In der Natur sind Zwillinge eher selten. Beim Menschen sind gerade mal 1,2 Prozent aller Geburten Zwillingsgeburten. In der Industrie dagegen erhalten Zwillinge, genauer gesagt digitale Zwillinge, mehr und mehr Einzug. Denn sie sind ein wichtiger Baustein der Digitalisierung und Vernetzung der Produktion, die derzeit unter dem Stichwort Industrie 4.0 stattfindet. Digitale Zwillinge sind ein virtuelles Abbild eines realen Objekts, zum Beispiel einer Maschine, eines Produkts oder einer ganzen Produktionslinie. Dabei ist die Hardware über Sensoren mit der Software verbunden, so dass sich Veränderungen von Materialeigenschaften in Echtzeit analysieren lassen.

Ändert sich das Objekt, ändert sich auch sein digitaler Zwilling in der virtuellen Welt. Zudem lassen sich am digitalen Zwilling Experimente, Simulationen, Veränderungen der Programmierung oder Schulungen durchführen, ohne dass das reale Objekt physisch vor Ort sein muss. Das ist vor allem bei schweren, kaum transportierbaren Dingen ein Vorteil. Zudem lassen sich Defekte des Objekts per Ferndiagnose feststellen und gegebenenfalls sogar beheben, so dass ein Installateur auf eine weite Anreise verzichten kann.

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Immer mehr Unternehmen arbeiten mit diesem Konzept. "Wir arbeiten aktiv an der Implementierung des digitalen Zwillings, er ist ein wichtiger Bestandteil unseres künftigen Produktionsprozesses", heißt es beim Autobauer Daimler. Der digitale Zwilling sei der "Dreh- und Angelpunkt" der Fabrik der Zukunft, teilt Bosch mit. Mithilfe eines digitalen Zwillings ließe sich zum Beispiel testen, wie sich neue Produktvarianten auf Platzbedarf, Stabilität, Lagerfähigkeit oder den Transport auswirken. "Der digitale Zwilling revolutioniert die Abläufe entlang der gesamten Wertschöpfungskette", erklärt Siemens.

Auch Unternehmen aus unserer Region setzen digitale Zwillinge ein. Bei Rolls-Royce Power Systems (RRPS) läuft derzeit in Friedrichshafen ein Projekt, bei dem ein virtuelles Abbild des echten Motors angelegt und ständig mit Betriebsdaten gefüttert wird, um beispielsweise Wartungsarbeiten besser voraussagen zu können. Doch das ist noch nicht alles. "RRPS verfolgt das Ziel, digitale Zwillinge aller im Einsatz befindlichen Produkte herzustellen, vom einzelnen Motor über ein Bahn-Powerpack bis zum schlüsselfertigen Stromaggregat", teilt ein RRPS-Sprecher mit. Ziel sei es, einen Zwilling mit Daten anzureichern, die aus unterschiedlichsten Quellen kommen, zum Beispiel 3D-Modelle, Wetterdaten, Fahrpläne und vom Antrieb gesendete Betriebsdaten.

Bei ZF hält man ebenfalls hohe Stücke auf das Konzept des digitalen Zwillings. „Im Idealfall lässt sich durch einen digitalen Zwilling eine Fabrik simulieren, bevor man sie überhaupt baut", erklärt Jürgen Sturm, Leiter der IT-Abteilung des Autozulieferers aus Friedrichshafen. Schon heute setze man bei ZF digitale Zwillinge in verschiedenen Bereichen ein. „Wir können zum Beispiel mittels Datenbrillen von Deutschland aus das Saarbrücker Schwesterwerk in Gray Court, South Carolina, inspizieren und so bei der Instandhaltung und Reparatur von Maschinen vor Ort den Kollegen in den USA helfen“, so Sturm.

"Die Effizienz in der Produktion steigt"

Gisela Lanza, Inhaberin des Lehrstuhls für Produktionssysteme des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), spricht über das Potenzial des digitalen Zwillings.

Frau Lanza, macht der digitale Zwilling das Leben eines Arbeitnehmers einfacher oder komplizierter?

In der Montage eröffnet sich die Möglichkeit, die Mitarbeiter in der virtuellen Welt und nicht am realen Objekt zu schulen. Dadurch wird es für den Anwender einfacher, weil man ihm die Arbeitsschritte mit reduzierter Komplexität bildlich – zum Beispiel mit der Hilfe von 3-D-Brillen – beibringen kann.

Welche Vorteile bringt der digitale Zwilling für Unternehmen?

Durch den digitalen Zwilling lässt sich die Effizienz in der Produktion steigern, wodurch Kosten gesenkt werden können. Denn die Daten fließen so fast in Echtzeit von A nach B. Aber zunächst muss man in die digitale Infrastruktur investieren, was Geld kostet.

Steigert die Einführung von digitalen Zwillingen die Gefahr von Hackerangriffen auf Firmen von außen?

Sobald man digitale Daten hat, ist man natürlich von einer virtuellen Seite her angreifbar. Aber dagegen gibt es genügend Schutzmaßnahmen.

Welche Rolle spielt das Konzept des
digitalen Zwillings in der Ausbildung?

Die Ausbildung an den Hochschulen wird immer digitaler. Wer heute als Maschinenbauingenieur, Elektrotechniker oder Informatiker die Universität verlässt, kann mit Konzepten wie dem digitalen Zwilling, Industrie 4.0, künstlicher Intelligenz, Big Data und dem Internet der Dinge gut umgehen.

Fragen: Thomas Domjahn