Guten Morgen Schwester Emmanuela, wir telefonieren schon jetzt, weil sich nachher kochen gehen. Kocht bei Ihnen im Kloster immer die Chefin?

Ich koche nicht immer, aber immer gerne. Die zuständige Schwester in der Küche ist heute nicht da. Da habe ich ihr versprochen, das zu machen.

Ihr neues Buch heißt „Die neue Kunst des Leitens.“ Darin beschäftigen Sie sich mit der Frage, wie eine Gemeinschaft oder ein Unternehmen am besten geführt wird. Worin liegt die Kunst?

Ganz so einfach liegt die Sache nicht! In dem Buch erzähle ich meinen persönlichen Lernprozess als Leitung. Ich wurde 2010 zur Priorin gewählt und damit zur Leiterin unseres Klosters. Meine Quintessenz: Wir müssen alle zusammen schauen, wohin der Weg führt. Also keine einsamen Entscheidungen. Ich setze auf eine gemeinsame Suchbewegung, gemeinsame Beschlüsse.

Es ist ja nicht ganz neu, dass Ordensleute Firmen beraten oder Seminare für gestresste Manager anbieten. Was machen Sie anders?

Es stimmt, das Nachdenken über gute Führung ist gar nicht neu. Ich denke da an die Regel des heiligen Benedikt, dem unser Orden ja verpflichtet ist. Diese Regel steckt voll menschlicher Klugheit. Man kann dort nachlesen, wie man gut leitet.

Darüber hinaus habe ich in Frankfurt einen Masterstudiengang absolviert, der sich mit Beratung in der Arbeitswelt, mit Coaching, Mediation und Organisationsberatung beschäftigte. Das war für mich bereichernd. In dieser Denkwelt bin ich also ebenfalls zuhause.

Gegen jeden Trend wächst Ihr Kloster in Köln.

Ja, wir haben das große Glück, dass unsere Gemeinschaft wächst. Seitdem ich 2010 Priorin geworden bin, konnten wir 25 Frauen neu als Mitglieder aufnehmen, davon sind bisher 17 geblieben.

Das ist unglaublich. Führen Sie das auf ihren moderierenden Stil zurück?

Ich mag in diesem Kontext keine Erfolgsrhetorik. Ich sage es lieber so: Ich habe als Leitung das neue Leben nicht gehindert, und das ist schon sehr viel. Wenn das insgesamt von der Kirche gesagt werden könnte, wäre es schon ein Gewinn. Darum geht es: Leben nicht behindern, ihm nicht die Luft nehmen.

Wir haben eine vitale Gemeinschaft, die sich früher schon an starkem Nachwuchs erfreute. Blühendes Leben steht immer unter dem Zeichen der Unverfügbarkeit. Ich kenne genug großartige Gemeinschaften, die keinen Nachwuchs haben. Sie sind deshalb nicht weniger charismatisch.

Und doch bleibt der Vorgang ungewöhnlich: Benediktinerinnen wirken seit knapp 1500 Jahren – und der Kölner Zweig wächst.

Unser Konvent ist wie viel andere Orden auch zugleich sehr alt und doch ausgesprochen modern. Wir haben einige Grundsätze, von denen in den Diözesen nur geträumt werden kann. Ich bin von allen Mitgliedern gewählt, und zwar auf Zeit. Nach sechs Jahren läuft mein Mandat ab. Bei uns herrscht Gewaltenteilung. Die Priorin verfügt also nicht über alle Kompetenzen.

Das Kapitel – die Versammlung aller Schwestern – funktioniert wie eine Art Parlament. Da hat jede Schwester etwas zu sagen. Die Priorin hat in diesem Kapitel übrigens keine Stimme. Sie hört zu. Von dieser Verfassung kann die Gesamtkirche nur träumen. Sie muss sich nur einmal klar machen, welchen Schatz sie in dem Orden hat. Was der Papst derzeit mit der Weltsynode versucht und was der deutsche Synodale Weg unternimmt, hat in den Orden uralte Wurzeln.

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Warum sind die alten Klöster derart auf Teilhabe aufgebaut?

Diese Tradition wurzelt in der eher demokratisch geprägten späten Antike. Benedikt gründete seinen Orden lange vor dem Zeitalter des Absolutismus. Der Abt sollte mehr wie ein Vater sein, nicht wie ein Fürst. Auch das mittelalterliche Lehenswesen hat tiefe Spuren in der katholischen Kirche hinterlassen.

Jeder neue Priester verspricht dem Bischof Gehorsam – dem Bischof und seinen Nachfolgern als Person, nicht Gott oder der Kirche. Das ist ein später Nachklang des Lehenswesens mit Lehensherr und Vasallen. Den alten Orden ist diese personenbezogene Form von Gehorsam fremd. Der Gehorsam einer neuen Schwester gilt Gott – und nicht einer Vorgesetzten.

Dann muss der oder die Oberste nicht immer am klügsten sein?

In unserer rund 1500 Jahre alten Regel steht, dass alle um Rat gebeten werden sollen, wenn eine Entscheidung ansteht. Da steht der wunderbare Satz drin, dass alle zu hören sind, „weil Gott oft einem Jüngeren eingibt, was das Bessere ist“. Auf diese Weisheit könnte man sich in der Kirche einmal besinnen. Denn Jüngere schauen oft unbefangener hin, weil sie noch neu sind. Sie sind noch nicht so leicht mit Betriebsblindheit geschlagen.

Blick in den Kreuzgang des Klosters in Köln-Raderberg.
Blick in den Kreuzgang des Klosters in Köln-Raderberg. | Bild: Herder Verlag

Sie haben bereits den Synodalen Weg erwähnt. Wie sehen Sie dessen Chancen auf Erneuerung?

Die Themen, um die es geht, brennen. Es sind letztlich keine zentralen Glaubensthemen, doch sind sie wichtig. Es geht um Geschlechtergerechtigkeit, um Macht und Gewaltenteilung, um die kirchliche Sexualmoral. Schwierig finde ich die Methode. Die Delegierten versuchen, betont demokratisch vorzugehen. In kurzem Takt wird abgestimmt.

Mein Eindruck ist, dass es oft zu schnell geht. Ich würde mir mehr Dialog wünschen, mehr Suche nach einem Konsens. Ich frage mich, was geschieht mit den Delegierten, die in der Minderheit sind und überstimmt werden. Wo bleiben sie später?

Der Synodale Weg beschäftigt sich auch mit Homosexualität. Das Thema steht seit einem knappen Jahr ganz vorne. Verkraftet die katholische Kirche diesen thematischen Schub?

Warum soll sie das nicht verkraften? Denken Sie daran, dass die Kirche vor Jahrhunderten kaum akzeptieren wollte, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. In der Geschichte hatte die Kirche immer wieder ein Problem damit, neue Erkenntnisse ins eigene Weltbild zu integrieren. Ich habe keine Sorge, dass es gelingt.

Durch ihre restriktive Haltung im Bereich der Sexualität hat die Kirche viel Schuld auf sich geladen. Sie hat Menschen unter Druck gesetzt und ausgegrenzt. Jetzt platzt der Knoten.

Sie sind ein Beweis dafür, dass Frauen gut führen können. Gehören Sie auch zu denen, die das Priestertum für die Frau fordern?

Ich bin überzeugt, dass es eines Tages kommen wird. Es ist nicht die Frage, ob es kommen soll oder nicht; tatsächlich wird es kommen. Das legt die Entwicklungsdynamik der letzten 100 Jahre nahe. In diesem Jahrhundert ist die Rolle der Frau in vielen Bereichen entscheidend aufgewertet worden. Das Priestertum der Frau wird kommen. Ob dieses Priestertum dann noch viel mit der Form und Prägung zu tun hat, die wir heute gewohnt sind, ist eine andere Frage.

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Welchen Stellenwert nimmt das Priestertum der Frau für Sie ein?

Für mich ist diese Frage nicht vorrangig. Wichtiger scheint mir die Beteiligung aller innerhalb der Kirche. Das ist für mich die Zukunftsfrage. Das will auch Papst Franziskus mit der Weltsynode für die ganze Kirche anstoßen. Wenn die Einheit innerhalb dieser Gemeinschaft gewahrt werden soll, dann nur über breite Beteiligung.

Vision oder Pragmatismus – was ist wichtiger?

Jeder und jede, die in der Politik oder in einer Firma etwas einschneidend verändern wollen, werden Ihnen sagen: Man braucht eine Vision. Doch benötigt man auch kleine, praktische Schritte, um das Ziel dann auch zu erreichen. Da bin ich Pragmatikerin.