Wenn man Donald Trump glauben kann, dann starb der gefährlichste Dschihadist der Welt „wie ein Hund“. Abu Bakr al-Bagdadi, der Chef des Islamischen Staates, wurde von US-Elitesoldaten im Nordwesten Syriens in einen Tunnel getrieben. „Wimmernd, heulend und schreiend“ und außer sich vor Angst habe Bagdadi seine letzten Minuten verbracht, sagte Trump in Washington. Der IS-Chef zerrte demnach drei seiner Kinder mit in den Tunnel und zündete eine Selbstmordweste.
Trump beschrieb das Ende des Dschihadisten im Detail, weil er hofft, dass sich potenzielle Anhänger der Extremisten von dem IS-Chef abwenden, der noch vor wenigen Jahren große Teile von Syrien und Irak beherrschte. Bagdadi sei ein Feigling gewesen, sagte Trump. Die USA haben den IS mit Bagdadis Tod zwar enthauptet, aber nicht besiegt. Die Extremisten arbeiten seit längerem an einer globalen Terror-Strategie.
Zwei Wochen lang hätten die US-Geheimdienste den IS-Chef im Visier gehabt, sagte Trump. Als der 48-jährige Bagdadi schließlich mit seiner Familie in einem Anwesen nahe des Dorfes Barisha in der syrischen Provinz Idlib wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt ankam, fiel die Entscheidung, ihn dort zu stellen.
Soldaten erwischen Bagdadi zu Hause
Die US-Soldaten sprengten Löcher in die Wand von Bagdadis Haus und töteten mehrere Mitglieder seiner Leibwache sowie mindestens zwei Frauen. Elf Kinder wurden unversehrt in Sicherheit gebracht. Bagdadi selbst flüchtete laut Trump mit drei Kindern in den Tunnel – eine Sackgasse. Als er sich und die Kinder in die Luft sprengte, stürzte der Tunnel ein. Eine schnelle DNA-Analyse der zerfetzten Leiche ergab, dass es sich bei dem Toten um den 48-jährigen Bagdadi handelte. Trump sagte, Bagdadi sei nach Idlib gekommen, um nach der militärischen Niederlage des IS im Frühjahr die Dschihadisten-Gruppe neu aufzubauen. Bagdadis könnte auch dort gewesen sein, um mit seiner Familie in die Türkei zu fliehen.
Bagdadis Tod ist der zweite spektakuläre Schlag gegen den internationalen Dschihadismus in jüngster Zeit. Auch der Sohn des ehemaligen Al-Kaida-Anführers Ossama bin Laden, Hamza bin Laden, soll irgendwann zwischen 2017 und Anfang dieses Jahres bei einer US-Militäraktion getötet worden sein.
Bagdadi wusste, dass seine Zeit ablief. Schon Monate vor seinem Tod hatte er einen Nachfolger bestimmt; in seiner letzten Video-Botschaft vom Frühjahr wirkte Bagdadi stark gealtert und entweder krank oder verwundet. Abdullah Qardash, ein früherer irakischer Offizier unter Diktator Saddam Hussein, wurde im Sommer zum künftigen IS-Chef gekürt. Bagdadi und Qardash hatten sich im Jahr 2003 in amerikanischer Haft im Irak kennengelernt. Trump sagte, die USA seien nun auf der Jagd nach Bagdadis Nachfolgern.
Terrormiliz arbeitet an globaler Strategie
Auch ohne Bagdadi an der Spitze werde die Ideologie des IS fortleben, betonte der Sicherheitsexperte H.A. Hellyer vom britischen Royal United Services Institute. Die Bedeutung von Bagdadis Tod dürfe nicht überbewertet werden, schrieb Hellyer auf Twitter. „Die Gruppe wird sich verändern – sie wird nicht verschwinden“, schrieb er über den IS.
Die Terrormiliz ist längst dabei, sich von ihrem geographischen „Kalifat“, das im Frühjahr endgültig besiegt wurde, zu lösen und auf Anhänger in aller Welt zu setzen. Im Zuge einer Neuordnung der IS-Gebiete wurde die Bedeutung der Kerngebiete Syrien und Irak für die Terrormiliz abgestuft, während „Provinzen“ in Afrika und Asien aufgewertet wurden, wie die Terrorexperten Charlie Winter und Aymenn al-Tamimi im US-Magazin „The Atlantic“ schrieben. Sie interpretierten deshalb die Oster-Anschläge von IS-Anhängern in Sri Lanka, bei denen im April fast 260 Menschen starben, als „Test“ für die neue IS-Strategie.
Zwar gibt es in der IS-Führung auch Spannungen, etwa zwischen irakischen Ex-Offizieren wie Qardash und anderen Gruppen wie Extremisten aus Zentralasien. Zudem können IS-Gruppen im Irak, Syrien, Jemen, Libyen und anderen Ländern häufig nur schwer miteinander kommunizieren.
Doch der IS setzt auf den Fortbestand der Gruppe in vielen Teilen der Welt. Im Sommer veröffentlichte die Terrormiliz eine Serie von Videos, in denen Kämpfer aus Nordafrika, den Philippinen, der Türkei, dem Kaukasus und Afghanistan ihre Gefolgschaft zu Bagdadi bekunden. Nach Berichten britischer Medien fanden sich auf einer Computer-Festplatte, die bei getöteten IS-Kämpfern in Syrien gefunden wurden, auch Pläne für neue Anschläge in Europa. Auch Qardash wird sich auf die Loyalität von IS-Anhängern außerhalb von Syrien und Irak verlassen können.
Abu Bakr al-Bagdadi
Selbst für seine Anhänger war er ein Phantom: Äußert selten wandte sich IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi an die Kämpfer. Im April rief er per Videobotschaft dazu auf, den Kampf fortzusetzen. Erst im September hatte al-Bagdadi per Audiobotschaft noch zur Befreiung von IS-Streitern in kurdischer Gefangenschaft aufgerufen. Nur ein Auftritt ist bekannt, als er 2014 von Mossul aus den Kalifat des Islamischen Staats ausrief. Sein Aufenthaltsort blieb lange ein Rätsel, die USA schrieben ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar (22,5 Millionen Euro) aus. (mim)