Deborah Dillmann

Pflege ist teuer. Nicht ohne Grund werden laut der aktuellen Pflegestatistik 85,9 Prozent der knapp 5,7 Millionen Pflegebedürftigen zu Hause von Angehörigen und/oder einem ambulanten Pflegedienst versorgt. Etwa 14,1 Prozent der Menschen mit einem Pflegegrad von 1 bis 5 sind vollstationär in einem Pflegeheim untergebracht. Doch das geht ins Geld. Einer Auswertung des VDEK zufolge mussten Pflegebedürftige im Januar 2025 im ersten Jahr fast 3000 Euro monatlich für ihren Platz im Pflegeheim zahlen. Das können sich viele nicht oder nicht lange leisten. Die Lösung: Hilfe zur Pflege. Darauf griffen laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2023 rund 407.000 Personen zurück – also über sieben Prozent aller Pflegebedürftigen.

Die Sozialleistung soll laut dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) Pflegebedürftige unterstützen, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung sowie das eigene Einkommen und Vermögen nicht ausreichen, um die Pflege zu finanzieren. Die verbleibenden Kosten könnten dann bis zur vollen Höhe vom Sozialhilfeträger übernommen werden. Was auf dem Papier gut klingt, hat aber einen gewaltigen Haken. Vom Antrag bis zur Bewilligung dauert es oft mehrere Monate und in Extremfällen sogar über ein Jahr. Das hat das ARD-Magazin Report Mainz in einer bundesweiten Umfrage herausgefunden.

Sozialamt mit Anträgen auf „Hilfe zur Pflege“ überfordert: So lang sind die Wartezeiten

Deutschlandweit wurden in der Umfrage von Report Mainz insgesamt 113 Sozialämter zu den Bearbeitungszeiten von Anträgen auf Hilfe zur Pflege befragt. Bei etwa 27 Prozent lag die Dauer bei über sechs Monaten bis hin zu einem Jahr. Bei fast fünf Prozent der Sozialämter müssen Antragsteller mit „weit mehr als zwölf Monaten“ noch länger auf eine Entscheidung und damit auch auf Unterstützung warten. Pflegewissenschaftlerin Tanja Segmüller von der Hochschule Bochum beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: „Die Menschen brauchen kurzfristig eine Versorgung. Es wäre in Ordnung, wenn es wenige Wochen dauert, aber Bearbeitungszeiten von einem halben Jahr oder bis zu einem Jahr sind unmöglich.“

Besonders gravierend ist die Lage laut Report Mainz in Berlin-Pankow. Hier kann die Wartezeit bis zu drei Jahre betragen. In Wilhelmshaven in Niedersachsen liegt die Bearbeitungszeit in 23 Prozent der Fälle bei über einem Jahr. Auch im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt dauert es über zwölf Monate und im baden-württembergischen Tuttlingen etwa ein Jahr.

Nach dem Bericht des ARD-Magazins hat auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) eine kleine eigene Umfrage unter Bezirksämtern im Raum Berlin durchgeführt. Zum Antragsstau in Pankow bestätigte eine Sprecherin des dortigen Amts demnach: „Tatsächlich gibt es Vorgänge, die seit mehr als zwei Jahren nicht bearbeitet werden konnten.“ Die Zahl offener „Hilfe zur Pflege“-Anträge liege hier bei rund 850. In Steglitz-Zehlendorf müssen Antragstellerinnen und Antragsteller im Schnitt zwischen fünf und zehn Monaten warten, in Marzahn-Hellersdorf etwa sechs und in Spandau vier bis fünf Monate. In Friedrichshain-Kreuzberg geht es laut dpa deutlich schneller: „Sofern alle notwendigen Unterlagen vorliegen, dauert die Bearbeitung bei ambulanten Anträgen in der Regel nicht länger als sechs Wochen“, sagte eine Sprecherin.

Aber warum müssen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei einem Antrag auf Hilfe zur Pflege zum Teil Monate oder Jahre auf eine Entscheidung des Sozialamts warten? Das hat mehrere Gründe. Im Sozialamt Steglitz-Zehlendorf zum Beispiel bewegen sich die Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter laut Report Mainz „in einer Welt voller Rollcontainer und Aktenberge“. Gruppenleiter Heinz Sonnenschein erklärte dem Magazin: „Wir arbeiten aktuell immer noch mit Papierakten. Alle Post wird in Papier zu uns geschickt. Wir drucken das aus und arbeiten alles in Papierform ab.“ Der zuständige Bezirksstadtrat Tim Richter sagt, er arbeite „mit viel Kraft daran, dass wir schneller werden, dass wir digitaler werden“. Von einem Tag auf den anderen sei das allerdings nicht möglich. Hinzukomme eine „hohe Mitarbeiterfluktuation“ im Sozialamt, „fehlende Unterlagen“, „zeitintensive Vermögensprüfungen“ und ein „anhaltend steigendes Antragsvolumen“.

Diese Probleme bestätigt auch die dpa-Umfrage. Zahlreiche Sozialämter hätten zudem als eines der Hauptprobleme die fehlende Mitwirkung der Antragstellerinnen und Antragsteller genannt. In vielen Fällen lägen die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig oder in nicht verwertbarer Qualität vor, sagte etwa Tim Richter der dpa.

Lange Wartezeiten bei „Hilfe zur Pflege“: Was bedeutet das für Pflegebedürftige und Pflegeheime?

Lange Bearbeitungszeiten bei Anträgen auf Hilfe zur Pflege stellen nicht nur pflegebedürftige Menschen vor ein finanzielles Problem, sondern setzen dem privaten Pflegeverband bpa zufolge auch Pflegeheime unter Druck. Laut Report Mainz fordert bpa-Präsident Bernd Meurer daher schnelle Lösungen. Das Problem: Wenn die „Hilfe zur Pflege“-Zahlungen der Sozialämter ausbleiben, müssen die Einrichtungsträger die Personalkosten vorfinanzieren – und das über Monate oder sogar Jahre. „Wir sind darauf angewiesen, dass wir zeitnah dann auch die Leistung vom Sozialamt bekommen, weil wir es doch weitergeben müssen. Wir müssen am Monatsende unsere Mitarbeiter bezahlen können“, sagt der bpa-Präsident. Haltbar sei die aktuelle Situation nicht und Pflegeheime müssten Konsequenzen ziehen.

Im Gespräch mit Report Mainz sagte Meurer: „Das Heim muss unter Umständen damit drohen oder auch eine Kündigung aussprechen, um gegenüber den Sozialämtern und auch den Angehörigen mal deutlich zu machen, es ist uns bitterernst, der Antrag muss bearbeitet werden.“ Gerade wenn in einer Einrichtung zeitgleich mehrere Bewohnerinnen und Bewohner auf eine Bewilligung ihres „Hilfe zur Pflege“-Antrags warten, seien Pflegeheime gezwungen, mit zum Teil sechsstelligen Summen in Vorleistung zu treten. Das könnte existenzbedrohend sein.

Leidtragende sind am Ende die Pflegebedürftigen – insbesondere, wenn ihnen der Rausschmiss aus dem Pflegeheim droht. Das sieht auch Pflegewissenschaftlerin Tanja Segmüller so, auch wenn sie die Argumentation aus Pflegeheimsicht nachvollziehen kann. Ihrer Ansicht nach müsse der Staat dafür Sorge tragen, dass Menschen einen Heimplatz bekommen und diesen auch behalten können.

Lösungsvorschläge aus der Politik sind etwa die Begrenzung der pflegebedingten Eigenanteile. Das haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. So soll die Zahl der Sozialhilfeempfänger reduziert werden. Wann es zur Umsetzung kommt und wie eine Begrenzung aussehen könnte, ist allerdings noch nicht klar.