Werden die vermögendsten Schweizer künftig vom Staat kräftiger zur Kasse gebeten? Darauf zielt die sogenannte 99-Prozent-Initiative ab. Die Entscheidung treffen die Schweizerinnen und Schweizer am 26. September per Volksabstimmung. Hier erfahren Sie alles Wissenswerte über die Entscheidung.
Worum geht es?
Die Volksinitiative „Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern“ will Kapitaleinkommen in der Schweiz stärker besteuern. Weil sich ein Prozent der reichsten Schweizer mehr als 40 Prozent des Vermögens und die übrigen 99 Prozent den Rest teilen, ist von „99-Prozent-Initiative“ die Rede.
Auf Aktiengewinne oder Dividenden müsste künftig ebenso mehr Steuern bezahlten werden wie auf Mieteinkünfte oder Vermögenszinsen. Arbeitseinkommen sind dagegen ausgenommen. Übersteigen die Erträge eine gesetzlich festgelegte Freigrenze soll ihr Wert für die Steuer eineinhalb Mal zählen.
Wer hat‘s erfunden?
Die Schweizer Jungsozialisten (Juso) haben die Initiative im Oktober 2017 eingereicht und bis April 2019 knapp 110.000 gültige Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt. Damit war die notwendige Grenze (100.000 Unterstützer) für die Zulassung zur landesweiten Abstimmung erreicht. Die Jungpartei der Sozialdemokraten will mit dem Vorschlag als übergeordnetes Ziel Geld vom reichsten an die übrigen 99 Prozent der Einwohner verteilen.
Wer müsste künftig mehr Steuern zahlen?
Klar geregelt ist das noch nicht. Nach der Idee der Initiatoren soll die Freigrenze bei 100.000 Franken (ca. 92.000 Euro) pro Jahr liegen. Ein vereinfachtes Beispiel: Ein Vermieter mehrerer Wohnungen erhält 150.000 Franken Mieteinkünfte im Jahr. 100.000 Franken würden regulär besteuert, die übrigen 50.000 würden steuerlich mit 1,5 multipliziert und damit als 75.000 Franken gewertet. Für die Steuerberechnung wäre die Grundlage bei Annahme der Initiative 175.000 statt 150.000 Franken wie bisher.
Bislang gibt es in der Schweiz keine nationale Steuer auf Kapitalerträge, was auch an der weitgehenden Steuerautonomie der Kantone liegt. Diese erheben unterschiedlich hohe Vermögenssteuersätze zwischen 0,1 und 1 Prozent.
Wer soll davon profitieren?
Die zusätzlichen Einnahmen sollen dazu verwendet werden, Menschen mit geringen und mittleren Einkünften steuerlich zu entlasten. Außerdem sollen sie in Sozialleistungen fließen, etwa für Familien, Bildung oder Gesundheit. Während die Jusos von bis zu zehn Milliarden Franken pro Jahr Mehreinnahmen ausgehen, lässt sich die tatsächliche Summe laut Bundesrat nicht voraussagen. Der Bund gibt zu bedenken, dass die Umsetzung der Initiative unklar ist und zudem von der Vermögenssteuer betroffene Personen ins Ausland ziehen könnten.
Wer ist dafür und warum?
Neben den Sozialdemokraten, Mutterpartei der Jusos, und den Grünen sprach sich auch die Eidgenössische Volkspartei (EVP) für die Initiative aus. Auch die Gewerkschaften unterstützen den Vorschlag. Die Befürworter halten eine Steuerreform für dringend notwendig, um die Schwere zwischen Arm und Reich nicht weiter wachsen zu lassen. Sie rechnen beispielsweise vor, dass derzeit Großaktionäre nur auf 60 Prozent ihres Einkommens Steuern zahlten, wogegen reguläre Arbeitnehmer dies aufs gesamte Gehalt tun.
Die Initiatoren wehren sich gegen den Vorwurf, sie wollten den Klassenkampf befeuern. Vielmehr gehe es um mehr Gerechtigkeit, da eine wachsende Zahl an Schweizern Probleme beim Bezahlten der Miete oder Krankenkasse bekäme.
Auch Gleichberechtigung von Frauen wäre geholfen, so ein weiteres Argument, da sie durchschnittlich weniger Lohn als Männer für dieselbe Arbeit erhalten und ferner mehr unbezahlte Arbeit leisten – vor allem im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Ihnen kämen die Ausgleichszahlungen somit stärker entgegen.

Wer ist dagegen und warum?
Von den obigen Parteien abgesehen, sind alle anderen großen Parteien gegen die Initiative. Ebenso die Regierung (Bundesrat) und eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments (Nationalrat und Ständerat). Ablehnung gibt es zudem vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, Interessensvertretern für das Gewerbe oder kleine und mittelständische Unternehmen.
Die Gegner argumentieren, die Einkommensverteilung in der Schweiz unterscheide sich nicht von dem in anderen EU- oder Industrie-Ländern. Sie führen ins Feld, eine Kapitalsteuer schwäche den Standort und führe zur Abwanderung von Unternehmen oder Investoren ins Ausland. Dies gefährde Arbeitsplätze. Ein weiteres Argument lautet: In der Schweiz werde Kapital im internationalen Vergleich bereits sehr hoch besteuert.
Wie stehen die Chancen für die Initiative?
Nicht besonders gut. Ohnehin wurden von bislang 223 Initiativen, die seit 1893 zur Abstimmung kamen, nur 23 angenommen. Darüber hinaus deutet auch das Stimmungsbild in Richtung Ablehnung. 55 Prozent sind Anfang September laut der vom Medienkonzern Tamedia beauftragten Umfrage sicher oder eher gegen den Vorschlag der Jusos. Eher oder sicher zustimmen wollen 40 Prozent. Anfang August sah es noch besser aus für die Befürworter der Initiative, als die Lager noch ungefähr gleichauf lagen.