Im Nahen Osten bilden sich nach den Umwälzungen des Jahres 2024 neue Machtverhältnisse heraus. Russland ist erst einmal aus dem Spiel, die USA wollen sich aus der Region zurückziehen, der Iran steht geschwächt da. In dieses Vakuum drängen jetzt andere Mächte, vorneweg die Türkei, Israel und arabische Staaten.

Zu Beginn des Jahres waren jahrelang gewachsene Machtverhältnisse in der Region trotz des Krieges in Gaza noch intakt. Im Großkonflikt zwischen Israel und dem Iran hüteten sich die Kontrahenten vor der direkten Konfrontation und einem regionalen Krieg.

Völlig veränderte Region

Im Libanon hielt die Hisbollah Hunderttausende Raketen bereit, beließ es aber bei Nadelstichen gegen Israel. In Syrien behaupteten Russland, die Türkei und die USA ihre Einflusszonen. Doch die Fronten zwischen den syrischen Regierungstruppen und der einzigen noch verbliebenen Rebellenhochburg Idlib hatten sich seit Jahren nicht mehr bewegt.

Am Ende von 2024 ist die Region völlig verändert. Israel setzte die Regeln der Auseinandersetzung mit dem Iran außer Kraft und startete eine Kaskade, die die alten Machtverhältnisse einriss. Die Rechtsregierung in Jerusalem nutzte dabei die Überlegenheit ihrer Armee und die kompromisslose Unterstützung des Westens.

Als Reaktion auf den Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 griff Israel zunächst die Hamas in Gaza an und eröffnete dann zusätzlich eine Offensive gegen den iranischen Partner Hisbollah, mit der die pro-iranische Miliz praktisch entwaffnet wurde.

Palästinenser-Staat in weiter Ferne

Die Hamas wollte mit dem 7. Oktober die Palästinenserfrage wieder auf die internationale Tagesordnung setzen und eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien verhindern. Heute erscheint die Schaffung eines Palästinenserstaates unwahrscheinlicher denn je; stattdessen reden israelische Politiker über eine Annexion des Westjordanlandes. Israel und Saudi-Arabien kommen laut Medienberichten bei den Verhandlungen über ein Friedensabkommen voran.

Mit der Niederlage der Hisbollah im Herbst brach die iranische Strategie, den Libanon als Vorposten gegen Israel zu nutzen, in sich zusammen. Kurz darauf kappte der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad im Dezember auch die Verbindungswege der Iraner zum Mittelmeer.

Nun könnte der Iran nach Einschätzung der US-Regierung versuchen, möglichst schnell eine Atombombe zu bauen, um als Nuklearmacht neue Druckmittel in die Hand zu bekommen. Iran-Gegner in Israel und den USA fordern deshalb einen möglichst baldigen Angriff auf die Islamische Republik, um auch das theokratische Regime zu stürzen.

Amerika will die Lücke nicht füllen

Assads Flucht aus Syrien beendete vorerst auch den Anspruch Russlands auf eine Rolle im Zentrum des Nahen Ostens. Moskau plant jetzt, auf das nordafrikanische Libyen als Standort am Mittelmeer auszuweichen, aber in Syrien spielt Russland vorerst nicht mehr mit.

Amerika will diese Lücke nicht füllen: Trump hat erklärt, keine neuen Kriege in Nahost anzetteln, sondern die USA aus der Region zurückziehen zu wollen. Als erstes könnten schon bald nach Trumps Amtsantritt die 2000 in Syrien stationierten US-Soldaten nach Hause beordert werden.

Spielball der Nachbarländer

Wenn Trump seine Ankündigung umsetzt, werden regionale Akteure im Nahen Osten umso stärker werden. Syrien wird trotz der Befreiung vom Assad-Regime und des Rückzugs von Russland und Iran auf absehbare Zeit ein Spielball seiner Nachbarländer bleiben. Israel bombardiert weiterhin Militäranlagen, um ein Wiedererstarken pro-iranischer Gruppen in Syrien zu verhindern, und weitet die Pufferzone entlang der Grenze zu Syrien aus.

Die Türkei, die Teile Nordsyriens besetzt hält, setzt Ankara-treue syrische Milizen gegen die syrischen Kurden in Marsch. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat aktuell mehr Einfluss auf die neuen Machthaber in Syrien als alle anderen ausländischen Politiker.

Ruhig wird es nicht werden

Im neuen Jahr könnten deshalb Spannungen zwischen Türken und Arabern aus der Zeit des Arabischen Frühlings von 2011 wieder aufbrechen: Die Türkei unterstützt Gruppen wie die syrische Hajat Tahrir al-Scham, die der islamistischen Muslimbruderschaft nahestehen; die Bruderschaft wird von einigen arabischen Staaten jedoch als Terrororganisation verfolgt. Saudi-Arabien und andere Länder sind erleichtert über die Schwächung des Iran, wollen eine Dominanz der Türkei und ein Comeback der Muslimbruderschaft aber verhindern.

Der Nahe Osten wird Anfang 2025 ganz anders aussehen als vor einem Jahr. Doch eines scheint jetzt schon festzustehen: Ruhig wird es in der Region auch im neuen Jahr nicht werden.