Es gibt nicht viele Arbeitsplätze, die so schön gelegen sind wie Werk 2 des Friedrichshafener Großmotorenbauers Rolls-Royce-Power-Systems (RRPS). Direkt am Bodenseeufer öffnet sich von den Motorenhallen aus der Blick über die schillernde Wasserfläche des Sees hin zu den Schweizer Alpen.

Besuch vom Chef – und seiner Familie

Am Freitag, dem 11. Oktober 2024, erhielt man dort, wo der legendäre Zeppelin im Jahr 1900 zum ersten Mal in die Lüfte schwebte, gegen 15.45 Uhr hohen Besuch. RRPS-Vorstandschef Jörg Stratmann hatte sich angekündigt. Nicht ungewöhnlich. Immerhin schaut der seit Ende 2022 amtierende Firmenchef immer mal wieder im Werk vorbei, um nach dem Rechten zu sehen oder wichtige Kunden herumzuführen. Diesmal hatte er allerdings keine Kaufinteressenten für die gewaltigen Dieselmotoren des Unternehmens in seinem Tross.

Das Logo der MTU ist auf einer Zylinderkopfabdeckung angebracht. Das Unternehmen RRPS ist aus der Motorentochter der Zeppelin-Werke ...
Das Logo der MTU ist auf einer Zylinderkopfabdeckung angebracht. Das Unternehmen RRPS ist aus der Motorentochter der Zeppelin-Werke entstanden, gehörte dann lange zu Daimler und jetzt zum britischen Rolls-Royce-Konzern. | Bild: Felix Kästle/dpa

Führungskräfte als Reiseführer

Vielmehr nutzte der Vorstandsvorsitzende nach Informationen dieser Zeitung den Nachmittag, um seiner Familie eine umfangreiche Führung durch die beiden Friedrichshafener Produktionswerke des Konzerns zu ermöglichen. In einem Dokument, das dem SÜDKURIER vorliegt, werden zwölf Personen, inklusive des Firmenchefs, aus dessen „erweitertem Familienkreis“ aufgeführt, darunter Frau und Kinder, sowie „betagte Personen“.

Die Gruppe habe sich Zeit genommen, sagt einer, der damals dicht dran gewesen ist. Mehr als zwei Stunden habe der Privat-Trip durch Werk 2 und das in der Friedrichshafener Innenstadt gelegene Werk 1 des Maschinenbauers gedauert. In den Hallen sei die Mini-Delegation von „je einer RRPS-Führungskraft“ betreut worden. Diese hätte im Stil eines Reiseführers Fragen zu den tausende PS-starken Aggregaten und zur Geschichte des Motorenbaus am Bodensee beantwortet.

Werk blitzblank gewienert

Der Besuch des Chefs und seiner Familie sei im Vorfeld intensiv intern geplant worden, heißt es von informierter Seite. Nicht unwahrscheinlich sei, dass mehrere Wochen Arbeitszeit, teils von Führungskräften, dafür verwendet worden seien. Die persönliche Assistenz des Vorstandschefs habe den Ablauf nach seinen Vorstellungen konzipiert, Pforte und Werksschutz hätten für die Sicherheit der Veranstaltung gesorgt und entsprechendes „Equipment“ zur Verfügung gestellt, wie es in dem Dokument heißt.

Die Hallen seien extra gewienert worden. „Wenn der Vorstandschef in den Werken aufschlägt, springen so einige im Kreis“, sagt eine mit den Vorgängen vertraute Person.

Mitarbeiter von Rolls Royce Power Systems montieren Motoren der MTU-Baureihe 2000 zusammen. Auf Leistung getrimmte Aggregate dieser ...
Mitarbeiter von Rolls Royce Power Systems montieren Motoren der MTU-Baureihe 2000 zusammen. Auf Leistung getrimmte Aggregate dieser Baureihe finden sich auch in gepanzerten Fahrzeugen der Bundeswehr. | Bild: Felix Kästle, dpa

Werksführungen sind eigentlich passé

Im Unternehmen indes habe die Aktion bei Manchem für „arge Verwunderung“ gesorgt. Wegen des privaten Charakters und des hohen Aufwands, aber auch weil man wenige Monate zuvor, im Sommer 2024, die Besuchsvorschriften verschärft habe. So seien Werksführungen selbst für Kunden nur noch in besonderen Fällen erlaubt worden.

Alle anderen Besuche, etwa von Rentnern oder Schulklassen, seien seit damals passé gewesen. Aus Sicherheitsgründen sei es allen Mitarbeitern zudem untersagt worden, mit Privat-Pkws aufs Werksgelände einzufahren, sagt die Quelle. Dieser Ukas sei unmittelbar vor dem Besuch der Familienangehörigen des Vorstandschefs in Kraft gesetzt und auch im Intranet veröffentlicht worden. Indes: Stratmann und sein Kreis hielten sich offenbar nicht daran und fuhr laut der Quelle aus dem Unternehmen mit zwei schweren Mercedes-Privatfahrzeugen ins Werk.

Unternehmen: „Kein Kommentar“, aber auch kein Dementi

Das Unternehmen hüllt sich zu alldem in Schweigen. „Über interne Vorgänge und Kommunikation geben wir grundsätzlich keine Auskunft“, heißt es vom Unternehmen. Gleiches gilt für den RRPS-Aufsichtsrat. Sowohl die Vorsitzende des Gremiums, Jasmin Staiblin, als auch deren Stellvertreter und Konzernbetriebsratsvorsitzender Thomas Bittelmeyer, ließen Fragen des SÜDKURIER zum Thema unbeantwortet.

Rüdiger Wilhelmi ist Prorektor für Lehre an der Universität Konstanz und Wirtschaftsjurist. Außerdem ist er Spezialist für ...
Rüdiger Wilhelmi ist Prorektor für Lehre an der Universität Konstanz und Wirtschaftsjurist. Außerdem ist er Spezialist für Vertragsrecht, etwa in Unternehmen. | Bild: Inka Reiter

Experten sehen den Familienbesuch im Werk kritisch. „Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre das Verhalten sowohl rechtlich als auch aus Compliance-Gründen problematisch“, sagt etwa Rüdiger Wilhelmi, Wirtschaftsrechtler an der Universität Konstanz. Firmenressourcen für private Zwecke zu nutzen, gehe grundsätzlich nur mit einer entsprechenden Erlaubnis.

Das könnte Sie auch interessieren

Gleiches Recht für Vorstände wie für normale Mitarbeiter

Ohne diese können die Folgen erheblich sein. Das gelte „für gewöhnliche Arbeitnehmer, als auch für Vorstandsmitglieder“, sagt der Jura-Professor. In jedem Fall sei „der Aufsichtsrat verpflichtet, den Vorwürfen nachzugehen und etwaige Ansprüche durchzusetzen“.

Die rechtlichen Möglichkeiten des Aufsichtsgremiums reichten „bei Untreue von einer einfachen Abmahnung über Schadensersatzansprüche bis zur Abberufung als Vorstand. Auch eine Nicht-Verlängerung des Vertrags wäre denkbar“, sagt Jurist Wilhelmi. Auf jeden Fall müssten die entstandenen Kosten zurückbezahlt werden.

Was wusste der Aufsichtsrat?

Klar ist, dass den Vorstandskontrolleuren im Aufsichtsrat bei der Aufklärung des Sachverhalts eine wichtige Rolle zukommt. Im Moment lässt sich das Gremium auffällig viel Zeit, den Vertrag von Konzernchef Stratmann zu verlängern. Wie der SÜDKURIER bereits vergangene Woche berichtete, sind zwei Mitglieder des dreiköpfigen RRPS-Vorstands bereits vorzeitig vom Aufsichtsrat für eine weitere Amtszeit bestätigt worden.

Einzig Konzern-Chef Stratmann wartet noch auf seine Wiederbestellung. Und das, obwohl er zeitlich gesehen schon längst an der Reihe gewesen wäre. Bei RRPS ist er länger unter Vertrag als sein Vorstandskollege Andreas Strecker. Dieser indes hat seinen neuen Arbeitsvertrag bis 2028 schon in der Tasche.

Riesige Dieselmotoren der Marke MTU – im Bild ein Schiffsantrieb – sind die Spezialität von RRPS aus Friedrichshafen.
Riesige Dieselmotoren der Marke MTU – im Bild ein Schiffsantrieb – sind die Spezialität von RRPS aus Friedrichshafen. | Bild: Robert Hack

Hängepartie um Vorstandsvertrag

Warum also die Hängepartie? An den Geschäftszahlen des 10.000-Mitarbeiter-Unternehmens kann es nicht liegen. Denn da liefert der Ex-Mahle-Manager Stratmann ab. Nach Rekordwerten 2023 bei Umsatz und Gewinn habe das Geschäft auch 2024 gebrummt, wie es von informierter Seite heißt.

Offiziell veröffentlicht die Tochter des britischen Rolls-Royce-Konzerns ihre Jahreszahlen fürs abgelaufene Jahr Ende Februar. Insbesondere die Nachfrage von Notstromdieseln der Marke MTU und für Datenzentren weltweit boomt. Aufgrund der unsicheren Weltlage laufen bei den Friedrichshafenern zudem immer mehr Rüstungsaufträge zum Bau von MTU-Panzermotoren, etwa für den Leopard 2, ein.

Ordentlich Wumms: Bis zu 10.000 KW leisten die Aggregate der 8000er-Serie von MTU. Kleinere Motoren werden auch in Panzer verbaut.
Ordentlich Wumms: Bis zu 10.000 KW leisten die Aggregate der 8000er-Serie von MTU. Kleinere Motoren werden auch in Panzer verbaut. | Bild: Rolls-Royce Power Systems AG

Und auch das Geschäft mit Antrieben für Luxus-Yachten entwickelt sich hervorragend. Umsatz und Gewinn sprudeln so nachhaltig, dass RRPS seine Mitarbeiter zum Jahresende mit der Nachricht überraschte, ihnen Gratisaktien im Wert von 900 Euro pro Person zu schenken.

Wie es mit Konzern-Chef Stratmann weitergeht, entscheidet sich mitunter in den kommenden Wochen. Im Februar und März stehen bei RRPS traditionell Aufsichtsratssitzungen an, in denen auch über das Jahresergebnis und damit die Vorstandsboni entschieden wird. Kaum denkbar, dass der Familien-Trip im Motorenwerk da nicht Thema ist.