Lea, war es für Sie als feinfühlige Sängerin nicht etwas seltsam, ausgerechnet einen Song mit den eher prollig auftretenden Rappern Capital Bra und Samra zu machen?
Vielleicht hat die Zusammenarbeit ein paar Leute etwas überrascht, aber warum denn nicht? Es ist doch spannend, auch mal was mit Kollegen zu machen, die nicht aus der eigenen Blase kommen. Das gilt für uns alle. Für Capital Bra war „110“ der erste gefühlvolle Liebes-Rap seiner Karriere.
Und für Sie war das Stück, das Sie jetzt noch einmal in einer Solo-Version auf Ihrem neuen Album „Treppenhaus“ singen, die erste Nummer eins in den deutschen Single-Charts. Wie haben Sie den kommerziellen Erfolg empfunden?
Als total abgefahren. Schon seit ich elf bin, schreibe ich Songs. Mit 15 habe ich den ersten auf YouTube veröffentlicht. Es hat ziemlich lange gedauert, dass ich so richtig bei den Leuten angekommen bin, aber mir hat das gut getan. In dieser Zeit konnte ich reifen und herausfinden, wer ich bin. So war ich auf den Erfolg vorbereitet. Mit 15 hätte er mich wahrscheinlich überrollt.
„Wo ist die Liebe hin?“ hieß Ihr allererstes Lied. Sie haben sich also auch als Teenager schon mit Beziehungsfragen beschäftigt.
Ja. Das Zwischenmenschliche in seinen ganzen Schattierungen war für mich immer das Spannendste überhaupt. Auch nach Millionen von Liedern über die Liebe und über Beziehungen gehen einem die Themen nicht aus, weil man immer wieder einen neuen Blickwinkel findet. Songs zu schreiben hilft mir, mich mit den Fragen, die ich mir im Leben stelle, auseinanderzusetzen, und dazu gehören halt auch oft Beziehungsfragen. Würde ich keine Musik machen, hätte ich sicher ein Tagebuch. Das Reflektieren ist für mich ganz wichtig. Alle meine Lieder entstammen echten Emotionen. In meiner Musik ist nichts gekünstelt.
Man sieht Sie in der TV-Show „Sing meinen Song“, die aktuell läuft und bei der Sie dabei sind, nicht weinen. Viele andere heulen ständig.
Das stimmt. Ich habe nicht geweint. Es gab aber ganz krass emotionale Momente, in denen ich sehr ergriffen war. Wir waren eine super tolle Truppe, da hätte wirklich keiner fehlen dürfen. Wir sind uns alle sehr nah und sehr eng verbunden gewesen.
Auch im Song „Treppenhaus“ geht es um eine enge Verbindung, und zwar eine, aus der Sie sich lösen möchten, es aber nicht schaffen. Inspiriert von wahren Begebenheiten?
Ja. Logisch. Die Beziehung ist schon eine Weile her und hat mir auch vorher schon Stoff für den einen oder anderen Song geliefert. Diese Liebe war sehr toxisch und hat mir nicht gut getan. Das Schöne und extrem Berührende für mich ist, wie viele Leute sich mit der Geschichte identifizieren können und mir Nachrichten schreiben wie „Krass, du sprichst aus, was ich fühle!“ oder „Ich bin dir so dankbar, weil ich sehe, dass ich nicht die Einzige bin, die so eine Situation erlebt hat!“. Ich hoffe immer, den Menschen mit meinen Songs auch ein bisschen helfen zu können.
Gab es schon mal ein Lied, das „Treppenhaus“ hieß?
Keine Ahnung. (lacht) Mich hat diese Metapher direkt angesprochen. Man begegnet sich im Treppenhaus, ist noch nicht in der Wohnung, aber auch nicht mehr auf der Straße. Es ist so ein komischer Zwischenraum, ein spannender Ort. Und es sagt viel über die Beziehung aus, dass man sich genau dort trifft.
Wie beendet man eine solche Beziehung, die nicht gut für einen ist, von der man aber nicht loskommt?
Alles braucht seine Zeit. Das Schwierige ist diese Phase des Sich-nicht-eingestehen-wollens, dass es vorbei ist. Am Ende hilft mir, radikal zu sein, alle Chats, alle Fotos zu löschen. Damit schütze ich mich und versuche, mich vom Negativen abzugrenzen.
„Okay“ ist ein Lied über die Selbstliebe. Wie lässt sich das Verhältnis zu sich selbst verbessern?
Indem ich versuche, ehrlich zu mir zu sein und vor Gefühlen nicht weg renne, sondern mich ihnen stelle. Was für mich sehr wichtig ist, sind Social-Media-Pausen. Das Internet kann ein krasser Stressfaktor sein, der mich von mir selbst wegbringt. Weil ich oft das Gefühl habe, ein Bild von mir aufrechterhalten zu müssen, dem ich nicht immer gerecht werden kann. Ich versuche, da eine gute Balance zu finden. Ich poste zum Beispiel nur Sachen, die mit meiner Musik zu tun haben und versuche, das Privatleben zu schützen.
Sind Sie froh, kein Teenager mehr zu sein?
Ja, ich würde absolut nicht mit denen tauschen wollen. Die Kids gehen davon aus, dass man alles teilen muss und alles zeigt. Jeder ist ständig online und beurteilt die anderen permanent, steckt sie in Schubladen. Man hat schnell das Gefühl, man kennt die Leute, aber das ist einfach nicht der Fall. Ich habe jedenfalls größten Respekt vor den Eltern, die heute Kinder erziehen.
Sie sind nach dem Abitur nach Argentinien gegangen, um dort als Lehrerin an einer Schule zu arbeiten. Hat Sie die Reise reifen lassen?
Ja, total. Ich bin ganz gezielt alleine dorthin geflogen, weil ich wissen wollte, wie sich das anfühlt. In den ersten vier, fünf Wochen habe ich dann die wirklich einsamsten Wochen meines Lebens verbracht, dabei dachte ich in Deutschland immer, ich sei ein kommunikativer Mensch. Danach wurde es besser.
Konnten Sie Spanisch?
Ich hatte Spanisch drei Jahre in der Schule, aber nur als Nebenfach. Ich dachte, ich könnte es gut, aber dann habe ich gar nichts verstanden, weil die Argentinier mit einem total krassen Dialekt reden. Schon irre, wie sehr man mit seiner Selbsteinschätzung danebenliegen kann.
Wie lange waren Sie in Argentinien?
Ein halbes Jahr. Drei Monate in Buenos Aires, und drei Monate bin ich durchs ganze Land gereist, bis runter nach Patagonien.
„Elefant“ ist ein Lied über Ihre Eltern, „Sylt 98“ thematisiert die Beziehung zu Ihrer Schwester. Wie wichtig ist das Verhältnis zu Ihrer Familie?
Wahnsinnig wichtig. Meine Eltern waren immer für mich da und haben mir sehr vieles von dem beigebracht, was ich für mein Leben brauche. Und meine Schwester und ich, wir sind gegenseitig unsere wichtigsten Menschen im Leben. Sie ist anderthalb Jahre älter, wir standen uns immer sehr nah und egal, um was es ging, sie war immer mein großes Vorbild. Ich habe immer geschaut, wie macht meine Schwester das, und dann habe ich es ähnlich gemacht.
Lebt sie auch in Berlin?
Sie hat lange in Berlin gelebt, jetzt wohnt sie in Bremen.
Sie singen: „Immer, wenn du bei mir bist, ist es so wie Sylt 98.“ Was ist dort passiert?
Gar nichts, das ist ja das Schöne. Wir hatten eine federleichte, wunderschöne Kindheit. Im Sommer sind wir immer zelten gegangen, in Kroatien, Italien und auf den deutschen Inseln. 1998 auf Sylt war ich sechs und sie sieben oder acht. Es war einfach herrlich.
Sie selbst sind vor zwei Jahren von Hannover nach Berlin gezogen. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?
Ich habe es nicht bereut. Ich finde Berlin total toll, weil hier so viele Kulturen miteinander leben. Ich bin bewusst nach Neukölln gezogen, weil es wohl kaum ein Viertel gibt, in dem die Menschen unterschiedlicher sind als hier. Diese Vielfalt ist für mich eine große Bereicherung. Jeden Tag entdecke ich etwas Neues.