Der letzte Heimspiel-Auftritt von Christian Streich im Freiburger Europa Park-Stadion, der vorletzte in zwölfeinhalb Jahren als Trainer der Sport-Club-Profis, da ist Wehmut zu spüren schon lange vor Anpfiff des Bundesligaspiels gegen den 1. FC Heidenheim.

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Rundherum sind da zwar Menschen zu sehen, denen das Glück in den Gesichtern steht, ob an der Würschtlebude, dem Kaffeestand oder der Zäpflehütte, wo der Gerstensaft fließt.

Es ist an der Zeit, danke zu sagen gleich in der rappelvollen Arena. Aber, auch das ist klar, nach dem Spiel werden dann Tränen die Wangen hinab rollen, gleichzeitig Tränen der Freude für eine großartige Zeit und Tränen der Trauer, dass nun alles vorbei sein wird.

Patrick Baier, Christian Streich, Jochen Saier, Klemens Hartenbach, Oliver Leki (v.l.)
Patrick Baier, Christian Streich, Jochen Saier, Klemens Hartenbach, Oliver Leki (v.l.) | Bild: IMAGO/H. Langer

Einer aber hat ganz anderes im Kopf. Christian Streich will keine Ehrerbietung und auch keine Geschenke, Christian Streich will drei Punkte und weiß, wie schwer die zu bekommen sein werden gegen das Team von der Schwäbischen Alb.

Das Spiel

15.30 Uhr, Anpfiff von Schiedsrichter Daniel Siebert. Der Aufsteiger überzeugt in der ersten Halbzeit. Doans Führungstor gleicht Sessa aus, weil Höfler, Eggestein und Keitel falsche Entscheidungen treffen und der Heidenheimer frei durchlaufen und SC-Torwart Atubolu leichten Fußes überwinden kann.

Beklatscht, bejubelt und mit stehenden Ovationen gefeiert: Christian Streich nach dem letzten Heimspiel als Trainer der ...
Beklatscht, bejubelt und mit stehenden Ovationen gefeiert: Christian Streich nach dem letzten Heimspiel als Trainer der SC-Freiburg-Profis auf seiner Ehrenrunde im Freiburger Europa Park-Stadion. | Bild: IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Gerd Gruendl

Die zweiten 45 Minuten gehen komplett an den Sport-Club – nur ohne Ertrag. Heidenheims Kapitän Mainka bemüht den Pfosten des eigenen Tores um Mithilfe und Gregoritsch kriegt das Kunststück fertig, den Abpraller aus Nahdistanz gegen die Faust von Heidenheims Torhüter Müller zu ballern.

Wenig später erschüttert Grifos 30-Meter-Kracher den Querbalken. Dann scheitert Grifo frei vor Müller, Sallai schießt knapp vorbei und der eingewechselte Höler köpft knapp vorbei, es bleibt beim 1:1.

Heidenheims Trainer Frank Schmidt (l.) nimmt Christian Streich in den Arm.
Heidenheims Trainer Frank Schmidt (l.) nimmt Christian Streich in den Arm. | Bild: Tom Weller/DPA

Heidenheims Trainer Frank Schmidt wird später sagen, „wir hatten den Pfosten, die Latte und Kevin Müller“, Christian Streich wird sagen, „wenn du den Ball nicht mal aus vier Metern über die Linie bringst, kannst du nicht gewinnen, es kotzt mich an“.

Die Konsequenzen

Auch mit dem 1:1 liegt der SC Freiburg noch auf Kurs, sich das Ticket zu buchen für einen erneuten Auftritt auf der europäischen Fußballbühne. Doch es braucht dafür den 43. Punkt!

Fakt ist: Der Sport-Club hat vier Matchbälle vergeben. 1:1 gegen Mainz, 1:2 gegen Wolfsburg, 0:0 in Köln und nun 1:1 gegen Heidenheim, der 43. Punkt müsste längst auf dem Konto sein.

Angefasst, aber tränenlos: Christian Streich nach Anpfiff.
Angefasst, aber tränenlos: Christian Streich nach Anpfiff. | Bild: Tom Weller/DPA

So ist am letzten Spieltag bei Union Berlin mächtig Dampf im Kessel. Union muss gewinnen, um den Relegationsplatz noch verlassen zu können. Freiburg braucht mindestens einen Zähler nach Europa.

„Wenn wir so auftreten wie gegen Heidenheim, können wir in Berlin punkten“, sagt Christian Streich. In den vergangenen vier Auswärtsspielen gab es das 0:0 in Köln, davor drei Siege. Das macht Hoffnung.

Das Nachspiel

Um 17.25 Uhr pfeift Siebert ab. Nur 1:1? Das kümmert keinen Fan des SC Freiburg. Sofort kommen Sprechchöre: „Christian Streich, du bist der beste Mann!“ Der sitzt noch auf seiner Bank, dicke Objektive sind auf ihn gerichtet, doch der Tränenstrom, den Fotografen und TV-Kameramänner einfangen wollen, findet nicht statt.

Dafür wenig später die offizielle Verabschiedung durch den Verein. Vorstand Jochen Saier ehrt Streich und den ebenfalls scheidenden Kotrainer Patrick Baier in Bildern und Worten, dann gehen die beiden auf eine Ehrenrunde.

Ein Fan auf dem Rasen: Christian Streich entschärft die Situation per Umarmung.
Ein Fan auf dem Rasen: Christian Streich entschärft die Situation per Umarmung. | Bild: Philipp von Ditfurth/DPA

Natürlich gilt das überragende Interesse Streich, der der Menge Schmützli entgegenwirft, wie Küsschen im Allemannischen heißen. Grandios, dass die Heidenheimer Spieler Spalier stehen.

Großartig, dass Trainerkollege Frank Schmidt zum Mikrofon greift (“Wir sind megastolz, dass wir heute hier sein dürfen“) und einen Geschenkkorb überreicht. Einmalig, wie die Heidenheim-Fans ein Transparent in die Höhe halten: „Loyalität und Ehrlichkeit, leider eine Seltenheit – mach‘s gut, Christian!“

Der Streich

Christian Streich hat natürlich schon vor der Ehrenrunde gesprochen: „Glückwunsch an Heidenheim. Wenn wir schon wieder ein Heimspiel nicht gewinnen können, dann am liebsten gegen Heidenheim.“

Es folgt der Dank an „alle, die mich im Verein unterstützt und auch mal weggeschaut haben, wenn‘s nicht mehr korrekt war von mir.“ Kurz vor Ende der Ehrenrunde springt ein Fan aufs Spielfeld, eilfertige kräftige Ordner packen ihn, doch Christian Streich löst das auf seine Weise.

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Er nimmt den vermeintlichen Störenfried in die Arme und alles ist gut. Es handelt sich um einen jungen Burschen, der hemmungslos weint. Sagt diese Szene nicht alles aus über den Stellenwert des Trainers, vor allem aber des Menschen Christian Streich?

Der Epilog

Beim letzten Tête-à-Tête mit den „Heimjournalisten“ lobt Christian Streich die imposante Choreografie, die SC-Fans zum 120-jährigen Jubiläum des Vereins bastelten und die vor Spielbeginn ein wunderbares Bild abgegeben hatte.

„Farblich großartig, ein Augenschmaus“, sagt Streich, „das war europäische Klasse.“ Und da ist dann das Stichwort noch mal für das letzte Saisonspiel. In Berlin gegen Union geht‘s um Europa.

Der Dank geht an die Fans zurück. Christian Streich beklatscht auf seiner Ehrenrunde das Publikum im Europa Park-Stadion.
Der Dank geht an die Fans zurück. Christian Streich beklatscht auf seiner Ehrenrunde das Publikum im Europa Park-Stadion. | Bild: IMAGO/Joeran Steinsiek

Klappt‘s mit dem 43. Punkt (oder bei Sieg auch dem 45.) wäre auch die Saison mit den vielen Verletzungsproblemen laut Streich „wieder eine außergewöhnliche“. Klappt‘s nicht, dann wäre eingetreten, worauf er schon vor Saisonbeginn hingewiesen hatte.

Es könne nicht immer nur nach oben gehen wie in den zwei Jahren zuvor. Gewiss ist aber: Ein wenig ankotzen würde es Christian Streich denn doch.