen Himmel und Erde“ geben mag, als unsere „Schulweisheit sich träumen lässt“, hatte schon Hamlet am eigenen Leib bitter lernen müssen. In Shakespeares Dramen steigen Tote mit einer Selbstverständlichkeit aus ihren Gräbern, als hätten sie nur darauf gewartet, dass der Wecker klingelt. Hexen sagen mal eben die Zukunft voraus, Elfen verabreichen magische Säfte, so richtig zu wundern scheint sich darüber niemand.

Doch zum einen ist völlig unklar, inwieweit Shakespeare tatsächlich an solche Wesen glaubte oder sich einfach nur eines dramaturgischen Kniffs bediente. Zum anderen war er zu Beginn der Moderne schon 300 Jahre tot. Seither hatte Kant den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ausgerufen.

Mediziner wie Robert Koch fanden heraus, dass nicht etwa böse Geister Tuberkulose verursachten, sondern schnöde Bakterien. Und die aufgefundenen Drachenskelette entpuppten sich als Überreste längst ausgestorbener Riesenechsen. Wo sollte bei so viel rationaler Erkenntnis noch Raum für Hokuspokus bleiben?

Und doch traf man sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu Séancen. Hausfrauen ergründeten mit Pendeln das Schicksal ihres im Krieg verschollenen Ehemanns. Hellseherinnen lasen im Kaffeesatz. Vor allem aber waltete täglich die Furcht.

Hat es auf dem Dachboden nicht gerade seltsam gepoltert? Was flackert die Lampe so merkwürdig? „Vom Schlüsselbund der Frau Schrey lösten sich auf rätselhafte Weise die Schlüssel und flogen durch den Raum“, heißt es in einem Bericht aus den 50er-Jahren. „Frau H. berichtet, wie sie im Schlaf die Empfindung hatte, an der Kehle gepackt zu werden. Als sie erwachte, waren ihre Matratzen unter ihrem Körper in Stücke geschnitten worden.“ – „Im Spukhaus Lauter begann die geschlossene Schreibmaschine plötzlich von selbst zu schreiben.“

„Fürchterliches Getöse im Gang“

Der diese Fälle fotografisch dokumentierte, hieß Leif Geiges und war Mitarbeiter des in Freiburg ansässigen „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“. Gegründet hatte es der Psychologe und Parapsychologe Hans Bender (1907-1991), der sogar zum Ordinarius berufen wurde.

Die Professur für „Grenzgebiete der Psychologie“ existierte an der Freiburger Universität noch bis 1998. Der Professor und sein Fotograf sind in ganz Deutschland unterwegs gewesen, ließen sich von verstörten Hausbesitzern ungeheuerliche Geschichten erzählen und rückten den vermeintlichen Geistern mit High-Tech zu Leibe.

„Feine Drähte wurden in Vorhänge, Kleider, Möbel eingebaut“, notierte Geiges: „Die leiseste Berührung eines dieser Drähte genügte, um ein ganzes System von Nitraphot-Lampen aufleuchten zu lassen. Eine Filmkamera wurde gleichzeitig dadurch in Funktion gesetzt. Mit diesem komplizierten Mechanismus hoffte man, nun den Geist, sei es nun tatsächlich einer oder eine Person, die ihn darzustellen versuchte, zu filmen und zu fotografieren.“

Im Katalog (Michael Imhof Verlag) zur Ausstellung mit Fotografien des Leif Geiges 2021 in den Städtischen Museen Freiburg sind die komplexen Aufbauten dokumentiert – und mit ihnen auch die bangen Gesichter von Hausbewohnern, die sich von der Wissenschaft eine Erklärung erhofften.

Etwa dafür, dass eine Frau S. „nach einem fürchterlichen Getöse im Gang“ ebendort den doch zuvor aufgerollt abgestellten Teppich zu einer Schlange gedreht vorfand. „Niemand befand sich außer ihr im Haus.“

Der Spuk-Professor als Superstar

Die ganze Republik interessierte sich damals für solche mysteriösen Ereignisse. Bender präsentierte seine Forschungsergebnisse in Rundfunk und Fernsehen, die Bild-Zeitung veröffentlichte gleich eine ganze Interview-Serie. Der Spuk-Professor als Superstar.

Heute existiert das von ihm gegründete Institut zwar immer noch, sein Ruf aber ist verblasst. „Der Status der parapsychologischen Forschung ist in der wissenschaftlichen Gemeinschaft umstritten“, heißt es auf der Homepage der Einrichtung: Wer im akademischen Milieu auf Geisterjagd geht, erntet nicht mehr Ruhm und Ehre – vielmehr riskiert er seinen guten Ruf.

Die Frage ist, warum das so lange so anders war. Warum gleichzeitig zur Elektrifizierung von Innenstädten, der Nutzung von Kernkraft und der ersten Mondlandung ein erheblicher Anteil der Bevölkerung sich vor dem Glockenschlag zur Mitternacht fürchtete.

Eine Erklärung dafür liegt im 19. Jahrhundert. Dass die Aufklärung dem mittelalterlichen Geisterglauben so radikal den Garaus gemacht hatte, lag nicht erst den Dichtern und Künstlern der Romantik schwer im Magen. Schon Goethe ließ in seiner Faust-Dichtung die „schwankenden Gestalten“ des spätmittelalterlichen Theaters wieder auferstehen: Harlekin und Teufel, aber eben auch die Hexen auf dem Blocksberg und sogar einen Geisterchor.

Und selbst Schiller, dessen Dramen wie „Kabale und Liebe“ oder „Wilhelm Tell“ sich allesamt strikt auf dem Boden der Tatsachen abspielen, ließ sich zu einem Prosastück namens „Der Geisterseher“ hinreißen. Es wirkte die Einsicht, dass trotz aller Vernunft und faustischer Strebsamkeit der Mensch wohl doch nie erkennen wird, was die Welt im Innersten zusammenhält: Weil es zwischen Himmel und Erde eben wohl tatsächlich noch etwas anderes geben muss als die menschliche Ratio, Shakespeares Hamlet hatte es ja schon geahnt.

Schranken zwischen Mensch und Technik fallen

Paradoxerweise diente der technische Fortschritt dafür jedoch nicht etwa als Gegenbeweis. Vielmehr erwies er sich sogar als Treibstoff für den wieder erwachenden Geisterglauben. Erfindungen wie eine mechanische Ente, aus Metallteilen und Zahnrädern zusammengeschraubt von einem Ingenieur namens Jacques Vaucanson, ließen die Menschen an ihrem Verstand zweifeln.

Sah dieses Ding nicht einer echten Ente aus Fleisch und Blut zum Verwechseln ähnlich? Sogar fressen und Kot ausscheiden konnte das Vieh! In Erzählungen wie E.T.A Hoffmanns „Der Sandmann“ fielen bald die letzten Schranken zwischen Mensch und Technik: Männer verliebten sich in Frauen, die sich zu ihrem Entsetzen bald als seelenlose Automaten entpuppten, findige Wissenschaftler erschufen künstliche Monsterwesen.

Mit dem Aufkommen des Films wurden diese Horrorszenarien sogar vollends real, schienen die Frankensteins und Golems dieser Welt doch nun leibhaftig auferstanden. Verwundert es, wenn eine solcherart kulturell beeinflusste Gesellschaft bald in jedem Menschen eine Maschine und in jedem Staubsauger einen Geist zu erblicken glaubt?

Die Wirtschaft machte sich den Nachhall der Romantik zunutze. Werbesprüche (“Reinigt wie von Geisterhand!“) spielten mit den Hoffnungen und Ängsten der Kunden gleichermaßen. Derweil sprang auch die Wissenschaft auf den in voller Fahrt dahinbrausenden Geisterzug auf.

Der Arzt und Psychotherapeut Albert von Schrenck-Notzing (1862-1929) veranstaltete an der Universität München Tests mit angeblichen Medien. Angeblich soll ihnen die okkulte Energie dabei sogar in Form eines schaumigen Stoffes aus den Körperöffnungen gequollen sein.

„Wie könnte Fotografie betrügen?“

Die Schriftstellerin Ulla Lenze beschreibt einen möglichen Ablauf in ihrem Roman „Das Wohlbefinden“ (2024): „Juliette führte Eva herein, die ein schwarzes Ganzkörperkostüm trug. Auf ein Zeichen hin erscholl leise Operettenmusik vom Grammophon. Schrenck-Notzing übernahm nun, platzierte sich vor Eva und redete auf sie ein.

Eva begann den Oberkörper plötzlich hin- und herzuwiegen, schließlich meldete Schrenck-Notzing: ‚Trance!‘ Er führte Eva ins Kabinett, der Vorhang wurde vor ihr zugezogen. Man hörte sie drinnen seufzen und stöhnen. [...] Als der Vorhang plötzlich aufgerissen wurde, war Eva nackt. Das Trikot lag heruntergepellt am Boden. [...] ‚Oh!‘, rief jemand. ‚Ich kann es sehen!‘, ‚pssss!‘; und im selben Moment flackerte das Magnesiumlicht auf. [...] ‚Oh!‘, raunte es im Publikum: ‚Das Teleplasma!‘ Tatsächlich hing etwas Längliches, Helles aus Evas Mund.“

Auch eine Erklärung für diese unglaublichen Phänomene findet sich in Lenzes Roman. Als die zweifelnde Protagonistin Johanna mit Blick auf den spektakulären Schnappschuss einer Geistererscheinung „Das muss Betrug sein“ murmelt, weist der zuständige Arzt sie zurecht: „Wie könnte Fotografie betrügen?“ Menschliche Augen, ja, die könnten sich täuschen lassen. „Aber nicht eine technische Apparatur. Völlig ausgeschlossen!“