Herr Stratmann, hinter Rolls-Royce Power Systems (RRPS) liegt ein bewegtes Jahr. An welchem Punkt steht das Unternehmen?

Aus Unternehmenssicht kann ich sagen, dass wir uns erfolgreich weiterentwickelt haben. Wir haben uns strategisch neu ausgerichtet, unsere Transformation vorangetrieben und Wachstumsfelder stärker in den Blick genommen. Und wir haben hier am Bodensee viel investiert. Insofern blicke ich positiv in die Zukunft.

Nach außen hin war es auch ein Jahr der großen Verunsicherung. Ihr Mutterkonzern Rolls-Royce muss sparen. Auch bei RRPS werden Stellen wegfallen. Es gab mehrere Betriebsversammlungen am Stammwerk. Steuert ihr Unternehmen jetzt in ruhigeres Fahrwasser?

Unser Geschäftsbereich Power Systems ist wirklich gut aufgestellt. Wir sind technologisch vorne und in unseren Geschäftsfeldern sehr gut positioniert. In allen unseren Märkten haben wir sehr relevante Marktanteile. Wir sind zudem nicht so zyklisch unterwegs wie andere Maschinenbauer. Ein Großteil unserer Produkte ist nicht unmittelbar von globalen Wachstumsraten abhängig. Ein Beispiel: Wir sind mit unseren MTU-Stromaggregaten einer der führenden Hersteller für Notstromlösungen für Rechenzentren.

Jeder dritte Mausklick weltweit wird durch unsere Notstromaggregate abgesichert. Die Digitalisierung ist ein Megatrend, von dem wir voll profitieren. Ähnlich verhält es sich im Behörden- und Verteidigungsgeschäft. Wir sind mit unseren MTU-Motoren der führende Ausstatter der Bundeswehr und diverser Nato-Armeen bei Antrieben für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Unsere Antriebe stecken auch in zahlreichen Schiffen und Luxusjachten. Alle diese Geschäftsfelder sind von der aktuell eher mauen allgemeinen Wirtschaftsentwicklung entkoppelt. Ich blicke daher positiv auf uns und die Zukunft.

Der Leopard 2 wird von einem MTU-Motor vom Bodensee angetrieben.
Der Leopard 2 wird von einem MTU-Motor vom Bodensee angetrieben. | Bild: Philipp Schulze

Eine neue Strategie soll RRPS profitabler machen. Worin genau besteht diese Strategie?

Wir fokussieren uns darauf, was wir am besten können und was profitables Wachstum verspricht. Neben den genannten Bereichen – Energielösungen für Datenzentren, das Behörden- und Verteidigungsgeschäft und den Schiffsantrieben – haben wir zwei weitere Sektoren definiert, in denen wir unsere Kräfte bündeln wollen. Das sind alles Bereiche, in denen in den kommenden Jahren überdurchschnittliches Wachstum stattfinden wird.

Welche Felder sind das?

Wir entwickeln seit einiger Zeit um große Batteriespeicher herum sogenannte Inselsysteme für die Energieversorgung. Dabei kombinieren wir Speicher sowohl mit regenerativen Energiequellen aus Solar und Wind als auch mit Notstromaggregaten. Das alles vernetzen wir mit eigener intelligenter Steuerungselektronik.

Am Ende stehen sogenannte Microgrids, die wichtige Gebäude, Industrieanlagen oder ganze Wohnquartiere mit Energie versorgen können. Solche dezentralen Systeme sind im Zuge der Energiewende weltweit im Trend. Und wir haben das Knowhow für die kompletten Systeme hier im Haus.

Großtraktor mit MTU-Motor. Bald zieht man sich aus dem Traktoren-Geschäft zurück. Es wird an Deutz aus Köln verkauft.
Großtraktor mit MTU-Motor. Bald zieht man sich aus dem Traktoren-Geschäft zurück. Es wird an Deutz aus Köln verkauft. | Bild: Ambrosius, Andreas

Und das letzte Wachstumsfeld?

Ein weiterer Fokus ist der Service: Ersatzteile, Produktaufwertungen und Remanufacturing. Unsere Produkte sind recht komplex und haben ihren Preis, sodass man sie, wenn sie in die Jahre kommen oder sie eine bestimmte Betriebszeit erreicht haben, nicht einfach ausmustert.

Stattdessen werden sie nach industriellen Prozessen aufgearbeitet. Remanufacturing nennen wir das. Dazu werden Motoren komplett auseinandergebaut, durchgecheckt, Teile aufgearbeitet und durch neue ersetzt und die Motoren wieder aufgebaut. Die sind dann so gut wie neu, aber deutlich günstiger als ein neues Produkt. Und es ist nachhaltig, weil die Produkte wiederverwertet werden, also echte Kreislaufwirtschaft. Solche Service-Dienstleistungen sind immer gefragter, und das bauen wir aus.

Eine strategische Neuaufstellung bedeutet meist auch, sich von Geschäften zu trennen. Welche sind das bei Ihnen?

Es ist richtig, dass wir uns fokussieren müssen, um erfolgreich zu sein. Das heißt, dass wir uns z.B. von kleineren Motoren, die Daimler Truck auf der Basis ihrer Nutzfahrzeugtechnologie für uns herstellt, trennen werden. Zum Einsatz kommen sie vor allem in Landmaschinen oder in der Forstwirtschaft. Ziel ist es, dieses Geschäftsfeld im ersten Halbjahr 2024 an die Kölner Deutz AG zu verkaufen.

Zudem haben wir unsere Brennstoffzellen-Aktivitäten depriorisiert. Die Nachfrage war hier viel geringer, als vor einigen Jahren erwartet worden war, bei gleichzeitig hohen Kosten. Die Technologie ist weiter gut und sinnvoll. Wir haben nur für uns festgestellt, dass sie auf absehbare Zeit nicht so wie gedacht in unsere Märkte und Produkte passt.

Auch in großen Muldenkippern laufen die Aggregate vom Bodensee, teils mit mehreren Tausend PS.
Auch in großen Muldenkippern laufen die Aggregate vom Bodensee, teils mit mehreren Tausend PS. | Bild: Ambrosius, Andreas

Aufträge für die Neuausstattung der Bundeswehr waren lange Mangelware, obwohl mit dem Sondervermögen Bundeswehr ein 100-Milliarden-Euro-Topf bereitsteht. Hat sich das geändert?

Die Aufträge kommen. Überall zeigen die Auftragseingänge stark nach oben.

Über welche Stückzahlen reden wir?

Aus dem Sondervermögen sind die ersten Antriebe aus einem Rahmenvertrag für 18 Leopard-Panzer bestellt worden. Zudem hat die Bundeswehr kürzlich 53 Antriebe für den Puma bestellt, als Ersatzantriebe damit die bestehenden Antriebe überholt werden können. Wir werden hier deutlich mehr Aufträge sehen.

Wenn die Auftragswelle anrollt, sind sie dann sofort lieferfähig?

Wir haben die Kapazitäten bereits 2023 deutlich erweitert und eine neue Produktionslinie aufgebaut. Zudem haben wir die Ersatzteilversorgung wieder auf neue Beine gestellt. Nicht zuletzt haben wir dafür Personal eingestellt. Wir können also jederzeit produzieren und liefern, mit den entsprechenden zeitlichen Vorläufen, die ein so anspruchsvolles Aggregat benötigt.

Luxusyachten werden oft von MTU-Dieseln angetrieben. Das Geschäft boomt.
Luxusyachten werden oft von MTU-Dieseln angetrieben. Das Geschäft boomt. | Bild: Rrps

Wie sind die Perspektiven für den Stammsitz in Friedrichshafen?

Der Standort Friedrichshafen ist von zentraler Bedeutung und wird es auch bleiben. Das lässt sich allein schon daraus ablesen, dass 60 Prozent unserer Belegschaft hier arbeitet. Außerdem entwickeln wir uns immer weiter zu einem Systemlieferanten. Und die Systemkompetenz ist hier beheimatet. Im vergangenen Jahr wurde zudem eine Standort- und Beschäftigungssicherung bis Ende 2026 vereinbart, in deren Folge innerhalb der nächsten drei Jahre 120 Millionen Euro am Bodensee investiert wird. Das ist ein klares Zeichen.

Von Betriebsrat kommt der Vorwurf, Rolls-Royce sauge den Gewinn nach England ab. Das stimmt dann also nicht?

Wir investieren sehr viel Geld, uns zu modernisieren, in unsere Transformation, auch in Gebäude und Infrastruktur und natürlich, um unsere Geschäfte voranzutreiben. Das erste Mal seit mehr als 20 Jahren entwickeln wir beispielsweise für eines unserer wichtigsten Produkte, die 4000er-Motoren-Baureihe, hier am Standort ein Nachfolgemodell. Das ist eine ganz neue Plattform und wir nehmen dafür ebenfalls einen dreistelligen Millionenbetrag in die Hand. Das war mir persönlich sehr wichtig. Ich glaube, das unterstreicht die Bedeutung des Stammsitzes in Friedrichshafen.

Dennoch hat RRPS ein Abfindungsprogramm aufgelegt und will sich von Mitarbeitern trennen. Wie viele Mitarbeiter betrifft das?

Das steht noch nicht fest. Diese Pläne werden gerade erarbeitet.

RRPS sucht trotz allem auch neue Mitarbeiter. Wie bekommt man heiß begehrte Fachleute an den Bodensee?

Es ist überall eine Herausforderung, ausgezeichnete Fachkräfte zu gewinnen. Ich denke nicht, dass Friedrichshafen und der Bodensee da Nachteile gegenüber anderen Regionen haben. Das mag auch an unserer Firma liegen, die ein Hochtechnologieunternehmen ist, das viel zu bieten hat.

Rolls-Royce Power Systems wird zwar immer als klassischer Maschinenbauer wahrgenommen. Das stimmt auch, und gleichzeitig wird sind mittlerweile sehr viel mehr. Wir entwickeln und produzieren unsere Elektronik selber und entwickeln dazu auch die Software.

Bei Autos ist das Verbrenner-Aus 2035 quasi besiegelt. Wann wird man sich bei Groß-Motoren von der Technologie verabschieden?

Verbrenner wird es hier noch lange geben. So große Motoren wie unsere kann man in den meisten Fällen nicht einfach durch Elektroantriebe ersetzen. Deswegen werden wir für diese Anwendungen auch fossile Brennstoffe noch mindestens 15 bis 20 Jahre sehen – aber nicht nur. Denn sie werden sukzessive von klimaneutralen Kraftstoffen ersetzt. Das ist ein Prozess, der jetzt schon voll in Gang ist.

80 Prozent unserer Motorbaureihen – vom Sechs- bis zum 20-Zylinder – sind jetzt schon bereit für den Betrieb mit Bio-Kraftstoff der 2. Generation. Das ist ein dieselähnlicher Kraftstoff, der aus Abfällen wie Frittierfett oder Pflanzenresten erzeugt wird.

Welche Einsatzgebiete haben diese Kraftstoffe schon?

Wir haben Kunden im Bahnsektor, die diesen Sprit schon nutzen. Aber auch schwere Maschinen für Minen und Bergbau greifen schon heute darauf zurück. Der Kraftstoff hilft ihnen, im täglichen Betrieb bilanziell bis zu 90 Prozent CO2 zu vermeiden und so ihre Klimaziele zu erreichen. Der nächste Entwicklungsschritt sind sogenannte synthetische Kraftstoffe, die dann gänzlich klimaneutral sind. Da geht es im Moment vor allem um synthetisches Methanol sowie grünen Wasserstoff. Auch bei diesen Technologien sind wir vorne dabei.

Dieses Jahr wird unser erster Großmotor in Betrieb gehen, der zu 100 Prozent mit grünem Wasserstoff betrieben werden kann. In diesen Punkten zeigt sich unsere Rolle in der Energiewende, insbesondere in diesen besonderen Industrien.

Elektro-Antriebe spielen noch keine Rolle?

Wir bewegen uns mit unseren Produkten in Leistungsbereichen, in denen es Stand heute keine Alternativen zum Verbrenner gibt. Und auch in nächster Zeit wird das so sein. Wohl aber gibt es eine Entwicklung hin zu Hybrid-Antrieben aus Verbrenner und E-Antrieb. Bei Schiffen und Zügen wird das ein immer größeres Thema. Die Deutsche Bahn beginnt derzeit damit, Dieselloks, wo sie nicht elektrisch ersetzt werden können, mit Bio-Diesel der 2. Generation – HVO – zu betreiben.

Sie sind der Haus-und-Hof-Motorenlieferant der Bundeswehr. Wann kommt der Elektro-Panzer?

Davon sind wir noch einige Zeit entfernt. Aber im Militär werden Hybrid-Antriebe Einzug halten. Wir entwickeln ein entsprechendes Hybrid-Aggregat, das künftig gepanzerte Fahrzeuge antreiben soll. Hier ist die Hybridtechnik übrigens vor allem militärisch interessant: weniger Verbrennerbetrieb heißt weniger Wärme und Abgas und damit verminderte Erkennbarkeit im Einsatz.

Zuletzt gab es viel Kritik am Standort Deutschland. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, wir können uns im internationalen Vergleich durchaus noch sehen lassen, gleichzeitig müssen wir wieder aufholen und schlichtweg besser werden. Auffällig finde ich, dass man sich im Ausland das erste Mal seit langer Zeit wieder Sorgen um uns macht. Und wenn ich zum Beispiel auf die bröckelnde Infrastruktur oder die teilweise zähen Diskussionen rund um die Energiewende blicke, kann ich das nachvollziehen.

Ich habe aber die Hoffnung, dass man das hierzulande erkennt und Abhilfe schafft. Ich bleibe positiv gestimmt, man sollte nicht alles schlechtreden. Bisher hat Deutschland noch immer die Kurve bekommen.