Eigentlich ist hier alles adrett und aufgeräumt. Der CDU-Politiker Andreas Jung sitzt in seinem Büro in einem Hinterhaus am Konstanzer Münsterplatz. Er sieht den mächtigen Kathedralturm, sein Lieblings-Döner liegt gleich um die Ecke. Doch Jung, der sich als Bundestagsabgeordneter längst einen Namen gemacht hat, empfindet es als zu ruhig. Er zeigt aus dem Fenster und weist auf den verwaisten Spielplatz am Münsterhügel. Wo sonst Kinder im Gerüst klettern, herrscht eine Menschenleere. Das erinnert den 44-Jährigen daran, dass seine beiden Jungen (zwei und vier) ebenfalls nicht spielen dürfen und die Eltern mit der Frage löchern: Warum dürfen wir nicht raus?
Er hat noch weniger Zeit als sonst
Noch eine Frage muss ihnen ihr Vater beantworten. Warum hast du noch weniger Zeit als sonst? Dann könnte er ihnen erzählen von der Schuldenbremse, die eben gelockert wurde, von den 156 Milliarden Euro für ein Hilfspaket und davon, dass Politik in Coronazeiten anders funktioniert als sonst. Und dass ihr Vater nun einmal Teil des Berliner Räderwerks ist, das die Bundespolitik derzeit vorantreibt.

Jetzt ist Konstanz ein Stück weit Hauptstadt, ebenso wie Waldshut oder Donaueschingen oder Überlingen. Die Volksvertreter steuern ihre Geschäfte von den Wahlkreisbüros aus, die immerhin eine passable Infrastruktur stellen. Am Küchentisch muss also keiner seine Rede fürs Plenum schreiben. Die Mitarbeiter freilich sind längst zuhause im Heimbüro. Der Abgeordnete wirft seine Kaffeemaschine selbst an. Mit vielen grünen Lämpchen und einigem Dampf tritt das Gerät in Aktion. Es wirft immerhin eine Tasse aus.
„Das Telefon steht nicht mehr still“
Der gebürtige Stockacher gehört innerhalb der Unions-Fraktion zum Führungskreis. Als Fraktions-Vize ist er für Finanzen, Steuern, Haushalt zuständig. Ums Geld geht es auch den vielen Hilferufen, die ihn täglich erreichen. Ein Gastronom will wissen, ob er vom Staat unterstützt wird. Oder: Ein Mädchen ist als Aupair in den USA, die Eltern erkundigen sich, ob man sie zurückholen kann. „Das Telefon steht nicht still“, sagt der CDU-Mann. Er klagt nicht, er tut seine Arbeit. Wenn er nachhause kommt, sind die beiden Kinder schon im Bett. Auch dort steht das Telefon nicht still. Die Privatsphäre ist derzeit stark eingeschränkt, so viel steht fest.
„Ihr macht es richtig gut,“ schreiben manche
„Da kommt eine Masse von Anliegen,“ berichtet er im Gespräch mit dieser Zeitung. „Vor 20 Jahren wäre das unvorstellbar gewesen,“ sagt er. Politik aus der Ferne war in der alten analogen Welt kaum möglich, weil der Handelnde nicht präsent ist. Dank Internet kann man heute nah dran sein, auch wenn man weit weg ist. „Ohne iPhone läuft der Staatsapparat nicht mehr,“ sagt er.
Und dann das: Sein liebstes Instrument ist eine schwarze Kladde. Sie sieht fast wie ein altes Schulheft aus. Darin notiert er sich wichtige Namen, Zahlen, Argumente oder Stichworte, denen er später nachgeht. Auf dem Tisch ein Tintenfass, Farbe Königsblau. Schwungvoll füllt er Seite um Seite. Fast wie früher, fast.

Seine Arbeit und die Arbeit der Regierung werden in diesen Tagen anerkannt. Plötzlich trudeln lobende Mails ein. „Ihr macht es richtig gut,“ schreiben manche. Umfragen belegen es bundesweit: Das Ansehen der CDU steigt messbar, während der Anteil radikalen Parteien sinkt. Auch, weil sie in der Sache nichts zur Bekämpfung der Krise beitragen.
Plötzlich fährt er alleine mit dem Auto nach Berlin
Er zeigt erneut aus dem Fenster. Einsam parkt ein kleiner Mercedes. Damit fuhr der CDU-Bundestagsabgeordnete am Dienstag nach Berlin und wieder zurück. Auto auf Langstrecke geht eigentlich gegen die Überzeugung des Ökologen Jung. Doch war allen Abgeordneten dringend geraten worden, zur historischen Mittwochs-Sitzung privat anzureisen statt mit dem Flugzeug. Nicht einmal Mitfahrgemeinschaften sollten die zahlreichen Mandatsträger aus dem Süden bilden.
Die nächsten Wochen sitzt er alleine im Büro. Plötzlich ruft ein Spediteur an, dem die Arbeit ausgeht. „Hier geht es um die Existenz von Kleinbetrieben“, sagt Jung. Das Paket mit den Soforthilfen hat er mitverhandelt. Bei der denkwürdigen Sitzung unter der Kuppel des Reichstags mit den vielen leeren blauen Sesseln war er unter den Rednern. Er sagt selten Ich und häufig Wir.
Worauf er sich am meisten freut
Wie lang das Land unter dem eisernen Daumen des Virus leben wird, weiß niemand. Für den Familienvater ist aber schon jetzt gewiss, worauf er sich am meisten freut, wenn der Tag X da ist und die Ausgangsbeschränkungen fallen: Er wird mit den beiden Jungen auf den Lieblingsspielplatz auf der Reichenau ziehen. Endlich draußen.