1. Die Zeiten haben sich geändert.
Die Grünen sind die erste deutsche Partei, die die heilige Kuh des Individualverkehrs hart anfassen. Seit der Gründung schon steckt die Skepsis gegenüber Auto und Flugzeug tief im Erbgut der Partei. Als die Grünen 1998 einen Benzinpreis von fünf Mark pro Liter ins Magdeburger Programm schrieben, wurden sie für verrückt erklärt. 2021 sieht es anders aus: Die Klimakrise ist eine reale Gefahr. Guter Rat zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes ist wichtig. In diese Lücke stößt Annalena Baerbock mit ihrem radikal anmutenden Vorschlag. Sie ist Kanzlerkandidatin einer Partei, die laut Umfragen so stark wie noch nie dasteht. Ihr Vorstoß hat also Gewicht.
2 Fliegen ist besonders umweltschädlich
Es ist eine unbequeme Erkenntnis: Von allen Transportmitteln schaden motorisierte Fluggeräte der Umwelt am meisten. Auch wenn Fluggesellschaften ihren Passagieren häufig das Blaue vom Himmel heruntererzählen und den Ausstoß schädlicher Gase kleinrechnen, bleibt dieser Fakt stehen. Start und Landung schlucken besonders viel Energie. Das macht den Kurzstreckenflug zum ökologischen Problem. Eine der kürzesten Flugstrecken ist der innerbayrische Flug von Nürnberg nach München (170 Kilometer). Der Flug besteht fast nur aus Start- und Landevorgang.
3 Das Augenmerk gilt dem Miniflug
Der Angriff von Baerbock hat eine Schwäche: Wenn sie Kurzstreckenflüge abschaffen und zum Beispiel durch die Bahn ersetzen will, dann sind damit alle Flüge bis 1500 Kilometer Länge betroffen. Also nicht nur der Städtetrip von Stuttgart nach Berlin. Fast alle europäischen Ziele wären bei dieser Reichweite betroffen. Auch Rom, Stockholm oder Krakau sind Kurzstrecke. Natürlich sind sie auch mit der Bahn und dem Auto erreichbar, erfordern aber deutlich mehr Zeit durch langes Umsteigen. Würden diese Flüge verboten, dann würde man das Zusammenwachsen Europas behindern. Sinnvoll wäre eine feinere Unterscheidung: Auf die rote Liste kommen Miniflüge, zum Beispiel die Flugbewegungen innerhalb von Deutschland.
Frankreich geht diesen Schritt bereits: Kleinstflüge sind innerhalb dieses Landes verboten, wenn das angestrebte Ziel auch mit dem Zug in weniger als 2,5 Stunden erreicht werden kann. Damit werden Zug und Flug in Konkurrenz gesetzt, und das ist gut so – soweit in die Bahn beherzt investiert wird anstatt unrentable regionale Flughäfen mit öffentlichen Geldern zu päppeln.

4. Flüge sind zu billig
Der Flug nach Barcelona ist inzwischen fast selbstverständlich geworden. Das ist erfreulich, doch bildet der Ticketpreis weder die Folgekosten für Umwelt ab noch ist er marktgerecht. Flüge sind in Deutschland grundsätzlich von der Benzin- oder Kerosinsteuer befreit. Während jeder Autofahrer oder Busbetreiber diese Steuer bei der Tankstelle entrichtet, schlüpfen Gesellschaften wie Lufthansa oder Ryanair elegant daran vorbei. So erklärt sich mancher Billigflug. Das ändert aber nichts an der Tatsache: Die Preise verzerren den Wettbewerb; sie bevorzugen die Fortbewegungsart, die dem Klima am meisten schadet.
5. Das Mallorca-Argument zieht nicht
Wenn sich der bayrische Ministerpräsident für die Kurzstreckenflüge ausspricht, ist Vorsicht angesagt. Söder präsentiert sich seit geraumer Zeit schon als erweckter CSU-Ökologe, der dem Naturschutz das Wort redet. Das gilt aber nur, so lange es ihn politisch nichts kostet; bei seiner spontanen Unterstützung für den Bienenschutz war das so, Söder stellte sich flugs auf Imkers Seite. Beim Fliegen geht es dagegen um massive Interessen, um bayrische Flughäfen und die Produktion von fliegendem Material (Airbus). Außerdem will der CSU-Chef das Fliegen für alle offenhalten, sagt er – auch der kleine Geldbeutel müsse ein Recht auf Mallorca haben. Bei diesem argumentativen Schwung zittern die Propeller des Populismus: Die Umwelt wird gegen das Recht auf entlegene Reiseziele ausgespielt. Achtung Tiefflieger!