Sie ist zurück. Von Przemysl, der polnischen Partnerstadt von Stockach an der Grenze zur Ukraine, wo gerade viele Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet ankommen, viele von ihnen mit ihren Tieren. Julia Bierbach, Architektin und kommissarische Leiterin des Radolfzeller Tierschutzvereins, hat am vergangenen Wochenende Dinge gesehen, die niemand sehen will.

Julia Bierbach (links) und Nicole Weber vom Tierschutzverein Radolfzell vor einem der Container mit Hilfsgütern für ukrainische Tiere.
Julia Bierbach (links) und Nicole Weber vom Tierschutzverein Radolfzell vor einem der Container mit Hilfsgütern für ukrainische Tiere. | Bild: Marinovic, Laura

Nach ihrer Rückkehr in der Nacht auf Montag fand sie Zeit, mit uns zu sprechen. Neben einigen Tieren, die aus polnischen Tierheimen mitgenommen wurde, um diese zu entlasten, fuhren auch drei Frauen mit zurück nach Radolfzell: eine Mutter mit ihrer Tochter und eine junge Frau. Alle drei sind jetzt in Radolfzell, wo sie sich mit Unterstützung der Ukraine-Hilfe erholen können.

Wochenlange Arbeit ohne Pause

Am vergangenen Freitag nachts um 3 war man aus Radolfzell mit mehreren Fahrzeugen aufgebrochen, voll gepackt mit Tierboxen, Futter und weiterem Tierbedarf, berichtet Julia Bierbach. Vor Ort wollte man die Tierrettung Südbaden um Bernd Metzger entlasten, die schon einige Wochen an der Grenze zur Ukraine arbeitet und sich praktisch keine Pause gegönnt habe.

Kontaktaufnahme: Zwei Helferinnen mit zwei geretteten Hunden.
Kontaktaufnahme: Zwei Helferinnen mit zwei geretteten Hunden. | Bild: Tierschutzverein Radolfzell

Am Nachmittag kamen die Helfer dann in Przemysl an. Dort haben die internationalen Helfer eine Zeltstadt aufgebaut mit allem, was Menschen auf der Flucht gebrauchen können: Kleidung, Essen, Taschen, Tierfutter, Tierboxen, Sitzplätze zum Erholen. „Alles war tadellos organisiert“, sagt die Radolfzellerin. „Und die Menschen sind so dankbar, die bedanken sich in allen Sprachen.“

Starr vor sich hingeblickt

Am Freitag, als die Helfer aus Radolfzell ankamen, wirkten die Flüchtenden auf Julia Bierbach noch relativ stabil, fasst sie ihre Eindrücke zusammen. Am Samstag wirkten die Ankömmlinge schwächer, fast hager, und am Sonntag sah sie viele, die nur noch starr vor sich hinblickten, von weither kamen, nur einen Koffer dabei hatten, aber doch noch lächeln konnten, weil sie wussten, jetzt geht es weiter.

In Przemysl werden Menschen und Tiere erstversorgt und dann für die Weiterreise mit Bus oder Bahn vorbereitet. Alle hätten geduldig gewartet, bis sie an der Reihe waren, niemand habe gemeckert: „Das sind ganz liebe, bescheidene Leute“, sagt Julia Bierbach.

Am Ende seiner Kräfte: ein Hund bekommt Hilfe.
Am Ende seiner Kräfte: ein Hund bekommt Hilfe. | Bild: Tierschutzverein Radolfzell

Mit sich hatten sie ihre Tiere, eingepackt in allem, was sie greifen konnten: In Kartons, die halb auseinanderfielen, in Jacken, in Taschen. Manche schleppten kaputte Rollkoffer hinter sich her. „Für sich hatten sie nur das Nötigste mit, aber für die Tiere alles, von der Bürste bis zum Brillant-Halsband. Die Hunde haben gezittert vor Angst“, sagt sie. Viele Tiere waren unterkühlt, dehydriert, erschöpft und sehr hungrig.

Unterkühlte, hungrige, durstige Tiere

Auf den Bildern bei der Tierrettung Südbaden und beim Tierschutzverein auf Facebook sieht man riesige Mengen von Katzen- und Hundeboxen. Hunde, die erschöpft auf der Seite liegen, Katzen mit schreckgeweiteten Augen, eine Gruppe Meerschweinchen in einem Käfig und ein Kaninchen auf dem Behandlungstisch der Stockacher Tierärztin Franka Eylandt.

Verängstigt, aber äußerlich unversehrt: eine gerettete Katze.
Verängstigt, aber äußerlich unversehrt: eine gerettete Katze. | Bild: Tierrettung Südbaden

„Die hat gemacht, getan, gewirbelt“, staunt Julia Bierbach über die engagierte Ärztin. Kriegsverletzungen sah sie bei den Tieren nicht, allerdings etliche Bissverletzungen bei Hunden, die von der Flucht gestresst waren und dann auch mal zuschnappten. „Es braucht diese Hilfe dringend, denn es sind so viele Leute, die flüchten“, sagt Julia Bierbach über den Krieg in unserer Nachbarschaft.

Erschöpfter Hund an der Grenze.
Erschöpfter Hund an der Grenze. | Bild: Tierschutzverein Radolfzell

Manche Helfer, etwa von Peta, wagten sich sogar ins Kriegsgebiet in die Ukraine hinein, um dort die Tierheime zu evakuieren, teils unter Beschuss. Diese Tiere wurden dann nach Polen gebracht, wo die Tierheime jetzt völlig überlastet sind.

Deshalb entschlossen sich die Radolfzeller Tierschützer, aus den polnischen Tierheimen Tiere mitzunehmen, damit diese Platz für die Tiere aus der Ukraine haben. Die Tiere aus Polen werden nun in den Tierheimen Radolfzell und Friedrichshafen betreut.

„Ich bin so dankbar, dass ich helfen konnte“

Wie war es für sie als Helferin, vom beschaulichen, friedlichen Bodensee an die Grenze zu einem Kriegsgebiet zu fahren? Julia Bierbach überlegt kurz. „Als wir ankamen, haben wir einfach funktioniert“, sagt sie. Man arbeite, sei konzentriert. Erst am Abend im Hotel und vor allem auf der Rückfahrt hätten die Helfer viel gesprochen und sich ausgetauscht, das habe sehr geholfen.

„Ich bin so dankbar, dass ich hier sein darf, dass ich helfen konnte und dass meine Familie das nicht mitmachen muss“, sagt sie. Eine der geflüchteten Frauen war gerade mal 19 Jahre alt – so alt wie eine ihrer eigenen Töchter.

Darf man Tieren helfen?

Mit einem Achselzucken kommentiert die Tierschützerin Äußerungen von Menschen, die sich darüber mokieren, dass Helfer sich in der Kriegssituation um Tiere kümmern anstatt um Menschen. „Es sind so viele Helfer vor Ort, und jeder macht das, was er am besten kann. Und mein Ding sind die Tiere“, stellt sie klar. Am Ende müsse sie am Morgen in den Spiegel sehen können und nicht die Kritiker.

Angst im Blick: eine gerettete Katze wird untersucht.
Angst im Blick: eine gerettete Katze wird untersucht. | Bild: Tierrettung Südbaden

Ob die Radolfzeller Tierschützer noch einmal nach Przemysl fahren, ist noch unklar. „Das hängt davon ab, wie lange die Tierrettung Südbaden bleibt“, sagt die Tierschützerin.