Ein feines Lächeln, eine Stimme, die man sich gut singend vorstellen kann, ein genießender Bauch unterm karierten Hemd. Pater Ralf Klein führt durch die weiten Flure des Kollegs St. Blasien. In der barocken Schule hat der Superior der Jesuiten-Kommunität St. Blasien sein Zimmer – schlicht, aber gemütlich, von Bücherregalen bestimmt. Das eine Regal ist der vornehmlich englischsprachigen Literatur gewidmet, das andere der Religion.
„Ich lese gerne in der Bibel“, sagt Klein und lächelt verschmitzt. Zurzeit allerdings ist der 62-Jährige häufig mit weltlicher Lektüre beschäftigt. Seit bald zwei Wochen bewegt sich Pater Klein in einer surrealen Traumwelt, wie er erzählt. 400 E-Mails hat er erhalten, seitdem er sich in der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ vor großem Publikum zu seiner Homosexualität bekannt hat. Die Post kommt größtenteils von ihm unbekannten Menschen. „Damit muss man lernen umzugehen.“ Immerhin sind die Reaktionen auf sein Fernseh-Coming-Out größtenteils positiv ausgefallen.

„Ich wünsche jedem, diesen Schritt in Freiheit zu tun.“Ralf Klein, Pater in St. Blasien
In der Doku, die am 24. Januar vergangene Woche ausgestrahlt wurde, ist Klein einer der wichtigsten Protagonisten. Der Jesuit, der aus Wiesbaden stammt und seit zwei Jahren in St. Blasien in der Seelsorge tätig ist, lüftet dabei nicht nur das Geheimnis seiner sexuellen Orientierung, er lässt sich auch tief in die Seele schauen. Ein paar Tränen fließen, was Klein nicht peinlich ist.
Im Nachhinein sei ihm aufgefallen, dass er nur an bestimmten Stellen nicht umhin gekommen sei, Gefühle zu zeigen, nämlich dann, wenn er von positiven Reaktionen gesprochen habe. „Von schönen Dingen emotional gerührt zu werden – das hat ja was“, sagt Klein. Und: „Ich wünsche jedem, diesen Schritt in Freiheit zu tun.“
Theoretisch droht die Kündigung
Der Jesuit ist einer von 125 Mitarbeitern der katholischen Kirche, die bei der Aktion „Out In Church“ (wörtlich: draußen in der Kirche) mitmachen – vom Pfarrer über die Erzieherin bis zum Referendar, der Religionslehrer werden will. Sie alle haben nicht nur den Arbeitgeber gemeinsam, sondern auch ein Problem: Sie haben eine andere sexuelle Identität, als es die katholische Sexualmoral für richtig hält. Und sie sind aufgrund der sogenannten Loyalitätsobliegenheiten akut von Kündigung bedroht. Theoretisch zumindest, denn praktisch halten sich die Bistümer zurück. Angesichts der Wellen, die das Thema schlägt, durchaus verständlich.
Dass es tatsächlich vorkommt, dass Kirchenmitarbeiter aufgrund ihres Privatlebens oder ihrer Partnerschaft ihre Stelle verlieren, zeichnet die ARD-Doku eindrücklich nach. Auch für die Pfarrer, die sich outen, ist es eine Gratwanderung. Doch Ralf Klein sieht sich weniger gefährdet als Mitarbeiter ohne Priesterweihe. Theoretisch könnte ihn zwar das Bistum zur unerwünschten Person erklären und darauf bestehen, dass er nicht mehr in der Diözese Freiburg tätig ist. Bis zur Entlassung aus dem Orden wäre es aber noch ein weiter Weg.
Ortswechsel. Gut 200 Kilometer östlich lebt Armin Noppenberger mit Kater Alex neben dem Pfarrbüro in Langenargen. Auch der Pfarrer der Seegemeinden ist Teil der „Out In Church“-Aktion und Teil des ARD-Films. Dort mitzumachen, hat ihm eine Achterbahn der Gefühle beschert.
„Bis vor Kurzem wussten nur zwei Handvoll Menschen, dass ich ein schwuler Mann bin“, erzählt der 54-Jährige. Was ihn motiviert hat, war, gemeinsam mit anderen die Stimme zu erheben – gerade auch für diejenigen, die einen schwächeren Stand haben als Priester, die ihre Homosexualität nicht ausleben.
Umgetrieben hat ihn der Drang, sich zu äußern, seit der MHG-Missbrauchsstudie 2018. Demnach gab es bei 1670 Klerikern Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Was die Studie auch feststellte: Homosexualität sei kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch.
Die Empfehlung der Autoren lautete: Die Kirche solle dringend ihre Weigerung überdenken, homosexuelle Männer als Priester zu akzeptieren. „Tu was“, habe ihm eine innere Stimme gesagt, schildert Noppenberger. Die erste richtige Gelegenheit kam mit der Idee für „Out In Church“.
„Er hat auch den Mut zum Risiko.“Armin Noppenberger, Pfarrer in Langenargen, über Papst Franziskus
Noppenberger sieht die Aktion auch als Gesprächsangebot an die Kirchenoberen. Nicht über, sondern mit queeren Menschen zu sprechen. Und eine Umkehr einzuleiten, einen anderen Umgang mit Homosexualität. Dass er damit in Widerspruch zur Amtskirche tritt, sieht der Oberschwabe als notwendig an. Ganz Pfarrer, fallen ihm Parallelen zur Glaubensgeschichte ein: „Es gab viele Propheten, die zum Volk Gottes sagen mussten: Kehret um! Wir sind in einer Situation, in der Umkehr nötig ist.“
Warum Umkehr nötig ist, das können der Priester in Langenargen und der Pater in St. Blasien auch theologisch und seelsorgerisch begründen. Noppenberger denkt dabei an die Bedingungslosigkeit der Liebe Gottes zu den Menschen, und daran, was junge Homosexuelle umtreiben muss, die sich in dieser Kirche nicht angenommen fühlen.
Achtung, Mitgefühl und Sünde
Beide, Noppenberger und Klein, verweisen auf den Katechismus, der vorgibt, dass Homosexuellen mit „Achtung, Mitgefühl und Takt zu begegnen“ sei. Wie ist es darum bestellt, wenn gleichzeitig Homosexualität als Sünde und Unzucht verteufelt wird und der homosexuellen Partnerschaft jeder seelische Aspekt abgesprochen wird?
Zu den paar wenigen Bibelstellen, in denen Homosexualität vorkommt, hätten die Geistlichen einiges zu sagen. Aber das wäre ein eigenes Kapitel wert. Wie auch immer man die historische Schrift auslegt, klar ist: Die katholische Kirche in Deutschland ist in Sachen Sexualmoral auf einem völlig anderen Stand als die Gesellschaft. Und der gerade erst wieder aufgeflammte Missbrauchsskandal belegt, dass sie ein mächtiges Problem hat.
Verlust an Vertrauen, Frust bei den Mitarbeitern
„Es macht gerade keinen Spaß, Katholik zu sein“, fasst Pater Klein die Lage zusammen. Nicht nur aus seiner Sicht erleidet die Institution Kirche seit Jahren einen massiven Vertrauensverlust. Der speist sich nicht nur aus dem vielfach nachgewiesenen und vertuschten Missbrauch, sondern aus dem Gefühl, dass daraus nichts folgt.
„Es bewegt sich nichts. Das führt zu großer Frustration bei Ehrenamtlichen wie Hauptamtlichen“, sagt Klein. Das gerade veröffentlichte Münchner Gutachten hat er studiert, die Ausführungen des früheren Papsts haben ihn entsetzt. „Wenn Joseph Ratzinger im Jahr 2021 eine solche Stellungnahme schreibt, zeigt er: Er hat‘s noch immer nicht begriffen.“
Was machen die Bischöfe?
Vom aktuellen Papst Franziskus haben sowohl Klein als auch Noppenberger dagegen ein positiveres Bild. „Ich glaube wirklich, er will Spielräume eröffnen“, sagt Pater Klein. Auch wenn einige seiner Aussagen zur Homosexualität widersprüchlich waren, geht Pfarrer Noppenberger davon aus, dass sie in die richtige Richtung gehen – nach vorne. „Er hat auch den Mut zum Risiko“, sagt er.
Nun ist die Frage, wie die deutschen Bischöfe mit dem Thema umgehen. Die Signale, die in den vergangenen Tagen aus den Bistümern drangen, geben Anlass zu vorsichtiger Hoffnung. „Das Erzbistum Freiburg sieht die Erfahrungen der Teilnehmenden der Initiative #outinchurch und wertet diese als wichtigen Beitrag zu aktuellen Debatten“, gibt die Pressestelle des Bistums Freiburg auf SÜDKURIER-Anfrage zu Protokoll.
„Der Einzelfall muss betrachtet werden“
Sowohl die Erzdiözese Freiburg als auch Rottenburg-Stuttgart machten klar, dass die Teilnehmer der „Out In Church“-Initiative keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu befürchten hätten. Ob allerdings weitere queere Menschen in den Bistümern mit der gleichen Gnade zu rechnen haben, darüber lässt man sich nicht aus. „Abgesehen von der Aktion muss der Einzelfall betrachtet werden“, sagt der Pressesprecher des Bistums Freiburg.
Erst recht unklar ist, wie es für Theo Schenkel weitergeht. Der 27-Jährige hat gerade eine Lehrprobe hinter sich. Im Sommer wird der junge Lehrer für Religion und Französisch mit seinem Referendariat fertig sein. Doch ob er im Herbst unterrichten darf, ist offen.
Der junge Transmann aus Rheinfelden erfährt zwar an seiner Waldshuter Schule, wo er die praktische Phase seiner Lehramtsausbildung absolviert, viel Unterstützung. Doch es hängt vom Bistum ab, ob ihm die sogenannte Missio canonica, die kirchliche Unterrichtserlaubnis, erteilt wird. Nur damit kann er in Staatsdiensten Religionslehrer werden.
„Es geht darum, dass Menschen sich nicht entscheiden müssen zwischen ihrem Job und ihrem privaten Glück. Auf Einzelfallentscheidungen können wir halt unser Leben nicht aufbauen.“Theo Schenkel, Referendar in Waldshut
Auch Schenkel wurde in der ARD-Doku porträtiert. Ein fröhlicher junger Mann, der – trotz aller beruflichen Unsicherheit – zuversichtlich wirkt, in sich ruhend. „Seit meiner Transition bin ich präsenter, für mich hat sich vieles geklärt, ich bin jetzt mit mir selbst zufrieden – das merkt man mir an“, sagt er beim Videotelefonat mit dem SÜDKURIER.
Für die katholische Kirche ist sein Transsein unbekanntes Terrain. Im Bistum spricht man von einem Präzedenzfall. Erschwerend kommt hinzu, dass Schenkel seine Freundin heiraten möchte. „Bei einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft wäre dann das Problem definitiv da“, sagt er.
Er war Ministrant und ist noch immer bei den Pfadfindern. Ablehnung wegen seiner sexuellen Identität hat er dort nicht erfahren. Er hofft, dass sich die Haltung gegenüber queeren Menschen auch bei den Kirchenoberen ändert. Nicht nur aus egoistischen Gründen. „Es geht darum, dass Menschen sich nicht entscheiden müssen zwischen ihrem Job und ihrem privaten Glück. Auf Einzelfallentscheidungen können wir halt unser Leben nicht aufbauen.“
Dass Gott die Haltung der Kirche gut finden würde, kann er sich schlecht vorstellen. Dass Liebe nur nach dem Aspekt der Fortpflanzung beurteilt wird, werde keiner Beziehung gerecht. „Die Kirche traut Gott zu wenig Flexibilität zu“, sagt der angehende Religionslehrer.