Den Weltmeister zu überraschen, dass er Weltmeister ist, so etwas schafft wohl nur die Formel 1. Der Niederländer fuhr beim Großen Preis von Japan seinen zwölften Saisonsieg zwar mit 26,7 Sekunden auf Charles Leclerc heraus, aber es reichte offenbar noch nicht ganz. „Ich bin es nicht“, war sich Max Verstappen sicher. Bis mitten ins Siegerinterview auf der Anzeigetafel die Gratulation aufleuchtete. Ein verwirrter Champion, das war der Höhepunkt eines chaotischen Rennsonntags.
Strafe für Leclerc
Obwohl der 18. WM-Lauf nach heftigen Regenfällen und wegen des erreichten Zeitlimits nach 28 der 53 Runden abgebrochen wurde, entschied sich die Rennleitung dazu, volle Punkte zu vergeben, gleichwohl es dazu eigentlich 39 Runden gebraucht hätte. Im Zusammenspiel damit, dass Leclerc in der letzten Kurve abkürzte und durch die fällige Zeitstrafe auf Rang drei zurückgestuft wurde, ging die Rechnung plötzlich auf – 114 Punkte Vorsprung auf seine beiden Verfolger in der Gesamtwertung reichten dem Niederländer dann zur Titelverteidigung.
Nach dem skandalösen Saisonfinale im vergangenen Dezember in Abu Dhabi fällt damit erneut ein Schatten auf den Erfolg des Red-Bull-Piloten – obwohl es rein sportlich gesehen in diesem Jahr keinen Zweifel daran geben kann, wie sehr der 25-Jährige diesen Titel verdient hat. Die erste, die in der Boxengasse richtig jubelte, war dann Verstappens Freundin Kelly Piquet, während ihr Lebensgefährte eher skeptisch im roten Sessel für den Champion Platz nahm. Erst später fand er eine spontane, salomonische Begründung dafür, dass er sich freuen kann: „Trotz allem, es ist ein großer Tag für mich. So oft passiert einem so etwas nicht, deshalb muss du alle Momente genießen.“
Schockmoment bei Gasly
Die Ungläubigkeit bei den Zuschauern und den Medien wollte so schnell nicht verfliegen. Die allgemeine Annahme war diese: Vergeben werden hätten wegen der halben Distanz nur 19, 14 und zwölf Punkte für die ersten Drei. Selbst als Leclerc zurückgestuft wurde, wäre Verstappen nur bei 111 der benötigten 112 Punkte Vorsprung stehen geblieben. Doch die Kommissare beriefen sich auf Paragraf 6.5 des Reglements, nachdem reduzierte Punkte nur vergeben werden, wenn ein Rennen unterbrochen und nicht mehr aufgenommen wird.
Aber der Große Preis von Japan sei fortgesetzt worden, nachdem er nach zwei Runden für zwei Stunden unterbrochen war. In der Startrunde hatte es im heftigen Regen viele Dreher und Crashes gegeben. Der Franzose Pierre Gasly hatte in der Gischt dazu noch eine unheimliche Begegnung mit einem Bergungskran am Rande der Piste, böse Erinnerungen an den tödlichen Unfall von Gaslys Freund Jules Bianchi 2014 wurden wach. Überhaupt weiterzufahren war umstritten genug.
Noch nicht wirklich entspannt, aber mit der über das gesamte Jahr konservierten Gelassenheit präsentierte sich Max Verstappen bei einer ersten Talkrunde. Zu der erneuten Konfusion um seinen Titelgewinn und auf die Frage, was die Formel 1 aus der erneuten Peinlichkeit lernen könnte, bemerkte er unaufgeregt: „Ich fand‘s eher amüsant. Am Ende des Tages ändert die Entscheidung für mich eigentlich nichts.“ Das mag arrogant klingen, gemeint war es so sicher nicht. „Die Situation ist eine komplexe, aber es gibt eben einen Unterschied darin, ob ein Rennen ganz abgebrochen wird oder weitergefahren werden kann. So ist das mit dem Regeln eben, manchmal gibt es zu wenige, manchmal zu viele.“
Bissigkeit, aber ohne Rücksichtslosigkeit
Auf der anspruchsvollsten Piste der Formel 1 unter den denkbar schwierigsten Umständen hat der Niederländer ein Musterbeispiel jener kontrollierten Aggressivität abgeliefert, die sein Rennjahr auszeichnen – und den Wandel in seiner Herangehensweise. „Du versuchst in jedem Jahr, ein besserer, ein kompletterer Fahrer zu werden. Das heißt: minimiere die Risiken und die Fehler.“ Deshalb ist es ein anderer Verstappen, der für ein weiteres Jahr die stolze Eins auf dem Auto tragen darf. Natürlich war da immer noch die alte Bissigkeit, die bis hin zu spektakulären Kollisionen im Vorjahr das Duell mitLewis Hamilton geprägt und vergiftet hatte. Gnadenlos ist er geblieben, aber die Rücksichtslosigkeit war weg.
Bleibt der Hunger nach mehr. Max Verstappen ist in dieser Saison beweispflichtig gewesen, hat mit gesteigerter Coolness alle Provokationen und die meisten Gegner umfahren. Keine Frage, wie er sich in Gedanken seinen Weg vorzeichnet. Sechs Jahre läuft sein Vertrag mit Red Bull Racing noch, da kann sich jeder die Zielsetzung hochrechnen: „Ich will möglichst so weitermachen.“