Schon vor dem großen Showdown schien das Ende klar: „Lützi“ bleibt eben nicht. Womöglich schon an diesem Wochenende wird die Polizei die Klima-Aktivisten, die seit Monaten im nordrhein-westfälischen Dörfchen Lützerath hausen, vollständig vertrieben haben.

Der Traum, bis ins Frühjahr hinein auszuharren, bis der Naturschutz Rodungen unmöglich machen und den ersten Baggerbiss um Monate verzögern würde, scheint ausgeträumt, noch bevor er angefangen hat. Und in ein paar Wochen wird die mediale Aufregung ums letzte Kohlerevier in Nordrhein-Westfalen in Vergessenheit geraten sein.
Es brodelt bei den Grünen
Stopp! Ganz so einfach ist es auch wieder nicht: Zumindest zwei Gruppen dürften Lützerath so schnell nicht vergessen – die Grünen und die Klima-Aktivisten. 2000 Grünen-Mitglieder hatten bis Freitag einen offenen Brief für den Erhalt des Dorfs unterzeichnet. Es brodelt, nicht nur an der Basis.
Dass „Lützi“ Sprengkraft für die Öko-Partei beinhaltet, zeigte sich schon beim Parteitag im vergangenen Oktober in Bonn: Nur ganz knapp verfehlte da ein Antrag der Grünen Jugend auf die Aussetzung der Kohleabbau-Pläne die Mehrheit des Parteitags, dessen Delegierte bekanntlich nicht nur aus dem einfachen Parteivolk stammen.

Die Klimabewegung – das sind die Jungen, das ist die Zukunft der Partei, oder vielleicht war sie es auch. Denn hier tut sich eine wachsende Kluft auf: zwischen der Regierungspartei, die Kompromisse schließen und Recht umsetzen muss, und Klimaschützern, die auf stur ihre Ideale pochen.
Entscheidungen gegen alle Tabus
Nirgends wird das Dilemma der Grünen so deutlich wie dieser Tage in Lützerath. Angesichts von Ukraine-Krieg und Energiekrise muss die Partei seit Monaten eine Kröte nach der anderen schlucken: Ausgerechnet unter dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck wird Fracking-Gas importiert, werden trotz Umweltbedenken LNG-Terminals in der Ostsee gebaut, bleiben die Atomkraftwerke (ein wenig) länger am Netz.
Und ausgerechnet die Grünen, die sogar die Außenpolitik fürs Klima nutzen wollen, haben mit ausgehandelt, wie der Energiekonzern RWE Kohle baggern darf.
Das macht alles gar keinen guten Eindruck, genauso wie die Bilder, die in Lützerath gerade geschossen werden. Doch am Ende zählen ja nicht Bilder und Stimmungen, sondern Taten und Fakten. Aufgabe einer Regierungspartei ist es nicht, bei der eigenen Klientel zu punkten, sondern zum Wohl des Landes zu agieren, auch wenn das bedeutet, dass man unbequeme Kompromisse schließen muss.
Viel zu lange auf Gas gesetzt
Ob die Kohle unter Lützerath nun absolut notwendig ist für den Standort Deutschland oder nicht, darüber streiten sich die Gelehrten seit Monaten. Die Grünen zitieren diese Studien, die Lützerath-Aktivisten andere. Wem soll man nun glauben? Dem Klima-Laien bleibt da nur der gesunde Menschenverstand.
Es liegt jedenfalls auf der Hand, dass die deutsche Politik viel zu lange auf russisches Gas gesetzt hat, um nun auch noch auf die Kohle verzichten zu können. Zumal weder Windkraft noch Photovoltaik oder Atomkraft in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Wird diese Kohle nicht in Garzweiler 2 abgebaut, kommt sie eben aus den USA oder aus Australien. Das macht für die CO2-Bilanz keinen Unterschied, jedenfalls nicht zum Positiven.
Die Klima-Aktivisten kämpfen in Lützerath einen verlorenen Kampf: Denn dass RWE hier baggern darf, daran besteht seit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom März 2022 kein Zweifel mehr. Das wissen die Anwohner, die den Ort längst verlassen haben, und das wissen auch Luisa Neubauer und Co. Der Kampf um Lützerath ist vor allem symbolischer Natur.
Der Sieg ist schon eingefahren
Man will ein Zeichen setzen für den Klimaschutz. Das ist verständlich, ja sogar aller Ehren wert, solange der Protest friedlich abläuft. Die Aktivisten ignorieren allerdings, dass sie längst den Sieg davongetragen haben – der Kohlebergbau in Deutschland ist in ein paar Jahren Geschichte. Gerade in Nordrhein-Westfalen, so wurde es von der schwarz-grünen Landesregierung mit RWE ausgehandelt, soll schon 2030 Schluss sein. Fünf Dörfer werden gerettet. 280 Millionen Tonnen Kohle bleiben unter Erde.
Damit Deutschland seine Klimaziele einhalten kann, sind aber noch gewaltige Anstrengungen nötig. Der Ausbau von Wind- und Solarenergie wird enorm anziehen müssen. Ob es auch bei den Windparks, nicht nur bei LNG-Terminals, gelingt, ein ungekanntes Tempo aufzulegen, oder ob man sich nachhaltige Energieprojekte kaputtklagen lässt, daran werden die Grünen letztlich gemessen werden. Hier wird über das Klima entschieden, nicht in Lützerath.