Andrij Melnyk hat in den vergangenen Wochen ziemlich ausgeteilt. Am Sonntagabend hat der ukrainische Botschafter in Deutschland hingegen selbst einiges aushalten müssen, als er in der Sendung Anne Will auf den Brief-Unterzeichner und Soziologen Harald Welzer traf. Das Zusammentreffen hatte alles, was eine Talkshow brisant macht: Es ging beleidigend zu und war zum Fremdschämen und ja, kontrovers war es natürlich auch. Vor allem förderte die Sendung alles zutage, was problematisch an der Position der deutschen Intellektuellen ist, die sich gegen Waffenlieferungen ausgesprochen haben.

Harald Welzer steht nach seinem Auftritt bei Anne Will in der Kritik.
Harald Welzer steht nach seinem Auftritt bei Anne Will in der Kritik. | Bild: Arno Burgi

Dabei darf man durchaus gegen Waffenlieferungen argumentieren. Tatsächlich ist es gut und wichtig, dass im Punkt von Krieg und Frieden die Positionen öffentlich diskutiert werden. Wie sollte man sich in dieser schwierigen Frage sonst eine Meinung bilden, wie sollte die Gesellschaft zu einem Konsens kommen? Schade nur, dass Welzer nichts dafür getan hat, für seine Position zu werben. Im Gegenteil. Dass es auch besser geht, bewies tags darauf Mitunterzeichner und Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel bei Plasberg. Peinliche Auftritte der Briefeschreiber gab es auch schon zuvor, zum Beispiel von Mitinitiatorin Alice Schwarzer.

Melnyk sammelt Sympathiepunkte

Welzer jedenfalls brachte es fertig, dass der sonst so unverblümte bis unverschämte Melnyk im Rededuell regelrecht Symapthiepunkte sammelte, während der renommierte deutsche Soziologe die Position der Kriegs- und Waffengegner endgültig den Stempel der Hartherzigkeit und Arroganz aufdrückte. Die leidet ohnehin maßgeblich darunter, dass das Leid der Ukrainer zurückgestellt wird gegenüber den Ängsten der Deutschen vor einem dritten Weltkrieg. Um es mal überspitzt auf den Punkt zu bringen, lautet ein Hauptgedanke ja: Was interessiert es uns, dass in der Ukraine Zivilisten getötet, Frauen vergewaltigt, Unschuldige gefoltert werden? Wir machen uns eben auch Sorgen.

Konsequent gefühllos führte Welzer am Sonntagabend die Kriegserfahrung der Deutschen ins kommunikative Feld. Diese Kriegserfahrung, die über Generationen weitergereicht worden sei, mache auch die Deutschen zu Experten auf diesem Gebiet. Das ist nur zynisch, weil ja genau die Deutschen im Zweiten Weltkrieg für Millionen von Toten in der Ukraine gesorgt haben.

Man muss aber noch nicht einmal historisch denken, um die Unzulässigkeit dieser Argumentation zu begreifen: Welzer stellt eine historische Kriegserfahrung, die nun immerhin über 70 Jahre zurückliegt, in den Vordergrund, während aktuell die Ukrainer eine ganz praktische Kriegserfahrung am eigenen Leib machen. Und in diesem Denkmuster ging es weiter – stets im Intellektuellen-Sprech, stets im Theoretischen argumentierend. Die blutige Praxis blieb außen vor.

Mutige kluge Köpfe

Wer sich derart auf die eigenen Sorge und Nöte konzentriert, macht sich inhaltlich angreifbar. Dabei haben die Unterzeichner des ersten offenen Briefs an den Bundeskanzler derzeit ohnehin keinen einfachen Stand. In Interviews berichten sie von „Wellen des Hasses“, die ihnen entgegenschlagen würden. Das ist schlimm, denn eigentlich müsste man würdigen, dass kluge Köpfe, um die es sich da unbestreitbar handelt, sich nach vorne wagen, auf unbequemes Terrain. Gerade wenn die öffentliche Meinung vor allem in eine Richtung tendiert, ist es wichtig, das Contra auszuleuchten.

Das könnte Sie auch interessieren

Tatsächlich führen die Intellektuellen damit einen Diskurs, von dem man sich im Bundestag viel mehr wünschen würde, wo die friedensbewegten Teile von Grünen und Sozialdemokraten sich allerdings lieber zurückhalten. Denn das käme im Ampel-Koalitionsalltag kaum gut an. Und wir Medien würden uns natürlich darauf stürzen, träten die Risse in der SPD-Fraktion oder bei den Grünen allzu offen zutage. Dabei wäre das genau richtig: Streit macht schließlich die Demokratie aus.