Wann ist die Corona-Pandemie in Deutschland vorbei? Eine Frage, die man sich mit gesundem Optimismus dieser Tage stellen kann: So fallen die Inzidenzwerte, über 30 Millionen Deutsche haben ihre Erstimpfung bereits empfangen und Lockerungen der Corona-Maßnahmen treten vielerorts in Kraft. Wann und wie genau die Pandemie, zumindest in Deutschland, enden könnte, dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Ein baldiges Ende der Pandemie?
Eine Prognose zu wagen, wann genau die Corona-Pandemie endet, ist schwer. Das weiß Martin Stürmer, Virologe aus Frankfurt am Main, der ein eigenes Labor betreibt. Er stellt klar, dass die Pandemie ein globales Problem ist, das sich weltweit anders entwickelt. In Deutschland könne man aber immerhin ein Bild der Zukunft zeichnen. „Die Zahlen entwickeln sich im Moment günstig, doch das kann im Herbst wieder anders aussehen“, sagt Martin Stürmer gegenüber dem SÜKDURIER. „Jetzt führt die warme Jahreszeit erst einmal zu weniger Infektionen.“
Er rechnet damit, dass zwischen Herbst und Winter jedem erwachsenen deutschen Bürger eine Impfung angeboten werden könne. Dann könne sich das Virus nicht mehr so ausbreiten und es käme nicht mehr zu den massenhaften Ausbrüchen, wie es sie im vergangenen Jahr gab. „Wir haben dann die Chance, möglicherweise im Winter bereits einen endemischen Zustand zu erreichen“, so Stürmer. Das bedeutet, das Infektionen nur noch örtlich begrenzt auftreten. Voraussetzung dafür sei das schnelle Voranschreiten der Impfungen und das Ausblieben starker Virus-Mutationen.
Was passiert nach der Pandemie?
„Es ist davon auszugehen, dass Varianten ähnlich wie auch andere Coronaviren vor allem in den Wintermonaten weiterhin in der Bevölkerung zirkulieren werden“, sagt Andrea Panitz vom Regierungspräsidium Stuttgart, dem auch das Referat für Gesundheitsschutz und Epidemiologie untersteht.
„Corona-Infektionen werden uns weiterhin wellenförmig begleiten. Im Winter werden wir immer mehr Infektionen haben als im Sommer“, sagt auch Virologe Stürmer. Diese könnten dann eher in Form von saisonalen, grippeähnlichen Ausbrüchen auftreten. Durch die Impfungen und leichte Maßnahmen könne das Virus wahrscheinlich in Schach gehalten werden. Martin Stürmer macht deutlich, dass sämtliche Prognosen ein Blick in die Glaskugel sind.
Darüber hinaus sei klar, dass sich das Corona-Virus weiter anpassen würde. Doch der Menschheit sind humane Corona-Viren bereits bekannt: „Das sind völlig harmlose Schnupfenviren, die auch keine Spätfolgen haben“, so Martin Stürmer. So könne es passieren, dass sich die Menschen in zehn bis 20 Jahren nicht mehr viel mit dem Sars-Cov-2-Virus beschäftigen müssten. Untypisch für das Corona-Virus in dieser Form hält Stürmer dagegen die Annahme, dass man sich im Kindesalter einmal mit Corona anstecke und danach immun sei. Er glaubt außerdem nicht an einen lebenslangen Schutz durch Genesung.
Die Gefahr von Virus-Mutanten
Die größte Gefahr geht aktuell von sogenannten Escape-Mutanten aus. Als Escape-Mutanten oder auch Immunevasionsmutanten werden Virus-Mutanten bezeichnet, die dem Immunsystem entkommen, weil sie von ihm nicht erkannt und in der Folge nicht bekämpft werden können.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Mutanten des Sars-Cov-2-Virus, die weltweit vermehrt um sich greifen. Darunter befinden sich auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als besorgniserregend eingestufte Varianten, wie etwa die Variante B.1.1.7, auch bekannt als britische Variante, oder die indische Variante B.1.6.1.7.
Das Wichtigste zuerst: „Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen sehr gut vor einer Erkrankung durch B.1.1.7 und sie schützen auch vor schweren Erkrankungen durch die anderen Varianten“, sagt Andrea Panitz vom Regierungspräsidium. Laut neuesten Erkenntnissen einer US-Studie sind die Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna darüber hinaus auch gegen die zwei indischen Varianten hochwirksam.
Eine weitere gute Nachricht: Zwar sind mehrere Varianten bisher als besorgniserregend eingestuft worden, doch einen impfresistenten Stamm gebe es bisher bei keiner Mutante, sagt Martin Stürmer. Doch es gibt auch Probleme: „Wir wissen noch wenig über die neuen Varianten“, so Stürmer. „Daher besteht immer das Risiko, zu viel Virusvermehrung zuzulassen.“ Als gesichert gilt, dass die Varianten ansteckender sind als der Wildtyp, also die ursprüngliche Form.
Schnelle Impfkampagne
Der Impfkampagne kommt bei der Bekämpfung des Corona-Virus in Deutschland eine große Rolle zu. Zwar ist mittlerweile klar, dass die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs bei geimpften Personen drastisch abnimmt, aber nicht genau bewertbar, wie lange dieser Schutz wirklich anhält. Auch die Möglichkeit der Übertragung des Virus an andere Wirte nimmt bei geimpften Menschen ab. Doch um wie viel genau, ist bisher unklar.
Thomas Mertens, Virologe und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut, sagt dazu gegenüber dem SÜDKURIER: „Die Dauer des Impfschutzes ist noch nicht klar und kann dies auch nicht sein.“ Darüber hinaus sei auch die mögliche Bedeutung von Mutanten im Hinblick auf die Impfung derzeit noch nicht genau klar.
Martin Stürmer schätzt, dass jährlich leicht modifizierte Impfstoffe zum Einsatz kommen werden. Dabei werde ein Kombiimpfstoff des alten Impfstoffs und eines modifizierten Vakzins gespritzt. Es sei möglich, dass es einen solchen Impfstoff bereits bald geben könne.
Auch Stürmer sagt allerdings, dass die Dauer des Impfschutzes bisher nicht klar sei. Sicher sei, dass die mindestens ein halbes Jahr schütze. Daten für eine längere Zeit lägen aber schlichtweg noch nicht vor. Auf lange Sicht hält Stürmer eine Auffrischung der Schutzimpfung beispielsweise alle drei Jahre für realistisch. Genau könne das aber keiner sagen.
Die Sache mit der Herdenimmunität
Ob und wann die Herdenimmunität, also die Immunität eines großen Anteils der Bevölkerung, in Deutschland erreicht werden kann, ist noch fraglich. „Das hoffen wir alle und es kann möglich sein“, so Thomas Mertens, Experte der Ständischen Impfkommission. So sei Herdenimmunität kein Alles oder Nichts-Phänomen. „Je mehr Empfängliche in der Population ausgedünnt werden, umso weniger effektiv erfolgt die Virusübertragung durch einen Virusausscheider“, so Mertens. Das bedeutet im Klartext: Je weniger Wirte es in der Bevölkerung gibt, umso schlechter kann sich das Virus durch Virusträger verbreiten.
Die Corona-Pandemie ist also auch ein Wettlauf gegen die Zeit. So kam die zweite Welle, wie Experten vorausgesehen hatten, als es im Jahr 2020 auf den Winter zuging. Kann es Deutschland mit Impfungen und anderen Maßnahmen schaffen, dass es im Herbst diesen Jahres nicht zu einer vierten oder bis dahin gar fünften Welle kommt? „Ja, ich denke, dass dies möglich ist“, sagt Thomas Mertens. So sei ein Effekt der Herdenimmunität auch, dass Wellen nicht mehr so ausgeprägt entstehen könnten.
Wann kommt die Normalität zurück?
Wann wieder eine maßnahmenfreie Normalität eintreten wird, hängt also vor allem damit zusammen, in wie weit die Impfungen in der Lage sind die Pandemie in Deutschland zu brechen. „Ich würde erst im Herbst, wenn wir wirklich jedem zeitnah eine Impfung anbieten können, wenn wir genug über die Dauer der Impfwirkung und die Entwicklung von Varianten wissen, über die Rückkehr zur Normalität diskutieren“, sagt Martin Stürmer. „Denn wir haben es ja schon einmal erlebt, wie sich die Zahlen nach einem entspannten Sommer entwickelt haben.“
Stürmer befürchtet allerdings, dass niedrige Infektionszahlen im Sommer die Politik dazu führen wird, bereits früher Lockerungen zu ermöglichen – also etwa die Maskenpflicht abzuschaffen und Veranstaltungen mit mehreren tausend Menschen wieder zu erlauben.