Es ist ein paar Wochen her, da saß Michael Stich in einem vornehmen Hamburger Hotel und sagte, er sei „froh, nicht mehr 20, 30 oder 40 zu sein.“ Mit dem Leben, das er jetzt führe, sagte Stich, sei er „sehr glücklich und zufrieden“: „Ich habe nicht den Wunsch, die Zeit zurück zu drehen.“
Nun, an diesem Donnerstag, wird Stich fünfzig Jahre alt. Es ist ein besonderes Datum, aber kein besonderer Tag für ihn. Kein Tag, an den ihn Wehmut erfassen würde. Oder vor dem er Angst hätte: „Mein Leben verändert sich nicht. Ich mache genau so weiter wie vor diesem Geburtstag.“ Allerdings ohne eine Aufgabe, ein Projekt, das ihm stets eine Herzensangelegenheit war, denn im Sommer schied er als Turnierveranstalter am Hamburger Rothenbaum aus, einem Ort, der Heimat für ihn war in der ansonsten grenzenlosen Welt des Profitennis. Stich erfüllte sich hier seinen Kindheitstraum als Turnierchampion, und viel später war er für zehn Jahre der Chef des Hamburger ATP-Events.
Aufnahme in die Ruhmeshalle
Der Wettbewerb in dieser Saison war eine Zäsur für ihn, kurz vor seinem 50. Geburtstag. Denn Stich sagte damit der größeren Tennisbühne vermutlich nicht Auf Wiedersehen, sondern Good-bye. Er hörte nämlich nicht nur als Turnierdirektor auf, er bestritt gegen John McEnroe, den alten Weggefährten und Rivalen, auch sein letztes Schaumatch. „Man soll aufhören, wenn´s noch einigermaßen schön ist“, sagt Stich dazu, „irgendwann muss man die Fans ja auch davon erlösen, einen immer noch auf dem Court zu sehen.“
Es gab einen anderen Termin in diesem Sommer, kurz vor der Vollendung von einem halben Hundert Lebensjahren, der Stich emotional anfasste – wie auch nicht. Denn unmittelbar vor dem letzten Hamburger Turnier unter seiner Verantwortung wurde er in amerikanischen Newport in die Ruhmeshalle des Tennis aufgenommen, es lohnt sich, nach seiner Rede im Internet zu suchen. Stich sprach, im Kern darüber, was das Tennis ihm für sein Leben gegeben und gelehrt habe, wie es seinen Charakter weiter formte und ausbildete. Es war auch eine Absage an den ausgeprägten Egozentrismus, der das moderne Tennis kennzeichnet und den der Turnierchef Stich oft verbittert aus nächster Nähe erlebte.
Rivalität mit Boris Becker
Stich wäre vermutlich in jedem anderen Tennis-Jahrzehnt anders betrachtet, bewertet und beurteilt worden als in jener Zeit, die er nun einmal zusammen mit Becker verbrachte – dem Mann, der 1985 den deutschen Urknall auf den Centre Courts in Wimbledon ausgelöst hatte. Stich wurde selten bis nie nur über sich selbst definiert, sondern immer in Beziehung zu Becker gebracht – und an dem Leimener gemessen. Das war selbst 1991 nicht anders, im Moment von Stichs größtem Erfolg, dem Triumph in Wimbledon gegen Becker. Der Verlierer Becker stand anschließend mindestens genau so im Blickpunkt wie der Gewinner Stich.

„Ich habe den Schatten von Boris nicht gesehen“, sagt Stich heute, „wir waren Konkurrenten, unterschiedliche Persönlichkeiten. Und wir haben beide von dieser Rivalität profitiert, weil sie uns zu besseren Tennisspielern gemacht hat.“ 1992 gewann sie sogar einmal auf ein und derselben Seite des Netzes, als Olympia-Doppel in Barcelona. „Die Goldmedaille ist neben Wimbledon der wichtigste Erfolg gewesen“, sagt Stich.
Aber Stich ist häufig vorgeworfen worden, nicht genug aus seinen überragenden Potenzialen gemacht zu haben. Pete Sampras, lange Jahre einer der erbittertsten Widersacher, sagte einmal über Stich: „Wenn wir alle an unseren absoluten Limits spielen, ist Michael der Beste.“ Stich selbst bedauert nur zweierlei: Nicht einmal die French Open gewonnen zu haben, in deren Endspiel er 1996 stand, aber dann gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow verlor. Und dann auch die verpaßte Chance, 1995 ein Davis Cup-Finale für die Ewigkeit verpasst zu haben. Im Halbfinale jener Saison ließ Stich in Moskau neun Matchbälle im entscheidenden Match gegen den Russen Andrej Chesnokow aus – und damit war dann das Traumfinale der Deutschen mit Stich und Becker gegen die USA mit Sampras und Andre Agassi geplatzt.

In den 90er-Jahren war Stich gleichwohl einer der führenden Köpfe der Branche. Er war die Nummer 2 der Weltrangliste, er gewann die ATP-Weltmeisterschaft in Frankfurt, er gewann als bisher einziger deutscher Spieler alle deutschen Turniere. Später, nach seinem auch von einer Schulterverletzung forcierten Rückzug, versuchte sich Stich zunächst als Teamchef im Davis Cup, scheiterte aber ähnlich wie Becker an einer zerstrittenen, von Egoismen getriebenen Spielergeneration. Vorübergehend machte er sich rar in der Szene, ehe er sich erfolgreich am Neuaufbau des lädierten Rothenbaum-Turniers engagierte.
Ärger über heutige Stars der Szene
Stich ist seit vielen Jahren auch als Stiftungsgründer, Unternehmer im Gesundheitssektor und Start-up-Investor erfolgreich. Tennis war beileibe nicht mehr sein ganzes Himmelsreich nach dem Abschied vom Profisport, aber eine Herzensangelegenheit blieb sein Sport immer für ihn. Das wird auch nach seinem 50. Geburtstag so bleiben, er hat selbst schon vernehmlich angekündigt: „Unsere Generation hat in wichtigen Fragen nicht die Stimme erhoben zuletzt. Das muss sich ändern.“ Und auch dies will sich Stich nicht nehmen lassen: Den jährlichen Besuch in Wimbledon, in der Kathedrale des Welttennis: „Ich genieße es einfach, auf der Tribüne zu sitzen und die Atmosphäre aufzusaugen.“ Als ehemaliger Sieger und Mitglied des All England Lawn Tennis Club kann er das ein Leben lang. Weit über den Fünfzigsten hinaus.
Zur Person
Michael Stich war einer der erfolgreichsten deutschen Tennisspieler. Er siegte unter anderem 1991 in Wimbledon und gewann 1992 Olympiagold. Viele Verletzungen zwangen ihn allerdings immer wieder zu Pausen. 1996 feierte er bei den Franch Open ein sensationelles Comeback und verlor erst im Finale gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow. 1997 beendete Stich seine Karriere. Er war Davis-Cup-Teamchef und viele Jahre Direktor des ATP-Turniers am Hamburger Rothenbaum.