Ulrike Bäuerlein

Es ist hochemotional, Nadia Murad bricht mehrmals die Stimme. Am Tag, bevor die 25-jährige Jesidin, die vom Opfer des IS-Terrors zur Vorkämpferin ihres Volkes und zur Stimmer der missbrauchten Frauen und Mädchen wurde, den Friedensnobelpreis entgegennehmen wird, stellt sie sich am Sonntag zusammen mit Denis Mukwege im Nobel-Institut in Oslo den Fragen der internationalen Presse.

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Nadia Murad berichtet von dem frühen Morgen im März 2018, als sie erfuhr, dass ihr gemeinsam mit dem kongolesischen Arzt und Gynäkologen Mukwege die weltweit wichtigste und renommierteste Anerkennung im Kampf für Menschlichkeit und Frieden verliehen bekommt: „Ich musste an meine Mutter denken und habe ganz viel geweint“.

Friedensnobelpreisträger 2018: Nadia Murad und Denis Mukwege stellen sich am Sonntag den Fragen der Weltpresse.
Friedensnobelpreisträger 2018: Nadia Murad und Denis Mukwege stellen sich am Sonntag den Fragen der Weltpresse. | Bild: Ulrike Bäuerlein

"Wusste nicht, ob ich die Kraft haben werde" 

Sie habe Angst gehabt, „ich wusste nicht, ob ich die Kraft haben werde“, sagt die schmale junge Frau, die so zerbrechlich wirkt und so entscheiden und kämpferisch spricht. Ihre Worte werden aus ihrer Muttersprache Kurdisch simulatan ins Norwegische, auf Englisch und Französisch übersetzt.

Murad selbst spricht nicht gut genug Englisch, um sich so auszudrücken, wie sie es möchte. Sie berichtet vom Ziel ihres Kampfes: „Dass den Opfern des IS-Terrors und den Tätern Gerechtigkeit wiederfährt, vom ersten Tag an“, sagt sie. Immer wieder fällt das Wort „Justice“, Gerechtigkeit, als Motor und Ziel ihres Kampfes, in dessen Dienst sich Nadia Murad seit vier Jahres unermüdlich stellt.

Pressekonferenz mit Nadia Murad Video: Ulrike Bäuerlein

„Wir haben keinen Tag geruht seitdem“, sagt sie. An ihrer Seite hat sie seit einiger Zeit einen jungen Mann, der ihren weltweiten Einsatz koordiniert und auch auf Englisch besser Auskunft geben kann: Ihr Verlobter Abid Shamdeen, ein in den in den USA lebender Jeside mit amerikanischer Staatsbürgerschaft. Die Vorbereitungen auf die geplant Hochzeit fielen zunächst dem Trubel nach der Bekanntgabe der Preisverleihung zum Opfer.

Preisverleihung wirft ein grelles Licht auf entsetzliche Grausamkeiten 

Nadia Murad und Denis Mukwege betreten das Nobel-Institut im tief verschneiten Oslo mit ernster Miene, keinem wird im Lauf der Pressekonferenz ein Lächeln über das Gesicht huschen. Denn der freudige Anlass der Preisverleihung wirft ein grelles Licht auf die entsetzlichen Grausamkeiten, gegen die beide Preisträger ihren Kampf führen: Sie werden geehrt für ihre Anstrengungen, der sexuellen Gewalt als Kriegswaffe ein Ende zu bereiten.

Mukwege für die Arbeit in seinem Hospital in Bukavu, wo er seit 1989 erstmals überhaupt den in 20 Jahren Bürgerkrieg im Kongo zu Tausenden furchtbar geschändeter Frauen und Mädchen gezielt medizinische Hilfe leistete.

Ganz schön nobel hier: Die Weltpresse bereitet sich auf die Preisträgerpressekonferenz vor. Sprachengewirr rundum.
Ganz schön nobel hier: Die Weltpresse bereitet sich auf die Preisträgerpressekonferenz vor. Sprachengewirr rundum.

Und Nadia Murad dafür, dass sie das Schweigen über ihr eigenes Schicksal als Sex-Sklavin des IS brach und weltweit über den Genozid an ihrem Volk im Irak und das Schicksal der Frauen und Mädchen berichtet, die in der Hand der Terrormiliz waren und sind. Noch rund 3000 versklavte Frauen und Mädchen, so die Schätzungen, sind noch immer in der Gewalt von Terroristen.

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Murad selbst verlor bei einem Überfall von IS-Milizen auf ihr Heimatdorf Kocho im Nordirak im Jahr 2014 ihre Mutter und sechs Brüder. Sie selbst wurde versklavt und konnte erst nach Monaten fliehen. Gemeinsam mit einer Schwester fand sie Aufnahme im Kontingent von 1000 jesidischen Frauen und Mädchen, für die  Baden-Württemberg 2015 ein weltweit einzigartiges Hilfsprogramm auf die Beine stellte.

Winfried Kretschmann mit Nadia Murad (M.) und Anwältin Amal Clooney (r). (Archivbild)
Winfried Kretschmann mit Nadia Murad (M.) und Anwältin Amal Clooney (r). (Archivbild) | Bild: Bernd Weissbrod

"In Baden-Württemberg war ich sicher" 

„In Baden-Württemberg war ich sicher, Germany is a safe place“, sagt Nadia Murad. Dort erfuhr sie Hilfe, therapeutische Unterstützung und erhob die Stimme als Vertreterin der vielen Opfer ihres Volkes. Doch seit sie als UN-Sonderbotschafterin für die Rechte der Opfer von Menschenhandel um die Welt reist, ist eine neue Furcht dazugekommen. „Diese Lektion habe ich gelernt“, sagt Murad, „dass es Menschen gibt, die mich und uns auf der ganzen Welt verfolgen und überall vernichten wollen“.

Höchste Sicherheitsstufe im Nobel-Institut in Oslo vor der offiziellen Pressekonferenz der Preisträger, zutritt nur durch mehrere ...
Höchste Sicherheitsstufe im Nobel-Institut in Oslo vor der offiziellen Pressekonferenz der Preisträger, zutritt nur durch mehrere Polizeischleusen. Dazu gehört auch Schnüffelnase Tommy: Der fünfjährige Polizeihund ist auf Sprengstoff trainiert und beschnüffelt jede Tasche.

Sie hofft, die Furcht eines Tages überwinden zu können, frei und ohne Angst leben zu können. Wieder zittert ihr die Stimme, als sie berichtet, wie schwer es war, als Frau mit der ganzen Scham über das Erlebte an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch nur dadurch sei es möglich gewesen, auf das Schicksal der Jesiden aufmerksam zu machen und den Blick der Welt darauf zu richten.Und auch Mukwede sagt: „Vergewaltiger können weitermachen, weil Frauen schweigen.“

Murad und Mukwede schicken einen Appell an die Welt 

Wenn Nadia Murad und Denis Mukwede am Montag im Rathaus von Oslo den Preis entgegennehmen, wird ihr Kampf gegen sexuelle Gewalt und ihr Einsatz für die Opfer, das versichern beiden, nicht beendet sein. Sondern erst richtig beginnen.

Und beide schicken von Oslo aus  einen gemeinsamen Appell an die Welt, an Regierungen, an die Menschen und speziell an die Jugend: Es gibt noch so viel Gewalt auf der Welt, erhebt eure Stimme, schaut hin. Geht auch kleine Schritte. Und hört nicht auf, bevor Opfern und Tätern international Gerechtigkeit widerfahren ist. „Kein Täter des IS stand bislang vor Gericht“, sagt Nadia Murad.