Stebastian Stiekel und Claas Henning, dpa

Frau Enke, Sie sitzen hier ganz in der Nähe der Robert-Enke-Straße und des Stadions, in dem Ihr Mann früher immer gespielt hat. Was löst das zehn Jahre nach seinem Tod in Ihnen aus?

Ich lebe seit zwei Jahren wieder in Hannover. In der ersten Zeit war das schwer, weil die Erinnerungen sehr schmerzhaft waren und ich solche Plätze deshalb auch gemieden habe. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier, irgendwann prallt einem das nicht mehr so entgegen. Meine Tochter geht hier zur Schule, an der Robert-Enke-Straße fahre ich jeden Tag vorbei. Es ist nicht mehr so omnipräsent wie am Anfang.

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Wichtige Hinweise

Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit vor zehn Jahren?

Das war mit einer großen Wucht da, und diese Wucht ist auch geblieben. Ich habe ja nicht nur den geliebten Menschen verloren, sondern mein Leben hat sich komplett geändert. Ich war auf einmal eine alleinerziehende Mutter in einem großen Haus mit all den Sachen, die zurückgeblieben sind. Ich musste Dinge regeln, um die ich mich nie gekümmert hatte. Auch die Presse hat mich damals umgehauen, denn ich wurde wirklich noch lange Zeit von Journalisten bedrängt. Sie haben mich fotografiert, wenn ich spazieren gegangen bin, und sind mir aufgelauert, wenn ich irgendwo hingefahren bin. Ich kann mich an alles noch sehr gut erinnern.

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Wie sehen Sie im Nachhinein die Pressekonferenz, die Sie einen Tag nach dem Tod Ihres Mannes gegeben haben? Sie wurden damals als starke Frau bewundert. Sie haben die Öffentlichkeit aber auch sehr nah an sich herangelassen in diesem Moment.

Das stimmt. Aber die Pressekonferenz war kein Fehler. Sie müssen dazu wissen: Am Abend nach dem Tod war mein Haus voll. Ich weiß gar nicht mehr genau, wer alles da war: von Hannover 96, meinen Freunden, Robbis Berater und so weiter. Wir sprachen da bis nachts um zwei Uhr: Wer macht die Pressekonferenz? Was wird gesagt? Und irgendwann habe ich gesagt: „Stopp, ich kann das nicht mehr hören. Das ist mein Mann und ich werde sprechen. Ich verstehe das am besten und ich möchte der Öffentlichkeit sagen, was los war.“

Robert Enke 1998 mit Teresa, die vor der Heirat mit Nachnamen Reim hieß und den Hunden Alamo und Bo.
Robert Enke 1998 mit Teresa, die vor der Heirat mit Nachnamen Reim hieß und den Hunden Alamo und Bo. | Bild: IMAGO IMAGES/ WEREK

Wie haben Sie die Reaktionen danach wahrgenommen?

Ich wurde später in Hannover mit dem Leibniz-Ring ausgezeichnet. Da habe ich mich sehr geehrt gefühlt, in einer Reihe mit großen Persönlichkeiten genannt zu sein – aber das war nie meine Intention. Ich wurde auf einen Sockel gestellt, den ich mir selbst gar nicht zugesprochen hätte. Ich wurde immer mit diesen Attributen versehen: Du bist so stark! Wie schaffst du das? Aber ich war gar nicht so stark. Bevor Robbi und unsere Tochter Lara gestorben sind, war ich eher zögerlich. Menschen, die mit dieser Frage zu mir kommen, sage ich immer: Du wächst mit deinen Aufgaben. Wenn du so gefordert wirst, kannst du das schaffen. Die Option musst du zulassen.

Die schlimmste Zeit erleben viele erst nach der Beerdigung. War das auch bei Ihnen so?

Wir waren davor eine Familie – und auf einmal bist du allein. Ich bin an das Grab gegangen, und da standen zwei Namen drauf. Ich war so traurig darüber, dass ein Mensch so verzweifelt sein kann, dass er all das Schöne und Wertvolle hinter sich lässt. Das kommt einem so unwirklich vor. Meine Tochter hat mich damals weitermachen lassen. Sie kann nichts dafür, und ich konnte nicht zulassen, dass auch ihr Leben darunter leidet.

Was hat sich seit dem Tod von Robert Enke im Umgang mit dem Thema Depressionen in der Öffentlichkeit geändert?

Es wird viel mehr darüber berichtet und es wird ganz anders wahrgenommen. Wenn ich am Flughafen oder am Bahnhof stehe und die Titel der vielen Zeitungen sehe: Da geht es viel häufiger als früher um Depressionen, seelische Erkrankungen oder um mentale Hygiene. Das ist ein großes und mittlerweile auch öffentliches Thema geworden.

Robert Enke im März 2006 mit Tochter Lara, die mit zwei Jahren an einer Herzanomalie starb. Robert Enke nahm sich am 10. November 2009 ...
Robert Enke im März 2006 mit Tochter Lara, die mit zwei Jahren an einer Herzanomalie starb. Robert Enke nahm sich am 10. November 2009 das Leben. | Bild: IMAGO IMAGES/ CONTRAST

Ist vielen durch den Tod Ihres Mannes zum ersten Mal klar geworden, dass
Depression eine Krankheit ist?

Ich habe damals am Anfang gesagt: Robbi ist als Märtyrer gestorben. Aber das war der falsche Ausdruck. Denn das hätte ja bedeutet, er sei mit der Absicht gestorben, etwas zu bewirken. Und das ist Quatsch. Eigentlich wollte ich ausdrücken: Sein Tod hat so viel bewegt, weil Menschen dadurch wachgerüttelt wurden. Auf einmal war diese Krankheit zu fassen. Da war ein erfolgreicher Sportler, der durch den Tod seiner Tochter zwar einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatte, der aber gerade wieder Vater geworden war, der endlich im Tor der Nationalmannschaft stand und der auch finanziell völlig unabhängig war. Das war ein Leben, das vorher niemand mit Depressionen in Verbindung gebracht hätte. So aber wusste auf einmal jeder: Es ist egal, ob du erfolgreich oder reich bist: Das ist eine Krankheit. Die kann jeden treffen.

Bei der Beerdigung Ihres Mannes lautete die Kernbotschaft in der Trauerrede des damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger: Fußball darf nicht alles sein. In den vergangenen Jahren ist aber alles an dem Fußball-Geschäft noch einmal gewachsen: Sein Stellenwert in der Gesellschaft. Die Geldsummen, die hineinfließen. Oder auch die Enthemmungen, die in Stadien oder sozialen Netzwerken zu sehen sind. Wie gehen Sie damit um?

Fußball ist Fußball geblieben – und das ist grundsätzlich auch gut so. Der Leistungsdruck wird immer da sein, schließlich definiert sich der Spitzensport durch erbrachte Leistungen. Das kenne ich selbst noch vom Modernen Fünfkampf. Auch dass Journalisten darüber schreiben, dass lieber der spielen sollte oder der: Das wird sich ebenfalls nicht ändern. Das gehört irgendwie dazu. Die Rede von Theo Zwanziger war toll. Aber sie hatte nichts mit Robbis Krankheit zu tun, weil es nicht der Fußball war, der ihn kaputt gemacht hat. Dass er auch unter gewissen Auswüchsen gelitten hat, war klar. Heute müssen die Spieler in den sozialen Medien noch viel mehr aushalten, auch das ist mir klar. Das ist ein Teil des Geschäfts, weshalb wir vor allem junge Leute darauf besser vorbereiten müssen.

Löst das etwas in Ihnen aus, wenn ein Konkurrenzkampf zwischen Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen öffentlich diskutiert wird, während Sie genau wissen: Durch so etwas hat sich mein Mann früher immer unter Druck gesetzt gefühlt?

So etwas wie der Konkurrenzkampf zwischen Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen ist für viele ein gefundenes Fressen. Die Leute wollen offenbar das große Spektakel und einen gewissen Nervenkitzel. Was ich damals angeprangert habe: Wenn Menschen sich persönlich äußern. Ottmar Hitzfeld hat zum Beispiel einmal gesagt, Robert Enke habe keine Ausstrahlung. Sportlich kann man immer sagen: Ich finde den oder jenen besser. Aber das Menschliche sollte man da herauslassen und nur die Leistung sachlich beurteilen. Bei Robert hat das die Angst davor vergrößert, einen Fehler zu machen.

Und wie werden Sie den zehnten Todestag verbringen?

Meine Familie, Freunde und Robbis Mama werden kommen. Dazu führen wir mit der Stiftung zurzeit eine Aktionsreihe durch. Zusammen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn haben wir ein Sensibilisierungsprojekt „Impression Depression“ vorgestellt, am 4. November kommt auch der Präsident des FC Bayern, Uli Hoeneß, extra zu einem Podiumsgespräch nach Hannover. Ich möchte diesen Tag auch gar nicht so besonders machen, wir zelebrieren eher Robbis Geburtstage. Wir werden aber auch kein Trübsal blasen, sondern uns erinnern und auch lustige Geschichten erzählen. Ich stelle mir dann immer vor: Robbi sitzt da oben neben Lara, meinem Bruder und meinem Papa. Die gucken zu uns runter und ihnen geht es gut. Diese kindliche Vorstellung habe ich noch.