Frau Gnädig, Sie sind in der Serie „Tschappel“ zu sehen. Hatten Sie das Wort vorher jemals gehört?
Nein, im Bayerischen gibt‘s das als Tschapperl, in Österreich wohl auch. Aber im Schwäbischen muss das mal jemand nach einer langen Party-Nacht gesagt haben: „Du bist so ein richtiger Tschappel!“ Und dann war es da, das Wort, und seitdem tun wir alle so, als sei das selbstverständlich. (lacht)
Ein Tschappel ist – ganz liebevoll gemeint – jemand, der naiv, tollpatschig und leichtfertig durchs Leben geht. So wie Carlo aus Hintervorderbach in Oberschwaben, die Hauptfigur der Serie. Sie sind in Oggenhausen auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Fühlen Sie sich mit Carlo verbunden?
Als ich die Bücher bekommen habe, war das nicht nur das erste Mal, dass ich schwäbische Drehbücher gelesen habe – sondern ich habe auch gedacht: Das ist ja meine Kindheit! Bei der Leseprobe sagten die Kollegen: Das ist ihre Kindheit. Und als wir die Serie beim Max Ophüls Preis gezeigt haben, haben die Zuschauer alle gesagt, egal in welchem Alter: Ne, das ist meine Kindheit. Was in „Tschappel“ erzählt wird, scheint also eine kollektive Kindheit zu sein, mit der sich selbst Städter identifizieren können.
Aber jemand wie ich, die auf dem Land großgeworden ist, die auch Kühe melken kann und ein raues Älblerisch gelernt hat, dass man jenseits des Albtraufs kaum mehr versteht – ich konnte mein Glück natürlich kaum fassen über diese Bücher. Der Autor und Produzent der Serie, Marius Beck, der aus Zußdorf kommt, wo wir gedreht haben, und ich – wir haben uns heiße Gefechte geliefert, welches denn jetzt das eigentliche Schwäbisch ist. (lacht) Das ist manchmal ja schon von Dorf zu Dorf ganz unterschiedlich, ob nicht beispielsweise ned, ed oder it gesprochen wird. Ein Segen!
Was ist denn Ihre schönste Erinnerung an Ihre Kindheit auf dem Land?
Ich hatte nach jedem Sommer Hornhaut an den Füßen. So, dass ich über Stoppelfelder rennen konnte. Da wusste man, der Sommer war lang. Und ich finde, das beschreibt meine Kindheit ziemlich gut. Barfuß übers Hühnerfeld zur alten Eiche bis durch den Wald zum Seerosenteich – das war unser Auslaufgebiet, umgeben von Tieren. Schon Ulm war für uns so weit weg, dass wir da vielleicht zwei-, dreimal im Jahr waren.
Wie vertraut waren Sie vor dem Dreh mit Oberschwaben?
Tatsächlich ist meine Mama in Ravensburg aufgewachsen, das heißt, ich konnte das Schönste aus drei Welten miteinander verbinden: meine Kindheit, die Kindheit meiner Mama und die Kindheit von Carlo, die wir in „Tschappel“ erzählen – und das alles 18 Kilometer vom Bodensee entfernt, in dem jede und jeder Süddeutsche schon gebadet hat.
Waren Sie als Kind oft am Bodensee?
Nein, denn von Oggenhausen aus fährt man da nicht mal eben hin. Heute weiß ich: Oberschwaben ist schon eine besonders bezaubernde Ecke. Wir hatten das Glück, in Ravensburg zu wohnen und in Zußdorf zu drehen, das ist eine Anfahrt von 25 Minuten. Damals hingen überall auf den Obstplantagen schon die Äpfel an den Bäumen. Und dann fährt man bei Sonnenaufgang von Dorf zu Dorf, an diesen roten reifen Früchten vorbei, den satten Wiesen. Und im Hintergrund leuchten die Alpen … Ich habe Fotos davon gemacht, weil ich gedacht habe: Diesen Arbeitsweg glaubt mir keiner, so schön ist das.
Waren Sie auch während des Drehs mal am Bodensee?
Natürlich! Ich war auf dem Wasser, ich war im Wasser, unter Wasser. Es war ein richtig heißer Sommer – für die Folge, in der eine Güllegrube zum Pool wird, waren wir alle ausgiebig dankbar. Überhaupt wurden die Seen der Umgebung am Wochenende zu unserem Naherholungsgebiet.

In der ersten Folge ist die von Ihnen gespielte Tante Gabi in einem leichten Kleid unterwegs – während des Drehs hat es in Strömen geregnet. Wie schlimm war das für Sie?
Wir hatten die ganze Zeit Hochsommer, nur nicht in der Nacht, da hat es durchgeregnet. Irgendwann haben da auch die Jacken, das Zelt und die Wärmflaschen nichts mehr gebracht. Bei uns beiden Frauen im Kleidchen hat sich der Stoff zumindest nicht so mit Wasser vollgesaugt hat, da mussten die Jungs tapferer sein. Aber einmal nass, die ganze Nacht lang nass, klar.
Wie lange waren Sie eigentlich in Oberschwaben?
Sechs Wochen am Stück. Ich hatte natürlich zwischendurch freie Tage, aber die Zeit hätte nicht gereicht, um nach Berlin – und zurück – zu fahren. Ich war wahnsinnig gerne vor Ort – ich meine: Sommer am See … Der Dreh war wirklich ein Geschenk, der Ort, die Menschen, die Geschichten. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und haben uns dadurch gut kennengelernt. Ich habe das junge Ensemble als sehr außergewöhnlich empfunden: sehr feinfühlig, humorvoll, warmherzig und talentiert. Das berührt mich immer noch.
Sie leben ja schon lange in Berlin. Saß der schwäbische Dialekt noch oder mussten Sie üben?
Ich bin ja gebürtige Bayerin, wurde in Nürnberg geboren und bin dann am Pilsensee aufgewachsen. Als ich auf die Schwäbische Alb kam, verstand ich die anderen Kinder oft nicht, das hat in kürzester Zeit für sehr viele Un- und Missverständnisse gesorgt hat. Also haben meine Schwester und ich binnen kürzester Zeit Älbler Schwäbisch gelernt. (lacht) Natürlich haben sich die Mitschüler anfangs über meine Aussprache kaputtgelacht – wie Kinder halt so sind. Weil mein Patentante Stuttgarter Schwäbin ist und ich bei der „Soko Stuttgart“ war, hat sich die Palette irgendwann noch um Honoratioren-Schwäbisch ergänzt.

Konnten Ihre Kollegen auch alle Schwäbisch?
Wir waren eine bunte Mischung. Jeremias Meyer, der die Hauptfigur Carlo spielt, hat es sich über drei Monate hinweg angeeignet. Bitte mal kurz dafür innehalten: Und wie gut! Sebastian Doppelbauer, sein Kumpel Blabla, kommt aus Vorarlberg, ist ein Genie in Dialekten, da kann man mit der Stecknadel die Landkarte abfahren, alle 30 Kilometer anhalten – zack. David Ali Rashed, als Aydin der Dritte im Bunde, spielt einen Hamburger, der ganz bewusst Schwäbisches einstreut als Neigschmeckter. Und meine Freundin Bärbel Stolz, die Carlos Mutter spielt, spricht das charmante Schwäbisch vom Blautopf. Wir wohnen in Berlin Tür an Tür. So ein Geschenk, dass wir ausgerechnet diese Serie zusammen drehen!
Harald Schmidt hat in der Serie einen Kurzauftritt als Arzt. Kannten Sie ihn vorher persönlich?
Von wegen aller guten Dinge sind drei: Harald Schmidt kenne ich seit der „Soko Stuttgart“, er war in einer der ersten Folgen dabei – als Mörder, na klar. (lacht) Und wir waren mal zusammen auf dem „Traumschiff“. Aber so lustig wie bei „Tschappel“ hatten wir es noch nie.
Und wie war es mit Cossu?
Ihn habe ich erst durch die Dreharbeiten kennengelernt. Wir spielen ein Liebespaar – obwohl, so richtig weiß man das nicht. Bevor wir in die Szene eingestiegen sind, hatten wir tatsächlich die Mittagspause über Zeit, um, unter einem Apfelbaum sitzend, kurz miteinander zu sprechen. Wir mochten uns auf Anhieb. So eine aufrichtige, auch sehr tiefgründige Begegnung. Beim Dreh hatten wir dann natürlich einen Heidenspaß. Cossu ist ein Timing-Ass im Pointen setzen. Unsere erste Szene war prompt die Pool-Szene. Die Maskenbildnerin Steffi Bauer hatte sich so viel Mühe mit der Frisur von Tante Gabi gemacht, ich hatte versprochen, darauf zu achten. Dann kommt das „Und, bitte!“ und als Erstes kippt mir jemand ein Bier über den Kopf. Die nächste Regieanweisung war dann „Ausrasten!“. Na ja, und dann sind wir vorschriftsmäßig ausgerastet. (lacht)
Tante Gabi ist, vorsichtig gesagt, unkonventionell, oder?
Die Drehbücher beginnen mit einer Abiball-Szene, in der Tante Gabi ein Bier ext und sich dann verbeugt. Ich habe das gelesen und gedacht: Wenn die Bücher alle so sind, dann sage ich auf Seite 5 schon zu. Man wird als Schauspielerin ja immer wieder mal gefragt: Was würden Sie gerne mal spielen? Tante Gabi hat da sehr viel von allem. Der Regisseur Marc Ginolas hat mal gesagt: Tante Gabi ist das Schweizer Taschenmesser der Serie. Multifunktionsfähig. Man braucht Lösungen, Ideen, Alkohol, Entscheidungen, Kondome, Saxofonmusik oder einen guten Ratschlag – Tante Gabi. Das ist natürlich ein Geschenk – für mich und, wie ich finde, auch für die Zuschauenden. Denn ich habe so eine Rolle noch nie im deutschen Fernsehen gesehen und ich wünsche mir und uns allen mehr davon. Denn mit so einer Rolle kannst du alles ausprobieren, ist alles möglich, das ist eine große Freude.

Was mögen Sie an ihr?
Dass sie eine ganz große Glücksfähigkeit in sich trägt. Sie ist bereit, aus jeder Situation das Allerbeste zu machen, also das lebens- und liebenswürdigste, das in dem Moment möglich ist. Damit geht konsequenterweise eine Gelassenheit einher. Natürlich gibt es auch viele ungeklärte Fragen. Seien wir ehrlich: Tante Gabi hat nichts von dem, was die meisten Menschen ihres Alters haben. Sie hat weder Haus noch Partnerschaft, keine Kinder, kein Auto, keinen Job. Man weiß nicht, wie viele Männer, wie viele Jobs und wie viel Alkohol sie hatte und wie viele Länder der Welt sie bereist hat. Aber ganz gewiss viel von allem. Vor allem aber bleibt sie immer sehr bei sich. Und voller Hingabe. Sie ist quasi die Königin des Augenblicks.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in einem Dorf zu leben?
Ich glaube, wenn man auf dem Land aufwächst, nimmt man das überallhin mit. Ich spiele, dass ich Berlinerin bin – und das erfolgreich seit 18 Jahren. (lacht) Aber ich frage mich auch in Berlin: Blüht die Kirsche schon? Wie weit ist eigentlich der Roggen? Wurden die Felder schon geerntet? Ich habe das große Glück, dass meine Familie auf dem Land lebt. Ich würde nicht in Berlin wohnen, wenn ich nicht dieses Gegengewicht hätte: Stadt und Land, Norden und Süden, Osten und Westen. So bin ich beschenkt mit dem Besten aus beiden Welten.
Wie man auf Instagram sehen kann, sind Sie gern mal mit dem Wohnmobil unterwegs. Wäre eine Tour durch Oberschwaben denkbar?
Natürlich – auch ohne Wohnmobil, mit der Bahn, mit dem Fahrrad. Ich habe mir an meinen drehfreien Tagen angeguckt, was ich konnte, ich habe mir die Füße plattgelaufen vor Glück.
Wo war es am schönsten?
Ich würde sagen, am schönsten ist die Abwechslung. Ich habe mich treiben lassen, bin durch die Gassen in Ravensburg gelaufen, über Obstplantagen und am Bodensee entlang. Da hat der liebe Gott hingespuckt – und er hat es richtig gut gemeint dabei.