Wenn das Spiel vorbei ist, ist der Tag in Wimbledon noch längst nicht vorbei. Schon gar nicht für eine neue Wimbledon-Siegerin, für eine junge Königin im All England Club. Und so dauerte der Stafettenlauf von Pressegesprächen, Radio-Interviews und TV-Talkrunden für Garbine Muguruza (23) noch ein gutes Stückchen länger als ihr fabelhafter Wimbledon-Triumph draußen auf dem heiligen Centre-Court-Rasen. Auf allen Kontinenten, quer durch alle Zeitzonen war sie schließlich irgendwann auf Sendung, die lächelnde, erfrischende Titel-Heldin, die womöglich eine neue Wimbledon-Ära mit dem denkwürdigen Erfolgsmoment gegen Venus Williams eröffnet hatte: „Sie kann die Anführerin der neuen Generation werden. Sie hat das Potenzial, diesen Sport zu dominieren“, sagte die Rekordgewinnerin Wimbledons, die neunmalige Championesse Martina Navratilova. Noch während sie das sagte, auf der Spielerterrasse des Millenium Building, rauschte Muguruza vorbei, glücklich und zufrieden mit der Welt und mit Wimbledon: „Welch ein Tag, welch ein Sieg, welch ein Erlebnis“, sagte sie.
Muguruzas makellose Titeljagd war nun jedenfalls auch eine willkommene Abwechslung nach reichlich Schlagzeilen, Lob und Anerkennung für die reifen, erfahrenen Kräfte aus der Ü30-Gruppe, nicht zuletzt die Williams-Schwestern Venus und Serena mit ihren 37 und 35 Lebensjahren. „Das Frauentennis braucht jetzt neue Gesichter an der Spitze, die richtig vorangehen“, sagte Amerikas früherer Darling Chris Evert, „und Muguruza kann eine eindrucksvolle Rolle dabei spielen.
“ Tatsächlich bringt die gebürtige Venezolanerin alle Voraussetzungen und Talente mit, um sich als eine der Vorzeigefrauen zu etablieren, vielleicht sogar als herausragende Tennis-Persönlichkeit der kommenden Jahre. Sie ist eine physisch starke Athletin, sie hat enorme Schlagmacht, hat die nötige taktische Variabilität, spielt auf der Höhe ihres Könnens auch zielgenau den richtigen Ball im richtigen Moment. Big-Time-Tennis, so wie gegen die ehemalige Rasen-Herrscherin Venus Williams. Sie erscheint auch den Marketingstrategen des Wanderzirkus als Geschenk, als Glücksfall: „Sie hat die Seite-1-Qualität. Sie ist attraktiv, intelligent, wirkt anziehend“, sagt die US-Amerikanerin Pam Shriver, früher einmal eine Weltklasse-Doppelspielerin und Präsidentin der Spielerinnenvereinigung WTA. Muguruzas Manager beim Vermarktungsgiganten IMG, der Niederländer Olivier van Lindonk, sagt über die neue Wimbledon-Königin: „Ihr Potenzial ist beeindruckend.“ Soll heißen: In jeder Beziehung. Auf und neben dem Centre Court. Vor Kameras und dem Blitzlicht der Fotografen scheut sie jedenfalls nicht zurück, der Star mit dem gewinnenden, einnehmenden Lächeln und dem natürlichen Charme. Auf die Frage nach dem Ursprung ihres Siegeswillens antwortete die Wimbledon-Siegerin: „Ich war schon als kleines Kind ein Teufel. Ich konnte mit meinen Geschwistern nicht Murmeln spielen. Stattdessen fing ich mit drei Jahren an, mit ihnen Tennis zu spielen. Das erklärt die Wut, die ich in einem Wettbewerb verspüre.“
„Bambi mit Killerinstinkt“ lautete eine der Schlagzeilen, nachdem Muguruza vor dreizehn Monaten ihren ersten Major-Pokal geholt hatte, im Sand von Paris – gegen Serena Williams. Doch Muguruza geriet danach in eine schwere Sinn- und Ergebniskrise, sie wollte zu viel zu schnell, sie ließ jegliche Konstanz und Hartnäckigkeit vermissen. Von Weltranglisten-Platz 2 fiel sie wieder deutlich zurück, aus der Rolle der ersten und ernsthaftesten Herausfordererin von Serena Williams wurde nichts. Erst in diesem Frühjahr stabilisierte sich ihre Leistung, ihr ganzer Auftritt wieder, sie galt nicht Wenigen als Geheimfavorit für dieses Wimbledon-Turnier, das ohne die langjährige Dominatorin Serena Williams auskommen musste. „Ich will jetzt wirklich eine neue Etappe in meiner Karriere beginnen“, sagte Muguruza am Abend des Wimbledon-Sieges, „ich kann stabiler und beständiger spielen, das weiß ich.“