Herr Broich, als TV-Experte der ARD werden Sie bei der WM in Katar im Einsatz sein. Aber können Sie sich persönlich wirklich auf dieses Turnier freuen?
Eigentlich schon. Ich bin da hin- und hergerissen. Wenn es um Fußball geht, gibt es immer auch dieses kleine Kind in mir. Und wenn eine WM ansteht, ist das einfach geil. Aber dann kommt das Aber, dieser wahnsinnige Schleier. Wenn man derzeit die Nachrichten verfolgt, haben wir ja nicht nur eine Krise, sondern gleich mehrere. Es gibt den Klimawandel, die Pandemie, die Proteste im Iran, den Krieg in der Ukraine – und dann gibt es eine Fußball-WM in Katar und wir sollen erst mal nur über Fußball reden. Klar gibt es die anderen Probleme in Katar, die nicht außen vor gelassen werden dürfen. Zugleich gibt es eben dieses riesige Event, das nur alle vier Jahre stattfindet. Ich finde es sehr schwer, da eine Haltung zu entwickeln.
Zu Katar haben sich viele aus dem Fußball-Geschäft geäußert. Es gibt viel Kritik, aber Uli Hoeneß etwa verwies auf die Fortschritte, die das Land in puncto Menschenrechte gemacht hat. Wie sehen Sie das?
Ich finde es tatsächlich schwierig, wenn man da selbst zu moralisch unterwegs ist. Wo ist dann die Grenze, ab wann ist man selbst scheinheilig? Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß und ich glaube, dass es wichtig ist, miteinander in den Dialog zu treten. Auch wenn sich manche Hoffnung nicht bewahrheitet hat, wie die Idee, dass das gemeinsame Geschäftemachen zu einem Austausch der Kulturen führen kann.
Man muss nicht immer moralisierend sein. Zugleich ist es aber auch einfach, Geschäfte mit fragwürdigen Partnern auf diese Weise zu rechtfertigen, das ist mir auch klar. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber gerade, wenn es um große Geldsummen geht, ist das eben nicht einfach. Das darf man Leuten auch nicht immer zum Vorwurf machen. Wer wäre denn so straight zu sagen: Das mach ich aus Prinzip nicht, weil ich so moralisch bin. Was wäre denn in meinem Fall konsequent: Darf ich da hinfahren, um als TV-Experte Geld zu verdienen?
Aber Fußball sollte ja auch etwas Unbeschwertes haben. Das sucht man in diesem Turnier angesichts der Vorgeschichte sehr lange.
Für uns als TV-Experten ist das eine schwierige Situation. Einerseits haben wir die Lust auf das Turnier. Aber sollen wir bei jeder Übertragung immer wieder thematisieren, wie problematisch das Ganze ist? Wir wollen ja auch nicht die Freude an dem tollen Fußball-Erlebnis vermiesen. Andererseits können wir die Probleme, die es gibt, ja nicht ignorieren. Das wäre ein Unding.
Wie werden Sie das Thema angehen?
Für uns wird die Kunst sein, diese Balance zu finden. Ganz ehrlich: Ich habe noch keine Ahnung, wie die aussehen kann. Muss man in der dritten Turnierwoche immer noch den Finger in die Wunde legen? Oder sagt man: Jetzt haben wir darüber gesprochen, jetzt reicht es doch auch? Das darf doch auch nicht zum Feigenblatt werden. Wir haben im Team in den nächsten Wochen Treffen und die Möglichkeit, mit Leuten aus der Botschaft zu sprechen und werden uns in der Redaktion auch abstimmen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, eine gute Haltung zu entwickeln. Jedem recht können wir es bestimmt nicht machen.
Über Sie gibt es eine viel beachtete Langzeitdokumentation, „Tom Meets Zizou“. In dem 2011 erschienenen Film wird nahezu Ihre komplette Karriere als Profifußballer dargestellt – mit Höhen und Tiefen. Wie sehen Sie ihn heute?
Für mich wird es immer leichter, den zu gucken. Am Anfang war das ja so nah dran an meinem Leben. Wenn ich jetzt damit konfrontiert werde, rede ich schon fast über eine andere Person: Das eine war der junge Tommi. Das andere ist die Person, die ich jetzt bin. Da kann ich nachsichtiger mit mir sein. Denn am Anfang war es für mich schon hart zu sehen, wie man sich als junger Mensch mal ab und an verläuft und nicht versteht, wie kurz das gedacht ist und wie wenig reif man da ist. Mittlerweile sehe ich das als Lehrstück. Teilweise wird in den Nachwuchsleistungszentren der Film den Mannschaften gezeigt. Um denen deutlich zu machen, was bestimmte Verhaltensweisem für Konsequenzen haben und wie wichtig es ist, sich mental auf Dinge einzustellen.

Teilweise galten Sie als der „andere Fußballer“, der Feingeist. Ist Ihnen der Film heute peinlich?
Nein, das nicht. Es steckt viel Schönes und Positives darin. Auf der anderen Seite bin ich auch nicht über jede Aussage stolz. Ich sitze da mit Anfang 20 und tue so, als ob ich die Welt verstanden hätte. Teilweise denke ich mir heute: Das hast du doch nicht gesagt, so bist du nicht rumgelaufen. In vielem habe ich eine Dummheit erkannt. Ich habe mich isoliert und mich zu einer Person stilisiert, die ich nicht war – und zugleich habe ich erwartet, dass diese Gemeinschaftsveranstaltung Fußball funktioniert.
Ich habe mich immer distanziert und die Fehler bei anderen gesucht. Mittlerweile weiß ich: Die richtige Richtung wäre die komplett gegenteilige gewesen. Wir miteinander wollen etwas reißen, da hilft es nichts, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das musste ich nicht nur lernen, ich musste es mir auch angucken. Das war hart (lacht). Aber im besten Fall ist es eine Erzählung, wie ein junger Mensch mit all seinen Flauseln Höhen und Tiefen durchlebt und so reift. Ich freue mich, dass der Film offenbar viele Menschen immer noch bewegt.
Eine Aussage von Ihnen aus dem Film lautet: „Seit ich in Interviews denselben angepassten Quatsch wie alle anderen von mir gebe, ist vieles einfacher.“ Auch wenn Ironie drin war: Mussten Sie sich für den Job als TV-Experte umstellen?
Ich habe das für mich von Anfang an klar definiert, was es mir super einfach macht. Wenn ich nur über Fußball rede, dann ist es niemals persönlich. Und wenn es vernünftig verpackt wird, kann man eine Analyse auch knallhart rüberbringen, ohne dass man jemanden vernichtet oder beleidigt. Ich glaube, dass mir da meine Erfahrung als Spieler hilft. Ich weiß noch genau, wie mich manche Sachen als Spieler getroffen haben. Man kann zum Beispiel permanent über Gegentore und Fehler sprechen. Zugleich passiert im Fußball doch so viel Komplexes und Faszinierendes, dass man auch darüber reden kann. Es braucht immer auch den Fehler für ein Tor, aber zugleich kann ich auch das Positive an einem Spielzug herausstellen. Aber wenn einer einen Fehler macht, heißt das ja nicht dass der nicht kicken kann.
Deutschlandradio Kultur hat Sie mal den „besten Nationalspieler, den Deutschland nie hatte“, genannt.
Das ist aber sehr freundlich von denen…
Allerdings. Wie blicken Sie heute auf ihre Karriere zurück?
Das sehe ich total entspannt. Ich bin schon kritisch: Es hätte ja klappen können. Wenn ich mir ansehe, welches Leistungsniveau ich mal hatte, mir meine Mitspieler in der damaligen U21 betrachte und was aus ihnen geworden ist, da frage ich mich schon: Was wäre möglich gewesen, wenn ich es anders angegangen hätte? Wenn ich es mir hätte aussuchen dürfen: Klar hätte ich gerne Länderspiele gemacht. Andererseits war das, was passiert ist, auch so geil. Der Weg war ein anderer, er war beschaulicher und ich bin noch mal nach Australien abgebogen. Und jetzt mache ich das, was ich mache, habe eine große Freude daran und bin total glücklich damit. Ich trauere der Sache nicht nach. Aber wenn ich es nochmal machen dürfte, würde ich es hoffentlich besser machen.