Dieser Rückschlag hat der Kanzlerin gerade noch gefehlt. Die dritte Corona-Welle rollt, seit Wochen bietet Angela Merkel alle Kräfte auf, um im Kampf gegen die Pandemie die Kontrolle zurück zu gewinnen und den 16-Länder-Staat Deutschland auf eine einheitliche Linie einzuschwören. Jetzt verhagelt ihr das Debakel um Astrazeneca alle Bemühungen. In der Bevölkerung schwindet nicht nur das Vertrauen in den Impfstoff, sondern vor allem das Vertrauen in die politische Führung. Anstatt sich auf Corona zu konzentrieren, so der fatale Eindruck, verzettelt sich die Politik in Machtkämpfen – Merkel und ihre Partei inklusive.
Warum die Umfragewerte sinken
Und so rauschen derzeit vor allem bei CDU und CSU sämtliche Umfragewerte in den Keller. Das ist erstaunlich, weil die Bundesrepublik im ersten Jahr der Pandemie vergleichsweise gut durch die Krise kam – was sich in einem enormen Zuspruch für Merkel und die Regierungsparteien niederschlug. Inzwischen scheint alles verspielt. Der Lockdown nervt, die Impfkampagne ist vermasselt, die Absprachen von Bund und Ländern wirken nur noch chaotisch. Mit ihren Videokonferenzen kommen Kanzlerin und Ministerpräsidenten nicht mehr weiter: Das Fiasko mit dem Gründonnerstag, der nach einer offenbar spontanen Idee zum Ruhetag werden sollte, gab den Blick in einen Abgrund frei. Wenn Deutschland die weiteren Wellen der Pandemie gut überstehen will, braucht es besser vorbereitete Abstimmungen zwischen Bund und Ländern.
Wofür hat sich Merkel eigentlich entschuldigt?
Die Kanzlerin, auch das ist ungewöhnlich, hat sich für ihren Fehler entschuldigt. Aber wofür eigentlich? Anstatt nach der Gründonnerstags-Pleite ihre Lockdown-Strategie zu hinterfragen, geht Merkel mit der Brechstange gegen die Riege der Ministerpräsidenten vor – und macht dabei ihren eigenen Parteichef nieder. Kaum im neuen Amt angekommen, steht Armin Laschet als CDU-Vorsitzender unter Druck. Die Kanzlerin ohrfeigt ihn öffentlich wegen seiner eher moderaten Corona-Politik, Konkurrent Söder feixt, Parteifreunde wenden sich ab. Und so einer will Kanzlerkandidat der Union werden und im Herbst Merkels Erbe antreten? Mit halsbrecherischem Tempo fährt sich die Union derzeit selbst gegen die Wand.
Deshalb muss auch Söder aufpassen. Noch vor Pfingsten will die Union über ihren Kanzlerkandidaten entscheiden. Der CSU-Chef spekuliert offenkundig darauf, aus dem Konflikt zwischen Laschet und Merkel als lachender Dritter hervorzugehen – und streut emsig Salz in die Wunden. Es sei seltsam, wenn der CDU-Vorsitzende mit der CDU-Kanzlerin ein halbes Jahr vor der Wahl streitet, sagt Söder. Eine andere Frage ist, ob sich solche Seitenhiebe für ihn auszahlen. Ellbogen und hämische Bemerkungen sind keine gute Strategie, um ins Kanzleramt zu kommen.
Flickenteppich statt klare Entscheidungen
Die beste Corona-Politik hilft nichts, wenn den Bürgern das Vertrauen fehlt – in Sinn und Zweck von Einschränkungen, in den Impfstoff, in die Regierenden, in das gesamte föderale System. In der größten Krise der Nachkriegszeit erwarten viele Bundesbürger keinen Flickenteppich, sondern klare Entscheidungen. Merkel würde sie gerne liefern, doch viele Corona-Maßnahmen sind Ländersache – und in deren Kompetenzen kann die Kanzlerin nicht eingreifen. So bleibt es beim diffusen Bild, die Politik verheddere sich immer stärker im Gestrüpp eines handlungsunfähigen Föderalstaats. Das Kanzleramt will mit einem harten Lockdown die dritte Welle brechen, die Ministerpräsidenten bremsen, und in den Kommunen vor Ort sieht die Lage ohnehin anders aus. Ob bei hohen Inzidenzahlen die vereinbarten Notbremsen wirklich gezogen werden, entscheiden meist die Landkreise in eigener Regie. Die meisten von ihnen denken nicht daran.
Das alles wird nicht nur Folgen für die Pandemiebekämpfung haben, sondern auch für das Verhältnis der Bürger zum Staat. Alle Umfragen zeigen, wie heftig das Virus das Parteiensystem ins Wanken bringt und wie unvorhersehbar die Stimmung bleibt. Bis zur Bundestagswahl im September kann sich noch vieles ändern. Sicher ist nur: Angela Merkel tritt ab. Alles andere ist offen.