Es ist ziemlich genau 29 Jahre her, als Boris Becker schon einmal Gegenstand eines großen Verwirrspiels kurz vor Weihnachten war. Damals versetzte Beckers bevorstehende Hochzeit mit seiner Lebensgefährtin Barbara Feltus ganze Heerscharen vom Presseboulevard und beträchtliche Teile der Republik in helle Aufregung.

Standesämter in München wurden belagert, doch am Ende gab Becker seiner „Babs“ (Bild) im Heimatstädtchen Leimen das Ja-Wort. Bürgermeister Herbert Ehrbar, nebenher auch noch ein medienbewußter Sportfunktionär, nahm die Zeremonie höchstpersönlich vor.

In Leimen lässt er sich nicht blicken

Am vergangenen Donnerstag nun streunten ein paar Dutzend Fotografen und Reporter in naiver Gutgläubigkeit in Leimen umher, um vermeintlich erste Bilder des entlassenen Gefängnisinsassen Boris Franz Becker zu erhaschen – vornehmlich vor dem Haus, in dem Beckers betagte Mutter Elvira (87) lebt.

Boris Becker und seine Mutter Elvira Becker 2019 im Europa-Park Rust.
Boris Becker und seine Mutter Elvira Becker 2019 im Europa-Park Rust. | Bild: Uwe Anspach, dpa

Becker tauchte natürlich nicht dort auf, er weiß, wie man Wiedersehensmomente weitaus diskreter über die Bühne gehen lässt. Was man von den Medienbotschaftern vor Ort deshalb zu sehen bekam, waren die Umfragen unter älteren und jüngeren Leimenern, was von Beckers zurückgewonnener Freiheit zu halten sei.

Es wirkte so vertraut wie früher, wenn sich die Menschen auf der Straße zu Beckers größten Triumphen, aber auch zu seinen späteren Fehltritten äußerten.

Sat.1 räumt den Dienstagabend frei für Becker

Becker ist in jedem Fall in diesen eisigkalten Adventstagen, vor Weihnachten 2022, wieder zur Seite-eins-Geschichte geworden. Der 55-jährige Weltstar, der einst drei Mal die Krone Wimbledons und den Gipfel der Tennis-Bestenliste eroberte, erscheint nach siebenmonatiger Haft als frischer Wertfaktor.

Die ersten Bilder Beckers nach dem Abbrummen der Haftstrafe, seine ersten Äußerungen in der Öffentlichkeit haben Goldstatus – so wie einst Motive von Hochzeiten oder amourösen Affären.

Sat1 hat für Beckers Wiedererscheinen schon mal den Dienstagabend freigeräumt, zum Glück liefert ja auch die WM ja keine Konkurrenz mehr. Im „Becker-Spezial“ will sich der Heros vergangener Tage gegenüber Steven Gätjen äußern, der Interviewer hatte Becker offenbar auch schon das ein oder Mal in der Haftanstalt Huntercombe besucht.

Journalist Steven Gätjen darf Becker als Erster interviewen.
Journalist Steven Gätjen darf Becker als Erster interviewen. | Bild: Rolf Vennenbernd, dpa

Überschwänglich teilte Sat1-Chefredakteurin Juliane Eßling nun mit, sie freue sich, „dass Boris Becker uns sein Vertrauen für das erste und einzige Interview nach der vielleicht schwersten Zeit in seinem Leben schenkt.“ Wie zu hören ist, wurde Becker für das Vertrauen ganz nebenbei mit rund einer halben Million Euro belohnt.

Trotzdem könnte sich der Deal für die Münchner Sendegruppe noch lohnen, denn zur Sicherheit wird wohl auch noch ein Gespräch mit Becker in Englisch aufgezeichnet, das international weiterverkauft werden soll. Wie gesagt: Mit Becker lässt sich immer noch und immer wieder Auflage machen. Und wenn nicht jetzt, nach abgebüßter Haftstrafe, wann dann?

Was ist aus ihm geworden?

Wo ist Boris Becker gelandet und geblieben, war die erste naheliegende Frage nach den 220 Tagen in Gefängniszellen von Wandsworth und Huntercombe – nach jenem schicksalhaften Morgen des 29. April, an dem Richterin Deborah Taylor ihn verurteilt hatte.

Die andere, deutlich gravierendere Frage ist allerdings: Wer ist Boris Becker nach dieser Zeit? Genauer: Was ist aus dem Mann geworden, der einst die Nation als Tennis-Held begeisterte, bevor sein Leben nach dem Tennis schwierig und immer schwieriger wurde – und er, unfassbar für viele Weggefährten, tatsächlich im Gefängnis landete?

Er soll schlanker sein und fitter

Becker habe sich in der Haftzeit ordentlich bis gut gehalten, sagen enge Freunde, er habe diszipliniert viel für seine Fitness getan, wirke deutlich schlanker. Er sei außerdem entschlossen, einen Neubeginn zu schaffen, die selbst verursachten Schwierigkeiten der jüngeren Vergangenheit „hinter sich zu lassen.“

Wobei das alles nicht so ganz einfach wird. Zum Beispiel das liebe Geld. Becker dürfte zwar in den ersten Wochen und Monaten kräftig abkassieren, seine Erlebnisse rund um Verurteilung und Haft versilbern – nicht nur bei Sat1, Apple TV oder anderen Medienpartnern oder als Buchautor.

Aber auf der anderen Seite lastet weiter ein enormer Schuldenberg und ein nicht befristetes Insolvenzverfahren. Wie viel genau Becker von seinen anstehenden Einkünften an den Insolvenzverwalter und damit an seine nicht wenigen Gläubiger abgeben muss, ist noch offen. Es könnte durchaus der nächste Fall für Beckers Anwälte und die Gerichte werden.

Finanzfachfrau an seiner Seite

Beobachter verweisen in diesem Zusammenhang auf die interessante Rolle von Beckers Partnerin Lilian de Carvalho Monteiro. Die aus Sao Tome und Principe stammende Risikoanalystin soll sich im Zusammenwirken mit Beckers Beratern und Anwälten auch um die finanziellen Geschicke kümmern, so sei bereits eine Unternehmung mit dem Namen „BFB Enterprises“ entstanden, angelehnt an die Initialen von Beckers Namen.

Boris Becker mit seiner Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro vor der Strafmaßverkündung. Seine Partnerin ist Risikoanalystin.
Boris Becker mit seiner Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro vor der Strafmaßverkündung. Seine Partnerin ist Risikoanalystin. | Bild: Tayfun Salci, dpa

Vermarktungsgelder könnten, spekuliert die bei Becker gut informierte „Bunte“, an seine Partnerin fließen und auch ihm zugutekommen. Becker selbst darf wegen des weiter laufenden Insolvenzverfahren keine Firmen führen. In Beckers Umkreis heißt es in nüchterner Offenheit, Frau Monteiro sei die erste Gefährtin, die – rein finanziell betrachtet – keine Verlustgemeinschaft für den alten Centre Court-Heroen darstelle.

Wenn der Spannungsgehalt und der Nachrichtenwert des – im doppelten Sinne – Falls Becker verpufft ist, muss der Mittfünfziger sich wieder beruflich orientieren. Die einfachste und schlaueste Lösung wäre für ihn, sich vor allem wieder seinem ureigensten Terrain zuzuwenden, dem Tennissport in all seinen Ausprägungen.

Kehrt er in die Tennis-Welt zurück? Becker 2020 im Stadion am Rothenbaum in Hamburg.
Kehrt er in die Tennis-Welt zurück? Becker 2020 im Stadion am Rothenbaum in Hamburg. | Bild: Daniel Bockwoldt, dpa

Becker wird wahrscheinlich schon bald ans Mikrofon des Fachkanals Eurosport zurückkehren, eventuell schon zu den Australian Open, die im Januar 2023 stattfinden. Aber Becker könnte auch erneut beim Deutschen Tennis Bund anheuern oder als Berater einzelner Profis.

Seine Akademie hält ihm die Treue

Welche Rolle Becker noch bei der Becker-Akademie im südhessischen Hochheim bleibt, ist ungewiss. Die sportlichen Geschicke hatte dort jüngst der ehemalige Profi Alexander Waske übernommen. Academy-Gründer Khaled Ezzedine hatte Becker allerdings schon kurz nach dem Urteilsspruch von London Loyalität versichert und erklärt, „auch die Eltern, die ihre Kinder in die Academy schicken, stehen hinter dieser Treue.“

Doch eine letzte, emotional hochwichtige Frage ist, wo Becker in Zukunft seinen Lebensmittelpunkt haben wird – und kann? London wird es vorerst nicht mehr sein, wenigstens bis zum Ende der eigentlich festgesetzten Haftstrafe im Herbst 2024 ist ihm ein Aufenthalt auf der britischen Insel verbaut. Möglicherweise ist das Rückkehrverbot nach London sogar noch länger wirksam, von bis zu zehn Jahren sprechen manche juristische Experten.

Der damals 17-jährige Boris Becker hechtet 1985 während des Turniers in Wimbledon hinter einem Ball her. Im Finale gewann er mit 3:1 ...
Der damals 17-jährige Boris Becker hechtet 1985 während des Turniers in Wimbledon hinter einem Ball her. Im Finale gewann er mit 3:1 Sätzen gegen Kevin Curren. Bilder: dpa | Bild: Rüdiger Schrader

London war für Becker allerdings so etwas wie ein Fluchtpunkt gewesen, nachdem er das Leben in Deutschland zwischenzeitlich als „kaum noch erträglich“ erachtet hatte, nicht zuletzt wegen anhaltender Kritik und Spötteleien an seinem Leben nach der Tenniskarriere. In Britannien habe er sich „angenommen“ gefühlt, die Menschen respektierten ihn, so Becker, „und lassen mich einfach in Ruhe.“

Ein Steinwurf vom Ort seines größten Triumphes entfernt

Der frühere Tennis-Star lebte lange Jahre in der Nähe der Tennisanlage von Wimbledon, nur einen Steinwurf weit entfernt von der Stätte, an der er ein zweites Mal geboren wurde, 1985, als jüngster Champion aller Zeiten.

Das könnte Sie auch interessieren

Nach der Scheidung von seiner zweiten Ehefrau Lilly Kerssenberg und dem Auszug aus der stattlichen Villa – die für rund zehn Millionen Pfund zum Verkauf stand – residierte Becker später in der Londoner City, unterhielt auch noch ein Büro. Wo er demnächst seine Zelte aufschlagen wird, dürfte auch zu erfahren sein, wenn am Dienstag das Rotlicht der TV-Kameras wieder für ihn aufleuchtet – beim Interview auf Sat.1.