Als der Angriffskrieg der russischen Armee auf die Ukraine begann, habe er sich zunächst in einer Art Schockstarre befunden, schildert Davide Martello. “Da ist die Angst hochgekommen, die Angst vor einem Dritten Weltkrieg“, sagt der Straßenmusiker, der seine Ausbildung als Friseur in Konstanz absolviert hat. Dann habe der Krieg ein paar Tage gedauert, sei Teil des Alltags geworden. “Ich habe mich gefragt: Was kann ich tun?“

Pianist Martello spielt für Frieden in Ukraine

Davide Martello wollte zunächst da spielen, wo die meisten Geflüchteten ankommen: in Polen. Er habe seinen Anhänger und sein Auto gepackt. Dabei herrschte bei ihm Ausnahmezustand. “Ich bin bestimmt 50 Mal hin und hergelaufen. Ich habe immer nur eine Sache getragen, bin wieder zurück ins Haus, dann zum Auto. Meine Nachbarn haben schon gedacht, ich würde ausziehen“, schildert der gebürtige Lörracher.

Wenn seine Finger kalt werden, muss er sich mehr aufs Spielen konzentrieren, verrät Davide Martello beim anschließenden Gespräch.
Wenn seine Finger kalt werden, muss er sich mehr aufs Spielen konzentrieren, verrät Davide Martello beim anschließenden Gespräch. | Bild: Lena Reiner

Als er ihnen erklärte, wohin er fahre, begannen die Leute, ihm Spenden mitzugeben: “Mein Hänger war bis zur Abfahrt voll mit Lebensmitteln, Babykleidung, allem, was man so brauchen könnte.“ Damit machte er sich auf den Weg. Und gab die gesammelten Spenden ab, in der Nähe einer der größten Grenzübergänge zwischen Polen und Ukraine – in Korczowa.

Viele Menschen seien dort gewesen, die auf eine Möglichkeit zur Weiterreise gewartet hätten, sagt er. Also fragte Martello spontan einen Helfer, ob er seinen Flügel irgendwohin stellen könne. “Er meinte dann: Mach einfach, du kannst hier spielen.“ Natürlich dauerte es nicht lange, bis er die Aufmerksamkeit der Menge hatte. Schnell seien die Menschen zu ihm gekommen, erzählt er, eine Ukrainerin habe selbst in die Tasten gegriffen. “Ich glaube, das Video ist viral gegangen“, sagt der 40-Jährige und schmunzelt.

Hier an der polnischen Grenze übernachtet Martello wie viele andere im eigenen Auto. “Da habe ich inzwischen eine Heizung“, schildert er. Der Musiker ist vorbereitet. Tatsächlich ist es nicht seine erste Tour mit dem Flügel durch andere Länder – und Krisengebiete.

Klavierspiel an der Grenze Video: Niklas Golitschek

Allerdings, das sagt er auch, hätten seine Reisen nicht als politische Aktivität angefangen. Der Pianist hat die Straßenmusik schon während seiner Friseurausbildung in Konstanz für sich entdeckt. Mit 27 Jahren bewarb er sich an einer Musikschule in Berlin, zog es aber vor, seinen Traum zu verwirklichen: Er kaufte einen alten Flügel, den er für sich umbaute. 2010, seinen Job hatte er aufgegeben, spielte er auf dem Potsdamer Platz erstmals öffentlich. Seitdem reist er um die Welt mit seinen Eigenkompositionen. So sei er in Skandinavien aufgetreten, mehrmals auch in den USA.

Martello spielte auch für die Bundeswehr in Afghanistan

“Irgendwie politisch“ sei seine Musik nach und nach geworden, erzählt Davide Martello. 2011 spielte er, um Geld für die Beerdigung eines Jungen zu sammeln, der von einer Brücke in Konstanz gesprungen sei. 2012 habe er für die Bundeswehr in Afghanistan gespielt. Als er danach durchs Baltikum reiste, habe er von den Protesten in der Türkei gehört: “Allein hätte ich mich nicht getraut, da etwas zu machen“, sagt er ehrlich.

Davide Martello spielt den Menschen, die an der Grenze auf das Einsteigen in die Busse warten, eine Klavierbegleitung entgegen.
Davide Martello spielt den Menschen, die an der Grenze auf das Einsteigen in die Busse warten, eine Klavierbegleitung entgegen. | Bild: Maria Makraki, Imago

Mit zwei Freunden, die er in Sofia kennenlernte, sei er losgezogen. Angekommen, musizierte er auf dem Taksimplatz in Istanbul, zuvor hatten ihm die Demonstranten geholfen, seinen Flügel zu tragen. “Das war verrückt.“ Doch wenn er spielte, habe sich die Atmosphäre beruhigt, sagt er. Erst aufgeladen, angespannt. Dann seien keine Schüsse mehr gefallen.

Pianist aus Lörrach hat in der Ukraine musiziert

Schöne Momente. Etwas Ruhe. Frieden. Das versucht Davide Martello den Menschen auch in diesen Tagen des Krieges zu verschaffen. Zumindest ein paar Minuten, wie er sagt, den “Kopf ausschalten“ und das Erlebte in den Hintergrund drängen.

 
 
 
 
 
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Dafür spielt er am Grenzübergang Medyka in Polen, an dem besonders viele Menschen aus der Ukraine zu Fuß ankommen. Vor zwei Tagen sei er spontan mit einer kleinen Gruppe nach Lwiw in die Ukraine gefahren, habe dort am Bahnhof gespielt. Die Nacht habe er in einem Notlager für Menschen auf der Flucht verbracht und kein Auge zutun können.

Er ist offensichtlich erleichtert, wieder in einem EU-Land zu sein. Wie lang er noch hierbleiben will, um zu spielen, weiß er noch nicht. “Ich habe mir da einen Plan gemacht“, meint er, “ich höre erst auf, wenn ich in die Ukraine fahren und vor einem russischen Panzer spielen kann“. Natürlich gefahrlos vor einem zurückgelassenen, betont er nach einer Pause.