Den Rettungskräften bot sich ein Bild der Zerstörung. Fünf Lastwägen lagen nahe Geisingen wie überdimensionierte Dominosteige quer über die Fahrbahn der A81 verstreut. Einer war umgekippt, mehrere aufgefahren und hatten sich ineinander verkeilt. 

Für 13 Stunden war die Autobahn im März dieses Jahres gesperrt. Wie durch ein Wunder zogen sich die Trucker nur leichtere Verletzungen zu. Einer vor ihnen hatte beim Spurwechsel die Kontrolle über seinen 40-Tonner verloren und die Massenkarambolage ausgelöst.

Geht es nach dem weltweit größten Nutzfahrzeugzulieferer ZF, werden derartige folgenschwere Unfälle bald der Vergangenheit angehören. Auf seiner weltweiten Neuheitenschau auf der hauseigenen Teststrecke im niedersächsischen Jeversen hat ZF eine ganze Reihe von Systemen vorgestellt, um außer Kontrolle geratene Brummis zu bändigen.

Sicherere Trucks dank Innovationen

„Deutliche Sicherheitsgewinne zu erzielen“, sei eine der Haupt-Entwicklungsaufgaben der ZF-Ingenieure, sagte der für Nutzfahrzeuge zuständige ZF-Vorstand Peter Laier in Jeversen. In vielen Anwendungen sei man dabei „führend“.

Peter Laier ist seit gut eineinhalb Jahren Vorstand bei ZF für Nutzfahrzeuge und die Industrietechnik. Er ist promovierter Maschinenbauer.
Peter Laier ist seit gut eineinhalb Jahren Vorstand bei ZF für Nutzfahrzeuge und die Industrietechnik. Er ist promovierter Maschinenbauer. | Bild: zf

Gefährlicher Spurwechsel

Nach Daten der Unfallforschung der deutschen Versicherer (UDV) sind es vor allem Auffahrunfälle, Abbiege-Crashs und abrupte Spurwechsel, die zum Tödlichsten auf deutschen Straßen gehören. Letztere Geisel moderner Mobilität hat ZF jetzt in den Fokus genommen.

Bis zu zwölf Prozent der Unfälle in Deutschland gehen auf Spurwechsel zurück. Folgenreich sind die unachtsamen Ausflüge auf die linke Fahrbahn besonders bei schweren Gespannen. Laier, selbst Professor für Maschinenbau, sagt jetzt: „Wir nehmen dem Spurwechsel den Schrecken.“

Walther Rosenberger, Leiter der Wirtschaftsredaktion des SÜDKURIER (links), lässt sich auf der Teststrecke in Jeversen die Funktion ...
Walther Rosenberger, Leiter der Wirtschaftsredaktion des SÜDKURIER (links), lässt sich auf der Teststrecke in Jeversen die Funktion eines neuartigen Lenksystems für Lkw erklären. Es beugt Ermüdung vor und ist sehr präzise. | Bild: ZF/Kästle

Dafür haben die Friedrichshafener Tüftler schwere Trucks mit Radarsensoren und Kameras aufgemotzt, um die Brummi-Fahrer zu unterstützen. Das ist auch bitter nötig. UDV-Daten legen nahe, dass deren Aufmerksamkeit im Straßenverkehr schon nach 15 Minuten zu sinken beginnt – keine guten Aussichten bei Lenkzeiten von vielen Stunden und enormen Preis- und Zeitdruck in der Logistikbranche.

Holger Klein ist Vorstandschef der ZF. Er investiert Milliarden Euro in Zukunftstechnologien, aber er spart auch hart. In Deutschland ...
Holger Klein ist Vorstandschef der ZF. Er investiert Milliarden Euro in Zukunftstechnologien, aber er spart auch hart. In Deutschland sollen Jobs wegfallen. | Bild: Felix Kästle

Wenn Brummifahrer wegnicken

Nicken die Trucker weg oder treffen im Tran am Steuer eine Fehlentscheidung, greift nun die ZF-Sensorik ein und bringt die Brummis automatisiert zurück auf Spur. Das besondere dabei: Es wird nicht nur die Zugmaschine, sondern auch der Anhänger überwacht und gegebenenfalls abgebremst.

Eine technologische Besonderheit, heißt es von ZF. In ähnlicher Art und Weise sollen Totwinkelassistenten oder autonom arbeitende Notbremssysteme etwa die Sicherheit von Fahrradfahrern oder Pkw-Insassen am Stauende erhöhen.

Test-Wagen von ZF: Künstliche Intelligenz hilft, dass das Fahrzeug in Extremsituationen spurtreu bleibt.
Test-Wagen von ZF: Künstliche Intelligenz hilft, dass das Fahrzeug in Extremsituationen spurtreu bleibt. | Bild: Felix Kästle

ZF sieht sich bei diesen Technologien, die zunehmend auch KI-gestützt betrieben werden, als führend. Beim Umsatz mit derartigen Fahrerassistenzsystemen prophezeit Laier dem Konzern ein Wachstum von 20 Prozent bis 2030.

Alternative Antriebe für Lkw – ZF hat mehrere Optionen

Ähnlich dynamisch soll auch die Umstellung der globalen Brummiflotten auf neue, CO2-effizientere, Antriebe ablaufen. Ob das klappt ist freilich unklar. Zuletzt haben sich PKW-Käufer wieder öfter aus Kostengründen für Verbrennungsmotoren entschieden. Und Spediteure sind noch preissensibler. Für sie zählen die sogenannten Total Costs of Ownership (TCO) also schlicht die Frage: Was kostet ein Truck pro Kilometer im Betrieb, bis er abgeschrieben ist?

Da ist der Diesel im Moment noch unschlagbar günstig. Laier sagt, es fehlten Anreize für Flottenbetreiber, in alternative Antriebe zu investieren. Sollten sie kommen, wäre ZF jedenfalls vorbereitet. Für Reichweiten zwischen 300 und 500 Kilometern wird sich nach Prognosen von ZF rein batterieelektrisches Fahren auch bei Lastwagen durchsetzen.

Alles was weitergeht, werde durch „Wasserstoffmotoren, Hybridsysteme oder die Brennstoffzelle betrieben werden“, sagt Laier. Das kritische Datum ist hier das Jahr 2045. Dann soll ganz Deutschland – und damit auch der Transportbereich – klimaneutral unterwegs sein.

Ein mit einem ABS von ZF Friedrichshafen ausgerüsteter Traktor beim Schlittertest auf nasser Piste.
Ein mit einem ABS von ZF Friedrichshafen ausgerüsteter Traktor beim Schlittertest auf nasser Piste. | Bild: Felix Kästle

Neues Traxon-Hybrid-Getriebe soll in Friedrichshafen gebaut werden

Schwere Elektromotoren, aber auch ganze elektrifizierte Achsen und Hybrid-Getriebe, haben die Friedrichshafener bereits im Markt. Und es kommen immer neue Produkte hinzu. So wird der Zulieferer auf der im September in Hannover startenden Messe IAA Nutzfahrzeuge eine mit einem Elektromotor ausgestattete Variante seines Brot-und-Butter-Getriebes für Lastwagen, Traxon, vorstellen. Das Hybrid-Getriebe soll, ähnlich wie andere Elektrokomponenten, auch am Bodensee vom Band laufen.

Auflieger mit eigenem A-Antrieb

Eine andere wegweisende Neuerung wurde ebenfalls in Jeversen vorgestellt. Die ZF-Ingenieure haben einen Lkw-Auflieger mit eigenem Elektroantrieb entwickelt. ZF verspricht damit Kraftstoffersparnisse zwischen 16 und 40 Prozent – je nach Auslegung und eine bessere Fahrstabilität in Extremsituationen.

Vorbild könnte der Bahnbereich gewesen sein. Bei Zügen gibt es seit Jahren den Trend, den Antrieb weg von der Zugmaschine und hin zu den einzelnen Wagen zu verlagern. Über einen solchen Unterflurantrieb verfügt etwa der ICE 3 der Deutschen Bahn.

Elektro-Kipper Video: Rosenberger, Walther

ZF-Chef: Investitionen in Deutschland

Was die ZF-Systeme – egal ob für Künstliche Intelligenz, für Fahrsicherheit oder für mehr Klimaneutralität – kosten, verrät das Unternehmen indes nicht. Offenbar kommt die Nachfrage aber in Gang. ZF habe aktuell Aufträge für elektrische Nutzfahrzeug-Antriebe von mehr als sechs Milliarden Euro in den Büchern, sagt Nutzfahrzeug-Chef Laier. Tendenz steigend.

Zum Vergleich: Im sehr viel volumenträchtigeren PKW-Geschäft haben die Friedrichshafener ein Auftragspolster von 30 Milliarden Euro – nur für E-Antriebe und Komponenten. 18 Milliarden Euro, das hat ZF-Konzernchef Holger Klein in Jeversen noch einmal betont – will ZF bis Ende 2026 weltweit investieren. Bis zu 30 Prozent davon soll nach Deutschland fließen, sofern die Wettbewerbsfähigkeit es zulasse, sagte er.

ABS für Traktoren

Bei Sicherheitstechnik sind Landmaschinen Autos und Trucks um Jahrzehnte hinterher. ZF will das ändern und stattet Traktoren nun mit Antiblockiersystemen (ABS) aus. Diese werden bisher nur von einigen Herstellern und dann auch nur in den Top-Modellen verbaut.

ZF will das System auch unteren Leistungs- und Preisklassen zugänglich machen. Begleitet wird die Entwicklung durch die Einführung von Bremsen, die nicht mehr mechanisch, sondern durch elektronisch angesteuerte Aktuatoren (By Wire) betätigt werden. Im Windschatten könnten auch automatisierte Fahrfunktionen in Traktoren Einzug halten.

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Fernwartung

Es war jahrzehntelang der Traum der Ingenieure: Immer genau zu wissen, wie es um den Betriebszustand von Bauteilen steht. ZF macht das jetzt wahr. Seine neuesten Nutzfahrzeuggetriebe stattet das Unternehmen auf Kundenwunsch mit Sensoren aus, die via mobile Daten ausgelesen werden können. 60.000 Getriebe hat ZF schon bei Kunden im Einsatz und weiß so immer genau, ob und wann sie gewartet werden müssen, um nicht auszufallen.

Notfallfahrzeuge

Beim Einsatz von Krankenwagen oder Feuerwehren kommt es auf Sekunden an. Es gibt sogar staatliche Vorschriften, wie lange etwa Krankenwägen maximal vom Notruf bis zum Einsatzort brauchen dürfen. Oft werden die Fristen gerissen. Auch dafür hat sich ZF etwas ausgedacht. Eine einfache Steuerbox in einem Rettungswagen reicht aus, ihn zu einem Sender zu machen, den andere Fahrzeuge wahrnehmen.

Im Display von voran fahrenden Autos erscheinen dann Warnmeldungen, sodass sie zügiger als bisher rechts ranfahren können, um Rettungskräfte vorbeizulassen. Auch Ampeln können so auf Grün geschaltet werden. Zeitersparnis laut ZF pro Einsatz: Mindestens eine halbe Minute.