Wenn der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert gefragt wurde, warum er Einladungen zu Talk-Shows nicht folge, antwortete er mit dem Hinweis: Weil sie genau das sind, was ihr Name sagt: Shows. Er zielte damit auf den Kern solcher TV-Formate, die mit dem Etikett von Information leuchten, aber überwiegend reine Unterhaltung sind. Das mag in normalen Zeiten nicht weiter stören, schließlich muss sich niemand von Will, Maischberger und Co. Lebenszeit rauben lassen. Aber im Wahlkampf zu einer Bundestagswahl, die eine epochale Zäsur bringen wird, hat das Fernsehen sich dem Overkill an Oberflächlichkeit bedenklich genähert.

Bild 1: Ein TV-Triell folgt auf das nächste: Warum die Bundestagswahl zu ernst ist für Spiele-Shows
Bild: Thomas Imo/photothek.net

Schon das Wort „Triell“ mutet seltsam gestelzt an, verbirgt sich darin doch ein Duell dreier konkurrierender Kandidaten mit zwei Journalisten. Nach Art von Spiel-Shows nach gesetzten Regeln erteilen prominente Quizmaster den Bewerbern Redezeit, die sie bemüht überwachen und ständig bilanzieren.

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Informationen für das Publikum können dabei kaum herauskommen, aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht um das, was die TV-Macher am meisten lieben: Emotionen. Klar, dass nach dem Abpfiff in Blitzumfragen abgefragt wird: Welcher Bewerber hat die meisten Punkte, die sprechende Maske, der rheinische Sänger oder die Klima-Apokalyptikerin mit den angelernten Gesten? Und dann, Tusch, steht ein Sieger fest. Die Nachrichten haben ihren Aufmacher.

Das Niveau von „Geld oder Liebe“ ist fast erreicht

Das Schlimme daran ist nicht einmal, wie penetrant sich die Selbstbezogenheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in diesem politischen „Speed-Dating“ zelebriert. Ein Privatsender nannte seine Version wenigstens gleich „Bundestagswahlkampf-Show“. Wirklich übel ist das nadelstichelnde Anreißen komplexer Themen in der Hoffnung, dass sich der Befragte verhaspelt, in eine Falle tappt oder einfach irrt. Manche Themen wie Außen- und Sicherheitspolitik oder Europa kommen gar nicht mehr vor, wie das der SWR in einem Turnier mit den Spitzenkandidaten im Land fertiggebracht hat. Zu einer Bundestagswahl, in der es um die Zukunft Deutschlands geht, gipfeln die politischen Shows regelmäßig in der inquisitorischen Anweisung an die Kandidaten zu einer Antwort „Ja oder Nein“ – damit ist das Niveau von „Geld oder Liebe“ fast erreicht.

Die inszenierte Personalisierung ist systemwidrig

Die politische Seite passt sich dem natürlich an, nach dem Motto: „Wir müssen alles tun, damit …“. Die Dramaturgie der Sendung regiert; was zählt, ist die Pose.

Journalisten verfolgen im Studio H das dritte TV-Triell, die Kanzlerkandidatendiskussion bei ProSieben und Sat.1, mit den drei ...
Journalisten verfolgen im Studio H das dritte TV-Triell, die Kanzlerkandidatendiskussion bei ProSieben und Sat.1, mit den drei Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet. | Bild: Kay Nietfeld/dpa

Ob solche Formate das Wählerverhalten nachhaltig beeinflussen, ist umstritten. Sicher ist: Sie schaden. Denn die inszenierte Personalisierung ist in dieser Totalität systemwidrig. Manche rufen schon nach Umstellung auf Direktwahlen nach amerikanischem oder französischem Vorbild. Dem theatralischen Output von Politik käme das sicher zugute, nicht aber politischer Kompetenz, Seriosität oder gar Regierungsfähigkeit in einer hochkomplexen Welt. Ist Trump schon vergessen? Deshalb, wertes Gebührenfernsehen: Besinnt Euch auf die Informationskompetenz (und -pflicht) und erspart uns weitere Polit-Shows. Und schaut auf Eure manchmal verachteten Zeitungs-Kollegen, die Euch vielfach vormachen, was gekonnte Information zur Wahl bedeutet.