Jetzt hat er den Salat. Egino Wehrle schreitet durch eines seiner Gewächshäuser auf der Insel Reichenau, zu seinen Füßen stehen 60.000 Jungpflanzen in schnurgeraden Reihen Spalier. Sie sollen in den kommenden Monaten etwa zu erntereifen Eichblatt- oder Kopfsalaten heranwachsen und im Frühjahr in den Frischetheken der Supermärkte landen. So läuft es jedes Jahr zu dieser Zeit – und diesmal doch ganz anders. Denn für den Gärtner ist das Geschäft in den vergangenen Monaten schwieriger geworden.

Dann beginnt der 59-Jährige zu erzählen. Und zu rechnen. Vor Kurzem habe er zwei Paletten Dünger gekauft, zum doppelten Preis wie im Jahr davor. Beim Strom müsse er mit einer 30-prozentigen Steigerung arbeiten. Seit Oktober gilt der Mindestlohn von 12 Euro.
„Das ist das, was ich für den schwächsten Arbeiter zahle – und es zieht auch die Löhne der anderen mit nach oben“, sagt Wehrle, der je nach Saison um die 15 Mitarbeiter beschäftigt. Seiner Branche werde mit dem Mindestlohn viel zugemutet, findet er. Die Personalkosten machen knapp ein Drittel seiner Kalkulation aus, der größte Posten.

Wehrle bewirtschaftet zwei Betriebe, einen konventionellen und einen ökologischen. Mit beiden gehört er der Reichenau-Gemüse Erzeugergenossenschaft an. Im Sommer stellte die vor, wie stark die Betriebskosten ihrer Mitglieder steigen würden: 2022 um 20 Prozent, 2023 um weitere 30 Prozent. Es sind Durchschnittswerte, die Krise trifft die Betriebe unterschiedlich hart. Manche könnte sie womöglich zum Aufgeben zwingen, sagte Johannes Bliestle, der Geschäftsführer der Gemüse-Genossenschaft, dem SÜDKURIER im Juni.
Aktuell zählt die Genossenschaft 50 landwirtschaftliche Betriebe, davon zehn mit Bioprodukten. Es werden seit Jahren weniger.
Gewächshaus wird mit Gas beheizt
Zurück ins Gewächshaus. Hier sitzt Wehrle mittlerweile im Bürocontainer, der in einem Seitenraum zusammen mit einem Traktor, Paletten und Kisten geparkt ist. Blaue, grüne und rote Kurven schlängeln sich über den Bildschirm eines hellgrauen Monitors. An ihnen liest der Gärtner ab, wie sich die Temperatur draußen und in seinen Gewächshäusern im Tagesverlauf entwickelt hat.

Noch sei es draußen oft warm genug, gerade an sommerlich-sonnigen Herbsttagen heize es sich unterm Glasdach gut auf. Der Salat komme aber auch mit niedrigen Temperaturen klar, erklärt Wehrle. Nur anhaltenden Frost verträgt das Grünzeug nicht, dann gefriert das Wasser in den Pflanzenzellen.
Damit das nicht geschieht, wird das Gewächshaus beheizt. „Das Heizsystem wird direkt mit Gas befeuert und kann nicht so leicht umgestellt werden“, sagt Wehrle. Einsparen könne er kaum, da er schon immer nur so viel wie nötig geheizt habe.
2023 wird ein hartes Jahr für die Gemüsegärtner
Das Gas bezieht er aktuell zu einem Festpreis, der noch bis Ende 2023 gilt. Und danach? Wehrle zuckt mit den Achseln. Gut möglich, dass Energie zum größten Posten in seiner Kalkulation werden könnte, sagt er. „Nächstes Jahr werden viele Kostensteigerungen erst so richtig zu Buche schlagen. Jeder Lieferant hat angekündigt, die Preise zu erhöhen.“

Auch Verbraucher müssen für Lebensmittel mittlerweile tiefer in die Tasche greifen. Laut dem Statistischen Bundesamt kostete Gemüse im Oktober 2022 rund 23 Prozent mehr als im Oktober 2021. Bei Gurken lag der Anstieg mit durchschnittlich 37 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat am höchsten. Sie seien auch das Gemüse, das bei der Erzeugung mit am meisten Energie verbrauche, sagt Wehrle.
Die Gärtner von der Reichenau profitierten nicht automatisch von den höheren Verbraucherpreisen, im Gegenteil. Die Erzeugerpreise seien für ihn bislang kaum gestiegen, sagt Wehrle. Die Genossenschaft handelt mit den großen Lebensmittelhändlern aus, welche Gemüsemengen sie zu welchem Preis abnehmen.
Am Ende allerdings bezahlt der Kunde im Supermarkt nicht nur für die Erzeugung, sondern auch für Vertrieb, Vermarktung, Transport und für den Einzelhandel. Und alle Bereiche ächzen unter den steigenden Kosten und der aktuellen Krise.
Später pflanzen, Gas sparen
Um im kommenden Jahr Gas einzusparen, könnte er die Hauptkulturen später pflanzen, sagt Egino Wehrle. Je später Gurke, Paprika oder Tomaten eingesetzt werden, desto weniger müssen die Gewächshäuser beheizt werden. „35 Prozent der Energie, die wir verbrauchen, verbrauchen wir im März“, sagt Wehrle.
Allerdings: Die Saison würde sich auf diese Weise nach hinten verschieben, gerade wenn mehrere Betriebe so agierten. Im April gäbe es dann wahrscheinlich keine Reichenauer Gurken an der Gemüsetheke – sondern Spanische. Zudem hätte die Genossenschaft Schwierigkeiten damit, große Gemüsemassen auf einmal zu vermarkten.
Noch bleibt dies ohnehin ein Gedankenspiel für Wehrle. „Wir Gärtner sind Improvisierer, schon immer“, sagt der 59-Jährige. Abwarten, was noch kommt. Vielleicht, so glaubt er, normalisiert sich einiges auch wieder, je länger die Krise läuft. Vielleicht gibt es einen milden Winter und er muss weniger heizen. „Wir fahren auf Sicht“, sagt Wehrle.