Zehn Jahre ist es her, als Angela Merkel den vielleicht prägnantesten Satz ihrer an einprägsamen Sätzen nicht gerade reichen Amtszeit tätigte: „Wir schaffen das“, sagte die damalige Kanzlerin bei der Sommerpressekonferenz am 31. August 2021. Gemeint war die Bewältigung der Flüchtlingskrise, aber auch eine Ermutigung der eigenen Bevölkerung, Zutrauen in die Kraft des Staats und die Schaffenskraft als Gesellschaft zu haben.

Perfekter Ansatzpunkt zur Gegenrede

Dass nun zehn Jahre später so viel über diesen Satz berichtet wird, hat mehrere Gründe. Ausschlaggebend ist wohl vor allem einer: Merkel hat damit das Land emotional gespalten. Diejenigen, die ihrer Flüchtlingspolitik, dem Nicht-Schließen der Grenzen von Anfang an kritisch gegenüberstanden, hatten hier einen perfekten Ansatzpunkt zur Gegenrede.

Merkels knappe Bemerkung konnte man, wenn man wollte, ja als Versprechen verstehen, in der Flüchtlingsfrage alles rundherum hinzubekommen – von der ersten Sammelunterkunft, über Beschulung, Arbeitsplatzsuche und perfekter Integration. Das allerdings war dann wohl auch nicht zu schaffen. Wenn man es so betrachtet, muss man sich nicht wundern, dass die Altkanzlerin weitere Sätze von bleibendem Wert schuldig geblieben ist. Man fährt als Politiker in Deutschland einfach besser mit vagen, verklausulierten Nicht-Antworten.

Es bleibt eine gemischte Bilanz

Ohne Zweifel hat Deutschland einiges geschafft, kann man heute rückblickend feststellen. Einiges davon könnte einen mit Stolz erfüllen. Viel ehrenamtliches Engagement, zum Beispiel. Viel Einsatz von Lehrern, die Kindern den Weg ins deutsche Schulsystem bereitet haben. Viele Flüchtlinge, die sich wunderbar in ihrem neuen Leben in Deutschland eingefunden haben, die Mangelberufe ergriffen haben und zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft wurden.

Und klar, es gibt auch das Gegenteil davon, die andere Seite: Es gab vor allem schlimme Gewalttaten, die wohl für lange im kollektiven Gedächtnis bleiben werden. Es gibt überforderte Schulen, deren Bildungsangebot gelitten hat. Es gibt Kommunen, die noch immer viel Geld ausgeben für Geflüchtete, Geld, das an anderer Stelle fehlt. Und es gibt Zweifel an der Integrationskraft der deutschen Gesellschaft. Besonders im Osten ist seit der Flüchtlingskrise politisch etwas in Rutschen geraten.

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Die Stimmung in Bezug auf Flüchtlinge ist inzwischen massiv umgeschlagen. Vielleicht die schlimmste Folge von Merkels Politik: Die Wahl- und Umfrage-Ergebnisse der AfD haben sich verdoppelt. Friedrich Merz wollte darum nichts mehr, als sich in diesem Punkt von seiner alten Rivalin und Vorvorgängerin abzusetzen. Seine dringlichste Amtshandlung als Kanzler war deshalb auch die Kontrolle und Zurückweisung an den Grenzen. Deutschland schottet sich ab, so die ganz bewusst auch in den Herkunftsländern gesetzte Botschaft. Die Zahl der neuen Asylanträge sinkt seit Monaten, umfragetechnisch genützt hat es allerdings noch nichts.

Die Lage in Syrien ist eine ganz andere

Macht es Merz nun also besser als Merkel? Zumindest stärkt seine Politik das Image des souveränen, handlungsfähigen Staats. Dabei kommt ihm allerdings die weltpolitische Lage zupass. Denn die Erfolge an der Grenze, die niedrigeren Flüchtlingszahlen haben ja noch einen ganz anderen Grund als die kontrollierenden Bundespolizisten. In erster Linie hat sich die Lage in Syrien deutlich beruhigt.

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Wenn sich wieder Millionen Menschen auf einmal nach Europa aufmachen würden in ihrer Verzweiflung, würde das die Lage auch an den deutschen Grenzen verändern – wenn Menschen in langen Schlangen anstehen, kommt man in arge Rechtfertigungsnot gegenüber den Nachbarn, wenn man keinen reinlässt. Mit anderen Worten: Merz hat nicht Merkels Probleme.

Eine Nebenwirkung des migrationsskeptischen Kurses der CDU nach Merkel sollte man aber auch nicht außer Acht lassen: Gelingen kann ein Ankommen in Deutschland nur, wenn sich die Menschen willkommen fühlen. Verschärfungen beim Familiennachzug oder durch die Einführung der Geldkarte tragen nicht dazu bei.

Und damit schneidet sich der deutsche Staat am Ende ins eigene Fleisch. Denn Migranten, die arbeiten, die Deutsch können und deren Kinder gute Bildungsbiografien hinlegen – die hätten letztlich (fast) alle gern. Das aber ist Arbeit. Auch zehn Jahre später ist das „Schaffen“ nicht abgeschlossen. Damit es gelingen kann, braucht es positive Motivation. Mit Abschottung und Feindbildern kommt man nicht weiter.