Herr Brettschneider, das ist ein denkbar knappes Bundestagswahlergebnis. War damit zu rechnen?

Ja, damit habe ich schon gerechnet, weil die SPD stark von ihrem Kanzlerkandidaten profitiert hat und von der Schwäche von Armin Laschet. Da haben sich etliche Unionsanhänger überlegt, ob sie SPD wählen. Dass welche auf den letzten Metern doch wieder zurück zur CDU gehen, war zu erwarten. Dass die Grünen auf dem dritten Platz landen, war zu erwarten, dass es für die Linke eng wird ebenfalls. Dass es so eng wird vielleicht nicht – mit erheblichen Konsequenzen, weil nun die Option Rot-Grün-Rot, Stand jetzt, nicht mehr möglich ist. Das bringt eine ganz andere Dynamik in die anstehenden Koalitionsgespräche.

Armin Laschet sagt aber trotzdem, die Union habe „von den Wählern einen klaren Auftrag erhalten“. Das muss er einfach sagen, oder?

Ich glaube, das muss er vor allem innerparteilich sagen, damit er dort seinen Kopf aus der Schlinge zieht, und nicht quasi am Wahlabend des mit Abstand schlechtesten Ergebnisses für die CDU/CSU, an dem er einen hohen Anteil hat, bereits aufs Abstellgleis geschoben wird. Es ist ihm bemerkenswert gelungen, auf einmal als jemand dazustehen, der angreift. Seine Rede wirkte fast kämpferischer als seine Wahlkampfreden. Ich war einigermaßen überrascht. Er hat auch schon den Begriff Zukunftskoalition geprägt, um die er jetzt wirbt.

Ähnliches können wir übrigens bei Annalena Baerbock beobachten. Sie hat ja dieses zwar historisch sehr gute, aber gemessen an dem Potenzial, das die Grünen hatten, schlechte Ergebnis zu verantworten. Dass sie sich hinstellt und davon redet, dass sie „gemeinsam mit Robert“ eine Koalition des Wechsels hinbekommen will, heißt ja eigentlich: nicht ohne Annalena. Da haben zwei, die ihren Parteien geschadet haben, keine zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale mitgeteilt, dass sie bleiben.

Armin Laschet redet nach Bekanntgabe der Hochrechnungen im Konrad-Adenauer-Haus. Rechts von ihm Silvia Breher, Stellvertretende ...
Armin Laschet redet nach Bekanntgabe der Hochrechnungen im Konrad-Adenauer-Haus. Rechts von ihm Silvia Breher, Stellvertretende Parteivorsitzende, und Bundeskanzlerin Angela Merkel. | Bild: John Macdougall/AFP

Ob das dann so bleiben wird – wer weiß. Denn an Laschets Stuhl dürfte heftig gesägt werden.

Auf der anderen Seite ist es eine Frage der Alternativen und eine der zeitlichen Abläufe. Am Dienstag steht bei der CDU die Wahl des Fraktionsvorsitzenden an. Mit dem Anspruch, den Laschet nun formuliert hat, wird er vermutlich kandidieren. Und dann wäre seine Position erstmal so lange gefestigt, bis Koalitionsverhandlungen scheitern würden.

Die Union hat fast 1,4 Millionen Wählerstimmen an die SPD verloren. Laut Infratest dimap wanderten vor allem Ältere und Frauen zur SPD. Diese haben sozusagen ihre neue Angela Merkel, den Hort der Beständigkeit, in Olaf Scholz gefunden?

Ja, so ist das. Das haben wir in unseren Umfragen auch schon gesehen, dass die Zustimmung zu Olaf Scholz umso größer wurde, je älter die Wählergruppen sind. Olaf Scholz in seiner – formulieren wir es freundlich – Unaufgeregtheit ist derjenige, der der Stimmung dieser Gruppe am ehesten entspricht: Sie wollen einerseits Stabilität in diesen durch Corona geprägten Zeiten, andererseits eine andere Sozialpolitik. Dieser Gruppe sind die Mieten und die Rente extrem wichtig.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagt: Die SPD ist wieder da. Ist das ein nachhaltiger Trend?

Das ist schwer zu sagen. Zunächst mal ist es super überraschend, dass sie so fulminant wieder da ist – das hätte man im Frühjahr nicht erwartet. Interessant ist, dass mit der SPD wieder Sozialpolitik verknüpft wird. Das war lange nicht so. Ob das nachhaltig ist, hängt meiner Ansicht nach sehr stark davon ab, ob die Partei Olaf Scholz folgt, oder ob sie, wie bei Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder, andere Vorstellungen haben. Er ist ja nicht Parteivorsitzender geworden, weil man ihn nicht als links genug angesehen hat. Es wird interessant sein, ob er sich auf längere Sicht durchsetzen kann.

Der wahre Wahlsieger des Abends ist vermutlich Christian Lindner. Er kann entscheiden, wo‘s lang geht.

Ja, vor allem auch, weil die Alternative Rot-Grün-Rot für die Grünen weg ist. Insofern ist Christian Lindner Königsmacher, aber die Grünen sind es auch. Das Riesen-Fragezeichen ist: Wie finden die beiden Parteien, die sich mit herzlicher Abstoßung gegenüberstehen, zusammen? Ganz schwer. In der Kombination suchen FDP und Grüne aus, ob vorne Rot oder Schwarz steht.

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Schauen wir nach Baden-Württemberg. Normalerweise liegt die Union in Baden-Württemberg zwei bis vier Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. Diesmal bleibt sie laut Infratest-Dimap-Hochrechnung mit 25,5 Prozent (Stand Sonntag, 23 Uhr) leicht darunter. Woran liegt das?

Wobei ich die 25,5 Prozent für noch im Rahmen halte. Klar, Laschet hat es in jedem Bundesland schwer gehabt – im Osten deutlich schwerer als im Westen. Schon als Parteivorsitzenden hatte man sich im Südwesten jemand anderen gewünscht und als Kanzlerkandidat war die Präferenz der CDU-Anhänger eher Herr Söder. Damit gehen gewisse Mobilisierungsprobleme einher. Am Ende hat die Parteiräson aber überwogen.

Die Grünen bleiben mit 16,7 Prozent (laut Hochrechnung) deutlich unter ihren Möglichkeiten im Land. Hätten Sie sie stärker eingeschätzt?

Eigentlich nicht. Sie liegen über dem Bundesschnitt – ähnlich wie die CDU im Land. Die Wähler unterscheiden ziemlich fein in der Frage, ob das die Landesgrünen oder die Bundesgrünen sind. Die Bewertung der Bundesgrünen ist in Baden-Württemberg deutlich schlechter als die der Landesgrünen. Auf der Bundesebene ist das thematische Spektrum, das die Wähler den Grünen zuschreiben, deutlich enger: Das ist vor allem der Klimaschutz und dann kommt lange nichts mehr. Während den Grünen in Baden-Württemberg, durch Winfried Kretschmann, aber auch durch die zehn Jahre Regierungszeit, in einem viel breiteren Themenbereich Kompetenz zugeschrieben wird.