Städte und Gemeinden im Südwesten bereiten sich auf die Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine vor. Das Problem: Wie viele Menschen wann und wohin kommen, ist für die Behörden nicht kalkulierbar. Denn viele Menschen haben private Anlaufstellen, registrieren müssen sie sich nicht. Fest steht nur: Unter den Flüchtlingen sind viele Kinder und Jugendliche. Sie sollen Platz in Kitas und Schulen erhalten. Doch der ist vielerorts ohnehin knapp, Erzieher und Lehrer fehlen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie viele Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind bereits in Baden-Württemberg?

Das lässt sich nicht beantworten. Der Grund: Viele geflüchtete Familien sind bei privaten Kontakten untergekommen und haben sich noch nicht bei den Behörden gemeldet, weil sie hoffen, bald in ihre Heimat zurückkehren zu können. Das Land kann nur zählen, wer sich registriert hat. Stand 12. März 2022 waren es landesweit 3014 Personen aus der Ukraine, wobei Alter und Geschlecht nicht einzeln erfasst wurden.

Allein in dieser Woche wurden nach Angaben des Justiz- und Migrationsministeriums 1960 neue Flüchtlinge und damit fast doppelt so viele wie in der Vorwoche (1029) registriert. In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes waren zuletzt 5706 Personen untergebracht, davon 2401 aus der Ukraine. Aber jeden Tag werden es mehr.

„Je schlimmer sich Putins brutaler Krieg auf die Zivilbevölkerung auswirkt, desto schneller steigt die Zahl der zu uns Flüchtenden“, sagt Justiz- und Migrationsministerin Marion Gentges (CDU), „und den Menschen, vor allem Frauen und Kindern, die aus zerbombten Städten fliehen, um ihr Leben zu retten, möchten und werden wir in ihrer Not helfen.“

Kinder und Jugendliche sollen möglichst schnell in Kitas und Schulen. Welche Vorbereitungen werden getroffen?

Im Kultusministerium gibt es einen Stab, der sich speziell um die Koordination kümmert. Beteiligt sind die Schulverwaltungen, die Schulen und die kommunalen Landesverbände sowie für die frühkindliche Bildung – also die Kitas – der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS). Zudem habe das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) bereits Unterstützungsangebote für den Umgang mit dem Krieg in der Ukraine für die Lehrkräfte bereitgestellt, heißt es.

Müssen die Kinder sofort in die Schule?

Nein. Gesetzliche Schulpflicht herrscht für die Flüchtlingskinder erst sechs Monate nach der Ankunft. Das Kultusministerium rechnet aber dennoch damit, dass viele ukrainische Kinder unabhängig von der Schulpflicht in die Schulen und Betreuungseinrichtungen kommen werden, sobald den Familien klar wird, dass sie nicht so schnell wieder nach Hause zurückkehren können wie erhofft.

Im Prinzip können die Kinder von einem Tag auf den anderen bei den Schulen angemeldet werden und haben das Recht darauf, einen Platz zu bekommen. Das Schulsystem in der Ukraine ist vom Aufbau her mit Grundschule und Sekundarstufen vergleichbar mit dem deutschen Schulsystem, der Schulbesuch genießt dort einen wichtigen Stellenwert.

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Wie sind die Schulen im Land vorbereitet, können sich Lehrkräfte mit den Kindern verständigen?

Viele ukrainische Kinder sprechen Englisch, das dort die wichtigste Fremdsprache neben Russisch ist und ab der dritten Klasse unterrichtet wird. Das baden-württembergische Kultusministerium verweist zudem auf das integrative System für zugewanderte Kinder und Jugendliche, das im Rahmen der Flüchtlingszuwanderung ab 2015 installiert und seitdem ausgebaut wurde. Es umfasst Vorbereitungsklassen (VKL) und für die älteren Jugendlichen ein Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen der beruflichen Schulen (VABO).

Aktuell gibt es landesweit rund 1450 Vorbereitungsklassen mit etwas über 20.000 Schülerinnen und Schülern und etwa 200 VABO-Klassen mit etwa 2800 Schülerinnen und Schülern. Kapazitäten stehen für etwa 10.000 weitere Personen zur Verfügung.

Weiterhin gibt es seit 2018 zusätzlich ein zweijähriges Sprachförderangebot in Regelklassen, das laut Kultusministerium für ukrainische Flüchtlinge rasch angepasst werden könnte. Dazu kommen bestehende Hausaufgaben-, Sprach- und Lernhilfe sowie Jugendbegleiterprogramme. Zudem liefen bereits Gespräche über ein niederschwelliges Angebot in der Herkunftssprache, also Ukrainisch, heißt es.

Wie sollen die Schulen das stemmen, wenn ohnehin schon Lehrkräfte fehlen?

Dazu appelliert Kultusministerin Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grünen) an die Verantwortlichen Ort. „Wenn ein Kind in die Schule möchte, dann darf es auch in die Schule gehen – hier bitte ich die Schulen und die Schulverwaltung, pragmatisch zu handeln und den Kindern mit dem Schulbesuch wieder etwas Struktur und auch Ablenkung zu ermöglichen. Das ist das Mindeste, was wir tun können und sollten“, sagt sie. Schopper hofft zudem auf die Vereine. „Ich finde es auch sinnvoll, wenn wir die Angebote in unseren Vereinen zum Beispiel im Sport öffnen.“

Nazar (links) und Oleksandra aus der Nähe von Kiew spielen nach ihrer Ankunft in Deutschland in einer Spielecke in einer ...
Nazar (links) und Oleksandra aus der Nähe von Kiew spielen nach ihrer Ankunft in Deutschland in einer Spielecke in einer Erstanlaufstelle für Flüchtlinge. Sie könnten bald in den Kindergarten gehen. | Bild: Paul Zinken/dpa

Wie sieht es in Kitas aus, wo es bereits an Plätzen mangelt?

Eine Sprecherin des KVJS in Stuttgart teilt auf Anfrage mit, dass derzeit coronabedingt Personalschlüssel und Höchstgruppenstärken unter- beziehungsweise überschritten werden dürfen. „Das ermöglicht es den Kitas zeitlich begrenzt, mehr Kinder aufzunehmen. Zudem versuchen die Stadt- und Landkreise, auch außerhalb der Kitas Angebote zu schaffen, zum Beispiel in Spielgruppen oder Familientreffs. Auch Kirchengemeinden haben bereits signalisiert, dass sie Räume zur Verfügung stellen können“, so die Sprecherin. Für die Kitas ist der Personalmangel die größte Herausforderung. „Die vorübergehend gelockerten Regeln für die Betreuung von Kindern helfen zunächst als Sofortmaßnahme.“

In einer Turnhalle in Freiburg wurden für die Flüchtlinge Feldbetten aufgestellt.
In einer Turnhalle in Freiburg wurden für die Flüchtlinge Feldbetten aufgestellt. | Bild: RP Freiburg

Anlaufstation Freiburg

Freiburg ist für ukrainische Flüchtlingsfamilien ein wichtiger Anlaufpunkt in Deutschland. Die südbadische Stadt unterhält enge Beziehungen zur ukrainischen Partnerstadt Lwiw (Lemberg), auch Privatpersonen aus den beiden Städten haben enge Verbindungen. 180 ukrainische Kinder aus einem Kinderhaus sind bereits mit ihren Betreuern nach Freiburg gebracht worden. Auch die regulär 466 Plätze in der Freiburger Erstaufnahmeeinrichtung, der kleinsten in Baden-Württemberg, sind belegt und wurden bereits auf 700 erweitert, weitere Notunterkünfte werden in Zelten, Containern und in der Sporthalle der LEA geschaffen.