Auch Niederlagen können stark machen. Was CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer beim Hamburger Parteitag kürzlich noch geglückt war, schlug in Stockach allerdings fehl. Die gerade zur CDU-Parteivorsitzenden Gewählte wurde gestern zwar nicht freigesprochen, dafür schrammte sie aber noch einmal am finanziellen Ruin vorbei: Mit seinem Urteil über drei Eimer Wein zu je 60 Liter und die Verpflichtung für die „Putzfrau Gretel“ aus dem saarländischen Landtag, im Stockacher Narrenstüble einmal kräftig sauber zu machen, fällte das Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken ein maßvolles Urteil.

Freundlich aufgenommen

So viel Milde war freilich nicht abzusehen. Schon beim Empfang des Narrengerichts am Morgen gab sich die so genannte AKK kämpferisch. Mit rotem Barett und Pech-schwarzer Robe, besetzt mit gelbem Band und roter sowie grüner Blume zeigte sie sich koalitionstechnisch offen in fast alle Richtungen. Neben ihren stattlichen Bodyguards wühlte sich die zierliche Person freundlich grüßend durch die Menge der Honoratioren. Auch ihr Mann Helmut Karrenbauer, gelernter Bergbauingenieur, kämpfte sich im Tross der Vorsitzenden durch den Saal. Er sei noch „völlig entspannt“, sagte der Vater dreier Kinder dem SÜDKURIER später. So sei er „neugierig, was der Tag bringt.“ Beide waren schon am Mittwoch mit dem Auto an das Tor zum Bodensee gefahren, wo sie bei ihrer Ankunft von zwei, so Karrenbauer, „verkleideten Männern“ höflich empfangen worden seien, ehe sie im Hotel Goldener Ochsen Quartier nahmen. Freundlich seien die Badener und interessiert, fügt er an.

Warmherziger Empfang für die "Partei-Mutti"

Eine Kostprobe erhielten sie beim Umzug durch die Altstadt. Alt-Stockacher dürften sich noch erinnern: Genau so begrüßten sie schon einmal mit Angela Merkel eine Parteivorsitzende, die noch einen kometenhaften Aufstieg bis ins Kanzleramt vor sich haben sollte. Als „Edelputzmann von Ann Kann-Komm“ stürmte der Pfullendorfer Hermann Müller mit Schürze und Kehrschaufel auf sie zu und riet ihr, im Kanzleramt künftig keinen Dreck unter den Teppich zu kehren. Beeindruckt von der Europa-Hymne durch den Eintracht-Chor Udo Krummels im Badischen Hof gelang es Inhaber Hermann Schmeißer, der Angeklagten einen Eintrag ins Gästebuch abzuluchsen.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit Ehemann Helmut Karrenbauer beim närrischen Rundgang durch die Stockacher Innenstadt. Bild: ...
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit Ehemann Helmut Karrenbauer beim närrischen Rundgang durch die Stockacher Innenstadt. Bild: Ramona Löffler | Bild: Löffler, Ramona

Narrenrichter Jürgen Koterzyna ließ noch vor der Sitzung des Narrengerichts durchblicken, dass er und sein Gremium an diesem sonnigen „Hans-Kuony-Tag“ alles auf Strafwein setzen würden. Und das, obwohl dem Vernehmen nach der Weinkeller der Narrenrichter noch gut gefüllt sein soll. Der Verdacht liegt also nahe, dass die Richter mit dem Trinken nicht mehr hinterherkommen. Was dem Narrenrichter aber gar nicht passte: AKK hatte ihn als „raffgierige Robe“ verunglimpft. Und das kommt vor Gericht gewöhnlich nicht gut an.

Empfang für die Politikerin aus dem Saarland im Bürgerhaus Adler Post. Stockacher Bürgerinnen verteilten gekochte Eier mit Aufklebern ...
Empfang für die Politikerin aus dem Saarland im Bürgerhaus Adler Post. Stockacher Bürgerinnen verteilten gekochte Eier mit Aufklebern und forderten einen Freispruch für AKK. Bild: Ramona Löffler | Bild: Löffler, Ramona

Einen Vorgeschmack auf das, was die Angeklagte am Abend erwarten sollte, bekam AKK von den Richtern schon beim Empfang. Sie biedere sich bei den Grünen an, rüffelte Koterzyna die Angeklagte, der in Anlehnung an einen alten Versprecher der Titel "Parteivorsitzende der Sozialdemokratischen Deutschen Union" verpasst wurde. Der Narrenrichter empfahl ihr, es doch besser auf der Internetplattform Elitepartner.de zu versuchen: „Da gibt’s Partner mit Niveau“, meinte er und ließ offen, woher er das so genau wissen wollte. Gut nur, dass die Grünen-Landtagsabgeordnete Nese Erikli da noch nicht im Saal war, sie hätte womöglich heftigen Protest eingelegt.

Das Lied von der Unschuld

Wie alle Angeklagten vor ihr beharrte auch AKK darauf, vollkommen unschuldig zu sein. Im Vorfeld wollte sie gehört haben, dass sich das Gericht schon festgelegt habe: auf eine Strafe von sechs Eimern Wein und ihre Entfernung aus allen Ämtern, wie es am Abend auch die Anklage fordern sollte. Ihr Mann Helmut habe aber empfohlen: „Es wäre besser, wenn wir die Entfernung aus politischen Ämtern wählen, das andere können wir uns nicht leisten.“

Er verteidigte die Angeklagte: Fürsprech  Michael Nadig. Bilder (3): Ramona Löffler
Er verteidigte die Angeklagte: Fürsprech Michael Nadig. Bilder (3): Ramona Löffler | Bild: Löffler, Ramona

Mit einem Freispruch rechneten den Tag über allerdings nur wenige. Zu dem kleinen Häuflein der Gutmeinenden gehörte Andreas Jung, Chef der CDU-Landesgruppe im Bundestag und gebürtiger Stockacher. „Ich gehe von einem Freispruch aus“, sagte der bekennende AKK-Anhänger auf Nachfrage. Sie habe sich rein gar nichts vorzuwerfen, alle Anklagepunkte seien schon entkräftet. Richtig lag da eher Ex-Ankläger Thomas Warndorf, der erst kürzlich nach 18 Jahren seine Robe an den Nagel gehängt hatte. „Mein Tipp: drei Eimer,“ sagte der erfahrene Narrenjurist knapp auf Nachfrage, und sollte damit goldrichtig liegen. Mit seinem Entschluss vor einem Jahr, dem Narrengericht den Rücken zu kehren, schien der Pensionär allerdings bis heute zu hadern. Das Gefühl sei schon „sehr merkwürdig“, fügte er an. „Wenn man auf einmal da steht, ein Brötle in der Hand und sich sagen muss: Was tu ich da?“

Stuhlproben als Beweise

Seinem Nachfolger war nicht so melancholisch ums Herz. Wolfgang Reuther, genannt Häuptling Scharfe Zunge, machte seinem Spitznamen am Abend in der übervoll besetzten Jahnhalle alle Ehre und scheute vor nichts außer dem hohen Narrengericht zurück. Ob es die Präsentation dreier Stuhlproben war, die er bei den politischen Alphatieren Lafontaine, Tauber und Merz eingesammelt haben wollte, oder ob er sich in schneidigem Ton festbiss an dem Thema des „deklarierten Favoriten“ bei der Wahl der CDU-Parteivorsitzenden kürzlich, der doch von AKK schmählich „ausgemerzt“ wurde: Das Publikum tobte angesichts der verbalen Attacken, mit denen sich der Ankläger in gekonntem Vortrag fast noch selbst ins Abseits katapultierte. Dafür brummte das Narrengericht dem Ankläger schon bei seinem ersten Auftritt eine deftige Ordnungsstrafe auf, natürlich in Wein zu begleichen. Fazit: Der Ton der Anklage wird rauher.

Talentierte Selbstverteidigung

Überragend war denn auch die wortgewaltige Selbstverteidigung der Angeklagten selbst, die sich mit heftigen Attacken gegen das Gericht und den Kläger zur Wehr setzte. Flankiert von Fürsprech Michael Nadig versuchte die „Partei-Mutti“, das Männergremium zu schleifen: „Wann ist jemals etwas Positives herausgekommen, wenn 20 Männer ohne eine Frau zusammensitzen?“ Für Ankläger Reuther hatte sie hingegen nur Mitleid übrig. Als Narrenrichter ebenso gescheitert wie als CDU-Landtagskandidat ausgerechnet gegen eine Frau, nutze der Ankläger diese Sitzung als Traumatherapie, rief sie vor laufenden SWR-Kameras in den johlenden Saal. „Da kann er fast eine Selbsthilfegruppe mit Friedrich Merz aufmachen“, eben jenem „Ausgemerzten“ bei der Wahl der Parteivorsitzenden.

Fasnachtsbräuche zwischen Schwarzwald, Alb und Bodensee

Neben dem Narrengericht von Stockach
finden in der Region zahlreiche weitere Fasnachts-Bräuche statt. Im Folgenden
ein Überblick:

  • In Sigmaringen wird am Fasnachtsdienstag gebräutelt: Dazu werden Hochzeiter (Bräutlinge) auf einer allerdings gepolsterten Bräutlingsstange um den Rathausbrunnen herum getragen. Dieser Brauch stammt noch aus der Zeit des 30-jährigen Krieges, als immer seltener geheiratet wurde.
  • In Konstanz am Obermarkt tagte am Schmotzigen ein weiteres Narrengericht, das Jakobinertribunal. Angeklagter war Wolfgang Mettler, pensionierter Lehrer und passionierter Fasnachtler.
  • In Schramberg lassen mutige Narren am Fasnachtsmontag wieder zur Bach-na-Fahrt ihre Zuber zu Wasser, um sich wagemutig auf den Fluten hinabzustürzen. Beginn ist um 13 Uhr.
  • In Bräunlingen: Eine Besonderheit der Narrenzeit in Bräunlingen ist die Schauspielfasnet am Rosenmontag. Bis ins Mittelalter lassen sich entsprechende Aufführungen in der Stadt belegen. Heute organisieren 300 Teilnehmer in der Stadthalle das Schauspiel. Die Themen wechseln von Jahr zu Jahr. Die Bräunlinger Narrenzunft Eintracht verfügt daher seit 1890 über einen stetig wachsenden Kostümfundus, aus dem sich die Darsteller bedienen. Als 2014 die Stadthalle wegen Renovierung gesperrt war, starteten die Narren zur Schauspielfasnet ein römisches Wagenrennen in der Innenstadt.
  • Meßkirch: Vor dem närrischen Gericht der Meßkircher Katzenzunft muss sich in diesem Jahr am Schmotzigen Dunschtig Bernd Gombold, der Bürgermeister der Nachbargemeinde Inzigkofen, verantworten. Gombold gilt als wortgewaltig, er hat sich in der Vergangenheit als erfolgreicher Autor von Lustspielen für Laientheater einen Namen gemacht. Beim Meßkircher Narrengericht wird den Angeklagten nach der Verurteilung die Nase geschliffen.
  • In Überlingen veranstalten die Narren seit 1964 den Hänselejuck (Hänselelaufen) am Fastnachtssamstag ab 19 Uhr in der Altstadt, die stimmungsvoll mit bengalischem Feuer beleuchtet ist. Dabei werden auch diesmal mehr als 1000 Hänsele die Franziskanerstraße hinunterlaufen und in der Christophstraße und der Jakob-Kessenring-Straße ihren Schabernack mit den Zuschauern treiben.
  • In Tiengen muss sich der Landrat des Kreises Waldshut dem Malefiz-Narrengericht in der historischen Altstadt stellen. Jedes Jahr wird eine regional bekannte Person abgeurteilt. Beginn ist am Fasnachtssamstag, 11.11 Uhr.
  • In Löffingen geht es am Fasnachtsmontag schaurig zu. Die Löffinger Hexen führen das beliebte Hexenspektakel der Walpurgisnacht auf, mit musikalischer Unterstützung der Stadtmusik.
  • In Rottweil gibt es am Fasnachtsmontag um 8 Uhr in der Frühe den bekannten Narrensprung. Dabei strömen die Narren zum Glockenschlag durchs Schwarze Tor. Ein zweiter Narrensprung wird am Dienstagmorgen, ebenfalls um 8 Uhr, veranstaltet, der dritte am Dienstagnachmittag um 14 Uhr. Anschließend findet auf den Straßen ein Narrentreiben statt. Die Rottweiler Narren treffen sich seit 1963 gemeinsam mit den Zünften aus Elzach, Überlingen und Oberndorf als Viererbund. (sk)

Prominente vor dem Narrengericht

Franz Josef Strauß (1915-1988), CSU, wurde 1979 in Stockach vorgeladen. Der einstige Minister musste als bayerischer Ministerpräsident seine Strafe statt Wein in Bier begleichen.

Hans-Dietrich Genscher (1927-2016), 1984 Bundesaußenminister und FDP-Vorsitzender, stand wegen Umschwenkens von der SPD auf die CDU vor Gericht.

Angela Merkel, damals Vorsitzende der CDU und Oppositionspolitikerin, wurde anno 2001 in Stockach angeklagt. Ihr politisches Stehvermögen als Kanzlerin war später unumstritten.

Günther Oettinger, CDU, wurde 2007 als Ministerpräsident Baden-Württembergs vor das Narrengericht zitiert. Der Schnellredner floh später nach Brüssel.

Frank-Walter Steinmeier, inzwischen Bundespräsident, versprach bei seiner Anklage 2011, er werde den Schwarzen heimleuchten. Das gelang ihm bis heute nicht.

Philipp Rösler, einst FDP-Chef und Vizekanzler, musste sich 2012 vor dem Narrengericht verantworten. Nach dem Ende von Schwarz-Gelb wanderte er in die Schweiz aus.

Heiner Geißler, (1930 -2017), einst CDU-Generalsekretär, kam als Schlichter von Stuttgart 21 wegen Sprengens von Denkmälern vor das Narrengericht. Er wurde mit nur drei Eimern Wein bestraft.

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident, erhielt 2014 die Höchststrafe mit drei Eimern Wein und 200 Litern Bier. Sein keckes Mundwerk kam bei den Narrenrichtern nicht gut an.

Peter Altmaier, einst Kanzleramtsminister, wurde 2015 mit dem wohl mildesten Urteil aller Zeiten belegt. Er musste nur einen Eimer Wein bereitstellen. Zeuge war Cem Özdemir.

Alexander Dobrindt, bayerischer CSU-Politiker und Verkehrsminister im Bund, wurde 2016 trotz seiner fulminanten Verteidigungsrede zu drei Eimern Wein verdonnert.

Thomas Strobl, baden-württembergischer Innenminister mit CDU-Parteibuch, kassierte im vergangenen Jahr in Stockach mit 246 Litern eine der höchsten Strafen der Narren. Und das, obwohl er sich selbst grandios verteidigt hatte.