Auf Neil Tennant und Chris Lowe ist Verlass. Mit „Nonetheless“ hat das legendäre Pop-Duo, dessen Songs gerade auch in den angesagten Filmen „Saltburn“ („Rent“) und „All Of Us Strangers“ („Always On My Mind“) zum Einsatz gekommen sind, ein weiteres erstklassiges Album voller wunderbarer Melodien aufgenommen.

„The Schlager Hit Parade“ heißt einer der zehn neuen Songs auf dem nunmehr 15. Studioalbum der auf unverkrampfte Art junggebliebenen Pet Shop Boys. Neil Tennant, im Juli wird er tatsächlich 70, singt in der melodisch leicht an die Beatles erinnernden Nummer fröhlich über „Glühwein, Wurst and Sauerkraut“, außerdem sei in Deutschland für ihn gefühlt das ganze Jahr hindurch Weihnachtsmarkt.

Schlager? „Irgendwie lächerliche Musik“

„In der Nähe unseres Berliner Apartments gibt es eine Bar, wo sie sehr gerne Schlager spielen“, erzählt Tennant beim Interview in London über seine Feldforschung. „Wir gehen manchmal dorthin, hören dieser irgendwie lächerlichen Musik zu und genießen sie.“

Seit Jahren besitzen die Musiker eine Wohnung in der Stadt, wo sie, oft gemeinsam in einer Art Edel-WG, einen Teil ihrer Zeit verbringen. Das 2020 veröffentlichte Album „Hotspot“ war stark von Berlin inspiriert sowie in den dortigen Hansa-Studios aufgenommen.

Deutschland hat es ihnen angetan: 2006 waren Neil Tennant (links) und Chris Lowe bei der Dresdner „Hochhaussinfonie“ dabei.
Deutschland hat es ihnen angetan: 2006 waren Neil Tennant (links) und Chris Lowe bei der Dresdner „Hochhaussinfonie“ dabei. | Bild: Matthias Hiekel/dpa

Im Lied selbst gehe es jedoch weniger um die musikalisch-kulinarischen Vorlieben der Deutschen, sondern um die Konsequenz, mit der sie nach dem Krieg lieber nach vorne als in die Vergangenheit geschaut hätten, was auch für die Pet Shop Boys gelten würde. „Einen Hauch von Nostalgie erlauben wir uns auch. Aber wenn es zu viel wird, ziehen wir eine Art innere Nostalgie-Notbremse.“

Chris Lowe greift derweil das Stichwort Schlager noch mal auf. „Viele Schlager-Songs entstehen ja in den Hansa-Studios. Der Ort ist berühmt für Bowie und Depeche Mode, aber ich wäre nicht überrascht, wenn die Flippers auch schon dort waren.“ Die Flippers seien seine Lieblings-Schlagerband, so der 64-Jährige. „Ich habe mal ein ganzes TV-Konzert mit denen gesehen. Die Musik ist sehr gut produziert.“

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„Irgendwer hat zu mir gesagt, dass es in Schlager-Songs entweder um Weihnachten oder um die Sommerferien geht. Entweder man fährt Ski und trinkt Glühwein oder es geht an die Küste von Mallorca“, berichtet Tennant und grinst. Das Genre fasziniert beide. „Es ist die Art von Musik, die man nur hört, wenn man in Deutschland ist“, sagt Lowe. „In einer kleinen, gemütlichen Kneipe. Da passt es sehr gut dazu, bei einem richtig guten Bier vom Fass.“

„Nonetheless“ haben die Pet Shop Boys in London aufgenommen. Es ist ihnen gelungen, das typische Gleichgewicht zwischen Melancholie und Euphorie perfekt auszutarieren. Auf der einen Seite gibt es warme, aufbauende Songs wie das 20 Jahre alte „Feel“ oder „The Secret Of Happiness“.

Auf der anderen steht das leicht wehmütige, an den ersten großen Welthit „West End Girls“ erinnernde „New London Boy“, das von Tennants Umzug in die Hauptstadt handelt. „Ich kam Mitte der 70er von Newcastle nach London und entdeckte das Leben“, erinnert er sich. „Ich war Teil einer Glam-Rock-Clique, wir probierten uns aus, färbten uns die Haare, wären gerne so cool wie David Bowie gewesen.“ Auch seine Homosexualität habe er in dieser Zeit entdeckt.

Auffällig sind die vielen geschichtlichen Bezüge. „Feel“ bezieht sich auf den Werdegang des britischen Doppelagenten George Blake, der nach Moskau floh, das poppige „Dancing Star“ beschreibt das Leben des sibirischen Balletttänzers Rudolf Nurejew, der bei einer Europareise in Paris erfolgreich um Asyl bat.

Das Cover des Albums „Nonetheless“ der Pet Shop Boys.
Das Cover des Albums „Nonetheless“ der Pet Shop Boys. | Bild: Warner Music/dpa

Trotz der Wehmut ist „Nonetheless“ also zuvorderst eine optimistische Platte, das zeigt sich nicht zuletzt im hinreißend herrlichen Pandemie-Pop von „Why Am I Dancing“. „Ich habe hemmungslos gerne allein in meiner Küche getanzt“, sagt Neil Tennant, „ich hätte auch nackt sein können, und niemanden hätte es gestört.“

Mit einer Handy-App versucht Tennant seit Jahren, Deutsch zu lernen. Mitunter verzweifelt er dabei. „Wenn du nachmittags neben mir im Zug sitzt, dann wirst du mich seufzen und fluchen hören. Es ist einfach unmöglich.“