Herr Ohligschläger, es gibt bereits zahlreiche Hundebücher auf dem Markt. Warum haben Sie jetzt auch noch einen neuen Ratgeber geschrieben, obwohl Sie als Hundetrainer doch schon reichlich beschäftigt sind?

Das war mir eine Herzensangelegenheit. Ich befasse mich seit fast 30 Jahren mit Hunden und deren Beziehungen. Seitdem bin ich bestrebt, eine Brücke zu bauen zwischen den beiden Spezies. Menschen haben nun mal ganz andere Bedürfnisse als Hunde. Menschen haben oft sehr hohe Ansprüche und Erwartungen an ihre tierischen Partner, die diese aber gar nicht erfüllen können. Deshalb versuche ich, Menschen auf die Ebene von Hunden zu stellen. Damit wir in Naturverbundenheit mehr von den Hunden lernen können, als wir ihnen beibringen.

Glücklich mit Hunden: TV-Coach Andreas Ohligschläger mit seinen Vierbeinern.
Glücklich mit Hunden: TV-Coach Andreas Ohligschläger mit seinen Vierbeinern. | Bild: Anna Auerbach / Kosmos

Sie wurden schon selber von einigen Hunden durch Ihr Leben begleitet. Was haben Sie von ihnen gelernt?

Zum Beispiel, mich und mein eigenes Leben zu hinterfragen. Ich hatte tatsächlich schon mehrere Seelenhunde an meiner Seite. Manche Hunde begleiten einen nur ein paar Jahre, und andere bleiben lange. Ich hatte eine Hündin, die ist 19 geworden, und letztes Jahr ist mein geliebter Pino von mir gegangen. Ich liebe ältere Hunde, weil sie in sich ruhen, eine innere Gelassenheit ausstrahlen und eine Weisheit besitzen. Das strahlt auch auf uns Menschen ab.

Was können wir Menschen generell von Hunden lernen?

Eine ganze Menge. Hunde bringen uns bei, wieder menschlicher zu sein und sich mehr in der Natur zu bewegen. Sie lehren uns, mal innezuhalten, mehr im Moment zu bleiben und die Augenblicke zu leben. Für Hunde gibt es kein Gestern und kein Morgen. Hunde sind meist im Hier und Jetzt unterwegs. Wir Menschen tendieren ja dazu, rastlos durch diese schnelllebige Zeit zu huschen. Vor allem, wenn uns zu vieles durch den Kopf schießt, verfallen wir in gewisse Verhaltensmuster. Dann neigen wir dazu, alles immer schneller machen zu wollen, um zu „funktionieren“ – meist für die anderen. Das sind Hunde ein guter Signalgeber, um uns zu zeigen: Jetzt mach halt mal ein bisschen langsamer, leg eine Pause ein, die Welt läuft uns nicht weg.

Sprechen Sie da auch aus eigener Erfahrung?

Leider ja. Ich selber hatte vor zwölf Jahren ein Burnout. Seitdem achte ich verstärkt auf mich, reflektiere mehr mein eigenes Verhalten und bremse rechtzeitig, wenn es wieder an der Zeit ist, alles etwas langsamer angehen zu lassen und einen Gang runterzuschalten. Dabei helfen mir meine Hunde.

Viele Menschen haben sich im Lockdown ein Haustier angeschafft – und fühlen sich mit dem Tier nach der Rückkehr ins normale Leben überfordert. Folglich werden in den Tierheimen momentan so viele Hunde und Katzen abgegeben wie schon lange nicht mehr. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Das macht mich sehr traurig und auch wütend, vor allem weil diese Entwicklung vermeidbar gewesen wäre. Die Menschen hätten erst mal selbst reflektieren und sich beraten lassen sollen. Und ich befürchte, nach Ende der Pandemie werden noch mehr Hunde und Katzen in den Tierheimen landen. Im Lockdown haben einige Menschen zu kurzsichtig gehandelt. Viele waren alleine, haben sich einsam gefühlt und sich nach einem Lebewesen an ihrer Seite gesehnt. Also haben sie sich eine Katze oder einen Hund zugelegt, ohne sich ernsthafte Gedanken darüber zu machen, wie es nach der Pandemie mit dem Tier weitergeht. Sich ein Tier aus der eigenen Bedürftigkeit – quasi aus emotionaler Verarmung – „anzuschaffen“, finde ich jedenfalls sehr bedenklich.

Mit den Kleinen fängt alles an: Hunde-Coach Andreas Ohligschläger mit einem Welpen.
Mit den Kleinen fängt alles an: Hunde-Coach Andreas Ohligschläger mit einem Welpen. | Bild: Anna Auerbach / Kosmos

Was ist der richtige Weg?

Sich vorher sehr gründlich zu überlegen, wieviel Zeit man auch langfristig für das Tier aufbringen kann, welche Kosten damit verbunden sind, ob das Tier zum eigenen Leben passt, und ob man überhaupt den Bedürfnissen des Tieres gerecht werden kann. Hunde können ganz tolle treue Wegbegleiter sein, haben aber auch ihre eigenen Bedürfnisse. Damit sind manche Menschen dann überfordert. Und wenn ein Hund nicht so „funktioniert“ wie sein Halter es gerne hätte, wird er schnell lästig. Dann kommt plötzlich die Erkenntnis: „Ach, der Hund muss ja doch drei- bis viermal am Tag raus, der braucht Training und Erziehung.“ Ein Hund braucht sogar noch viel mehr: Er braucht Regeln, er braucht Grenzen und Freiheiten. Er braucht Zuwendung und Zeit.

Ein Hund läuft also nicht einfach so „nebenher“, wie manche Halter denken?

Bevor ein Hund „nebenher“ läuft, muss er erst mal eine ganze Menge lernen: Er muss sich mit anderen Menschen und Hunden verstehen, mit Kindern, mit Fahrradfahrern. Er muss stinkende Autos, lärmende Staubsauger und Rasenmäher ertragen. Er muss mit den ganzen Anforderungen des Alltags zurechtkommen. Und wenn er da nicht schafft, dann wird er schnell zum „Problemhund“ und muss wieder weg. Dabei vergisst der Mensch, dass der Hund an seine Grenzen stößt, wenn er mit den menschlichen Bedürfnissen überfordert wird.

Was empfehlen Sie bei einer solchen Überforderung auf beiden Seiten?

Sich Hilfe zu suchen. Inzwischen findet man fast überall gute Hundeschulen und erfahrene Hundetrainer. Fahrradfahren muss man ja auch erst mal lernen, und am Anfang können Stützräder hilfreich sein. Es gibt jedenfalls keine Problemhunde, sondern nur Menschen, die den Hund zum Problem machen. Doch nur, wenn der Mensch sein Verhalten ändert, ändert sich auch der Hund.

Inzwischen gibt es die unterschiedlichsten Ansätze zur Hundeerziehung. Wie findet man den für sich und seinen Hund passenden Erziehungsstil?

Indem man sich auf sein Bauchgefühl verlässt und seiner Intuition vertraut. Auch das können wir von Hunden lernen: unseren Instinkten wieder mehr Vertrauen zu schenken. Hunde fühlen mehr, als wir Menschen denken! Um Hunde zu verstehen, sollten wir also mehr fühlen als denken. Hilfreich bei der Hundeerziehung sind auch die vier Säulen: Gelassenheit, Ruhe, Geduld und Ausgeglichenheit. Je entspannter wir selber sind, desto entspannter ist auch der Hund. So wie der Hund uns Mensch sein lässt, sollten auch wir den Hund Hund sein lassen.

Sie engagieren sich seit Jahren für „ganzheitlichen Tierschutz“, haben sogar einen eigenen Tierschutzverein gegründet. Was ist Ihre Mission?

Tierschutz hat immer auch mit Naturschutz zu tun. Und mit der Beziehung des Menschen zur Natur. Viele Menschen leben heute nicht mehr im Einklang mit der Natur und sind dadurch nicht mehr im Fluss des Lebens. Einige Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche in Großstädten, kennen heute keine echte Natur mehr. Die wissen gar nicht, was eine Birke, Eiche oder Buche ist. Virtuelle Welten sind nun mal kein Ersatz für reale Natur, die man fühlen, riechen und schmecken kann. Aber wenn ich keinen Bezug zur Natur habe, kann ich auch nicht mit ihr umgehen. Und wenn ich keinen Bezug zu Tieren habe, sehe ich sie nur als Schnitzel in der Pfanne und weiß gar nicht, dass das Schnitzel mal ein Schwein war.

Nachhaltiger Tierschutz setzt also schon bei den Kleinsten an?

Unbedingt. Man muss in die Kindergärten und Schulen gehen, um die Kinder für ihre Umwelt zu sensibilisieren – damit die nächste Generation eine andere Einstellung zur Natur, den Tieren und den Menschen bekommt. Dabei müssen wir auch insbesondere jene erreichen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Denn nur ein Mensch, der selber glücklich ist, quält keine Tiere. Wer aber großes Leid, Gewalt oder emotionale Kälte am eigenen Leib erfährt, wird das weitergeben.

Was entgegnen Sie Menschen, die schlaumeiern: „Man kann nicht jedes Tier retten“?

Da gibt es diesen schlauen Spruch: „Ein einzelnes Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier.“ Jedes Tier hat eine Seele und leidet unter schlimmen Umständen. Aber wegschauen heißt nichts machen. Nicht jeder kann sich extremen Elend stellen. Aber es muss Menschen geben, die Missstände aufdecken und publik machen, damit das Problem an der Wurzel gepackt wird. Jeder kann seinen eigenen kleinen Beitrag zum Tierschutz leisten, und steter Tropfen höhlt den Stein.

In Ihren Vorträgen, Büchern und TV-Beiträgen setzen Sie auf Aufklärung und Verständnis, statt den Zeigefinger zu erheben.

Es steht mir einfach nicht zu, andere für ihr Verhalten zu verurteilen. Ich versuche, Denkanstöße zu geben, statt zu moralisieren. Als ich zum Beispiel in Portugal für ein Straßenhund-Projekt unterwegs war, habe ich mich gefragt, warum manche Menschen ihre Hunde anketten. Also habe ich die Menschen nach ihren Motiven befragt. Die meisten meinten, dass sie sich bis dato noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatten. Sie wussten es einfach nicht besser.

Das Buch: Andreas Ohligschläger, Hunde als Weggefährten. Beziehung gestalten, Probleme erkennen, Lösungswege finden. Kosmos Verlag, 24 Euro.
Das Buch: Andreas Ohligschläger, Hunde als Weggefährten. Beziehung gestalten, Probleme erkennen, Lösungswege finden. Kosmos Verlag, 24 Euro. | Bild: Kosmos Verlag

Kann man aus jedem Hund einen guten Weggefährten machen – zum Beispiel auch aus Herdenschutzhunden, die ja immer besonders häufig in Tierheimen landen?

Ja natürlich, wenn wir uns die Zeit dafür geben. Wenn wir aber in Hetze und Eile unterwegs sind und zu große Anforderungen an den Hund stellen, damit er in unserer Gesellschaft und in unserem Leben funktioniert, dann wird es schwierig. Auch sollten wird die Hunde nicht kaputt konditionieren, sie nicht manipulieren und nicht ihrer Seele berauben. Auch ein Herdenschutzhund kann ein guter Wegbegleiter werden, wenn er reichlich Auslauf hat und eine Aufgabenstellung bekommt. Zum Beispiel auf einem Bauernhof in ländlicher Umgebung. Und wenn man ihm seinen Stolz lässt. Ihm seinen angeborenen Schutzinstinkt abzutrainieren, ist gegen die Natur. So ein Hund wäre in einer Wohnung oder Reihenhaussiedlung völlig fehl am Platz.

Mit der Jahrhundertflut im Juli 2021 wurde auch Ihr Lebenswerk, das Revier für Hunde – eine der größten Hundetagesstätten Deutschlands – in Eschweiler bei Aachen zerstört. Wie haben Sie die Katastrophe bewältigt?

Das war schon ein sehr schwerer Schlag. Alles war überflutet. Ein absoluter Albtraum. Nach wochenlangen Aufräumarbeiten konnten wir aber Anfang September das Revier für Hunde wieder eröffnen – wenn auch in deutlich kleinerem Rahmen. Jetzt heißt es, nach vorne blicken und weitermachen. Das Wichtigste ist, dass wir die Katastrophe überlebt haben – auch unsere Hunde. Wir sind weiterhin am Wiederaufbau. Schritt für Schritt, Pfote für Pfote. Vor dem Hochwasser war mein größter Wunsch, dass alles so bleibt, wie es ist. Jetzt wünsche ich mir, dass alles wieder so wird, wie es war.