Der fast verzweifelt wirkende Versuch von US-Präsident Donald Trump, für die Amerikaner einen Impfstoff gegen das Corona-Virus zu beschaffen und dafür auch ein Tübinger Biotech-Labor unter Druck zu setzen, lenkt den Blick auf den Stand der Arbeiten an einem Impfstoff gegen die Erkrankung Covid-19.
In Tübingen sucht ein Labor nach einem Impfstoff. Wie ist der Sachstand?
Der Gründer der Firma Curevac, Ingmar Hoerr, ist optimistisch, in wenigen Wochen erste klinische Tests durchführen zu können, denn der Bauplan des Virus ist bekannt und damit auch seine Angriffsfläche. Das Besondere bei Curevac: Bei der Herstellung des Impfstoffs geht man neue Wege, die es ermöglichen, den Impfstoff durch Biotechnologie viel schneller herzustellen als mit der klassischen Produktionsmethode.
Wie produziert man einen Impfstoff auf herkömmlichem Weg?
Beispiel Impfstoff gegen Grippeviren: Der wird jedes Jahr neu in Hühnereiern hergestellt. Die Eier werden mit dem Virus infiziert und ausgebrütet. In dieser Zeit vermehrt sich das Virus. Dann werden die Eier geöffnet, die Viren entnommen, in Bruchstücke zerlegt und gereinigt. Diese Art der Züchtung von Proteinen (Eiweißen) des Virus, aus denen der Impfstoff entwickelt wird, ist aufwendig und dauert mehrere Monate.
Welchen Weg geht man bei Curevac in Tübingen?
Der Weg wird durch ein biotechnologisches Verfahren abgekürzt. Es wird nur die Bauanleitung des Viren-Proteins in den Körper gespritzt. Dadurch erhalten die körpereigenen Zellen eine Anweisung, welche Waffe zur Virenabwehr sie bauen müssen. Das kann zum Beispiel ein Antikörper gegen das Coronavirus sein. Die Anweisung ist in einer RNA (Ribonukleinsäure) festgeschrieben, weshalb man von einer „Boten-RNA“ spricht. Bei Curevac wird diese in einer Art Drucker vervielfältigt. Das hat den großen Vorteil, dass man Impfdosen schnell millionenfach herstellen kann – was bei der Züchtung im Ei nicht geht.

Finden mit dem Curevac-Impfstoff schon Versuche statt?
Derzeit noch nicht, aber die Firma steht in engem Kontakt mit dem Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt/Main, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist. Eine klinische Studie an Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern ist in Vorbereitung.
Wie sieht das Verfahren für die Zulassung eines Impfstoffs generell aus?
Wann könnte mit Tests begonnen werden?
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, rechnet mit ersten Tests in Deutschland vom Herbst an. Bei Curevac hofft man, schon im Sommer mit klinischen Studien beginnen zu können.

Wo wird noch an einem Impfstoff geforscht?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO listet 35 Studien auf, die sich um einen Corona-Impfstoff bemühen. Zunächst wird in China intensiv geforscht, und es wurde bereits im Fernsehen ein Durchbruch verkündet. Aber ob es sich um einen Erfolg handelt oder um eine Propaganda-Lüge, ist unklar. In den USA wurden jetzt erste klinische Tests gestartet. Die US-Firma Moderna in Seattle suchte nach Freiwilligen für Testreihen und bietet 1100 Dollar pro Injektion. Lange dauerte die Suche nicht: Die 43-jährige Jennifer Haller erhielt nun die erste Dosis in einem Forschungsinstitut in Seattle. Bei Moderna hofft man, schon 2021 einen Impfstoff anbieten zu können. Auch das US-Biotech-Unternehmen Inovio liegt gut im Rennen und hofft auf einen Impfstoff in 2021. Die Aktie schnellte jüngst in die Höhe, vor allem im Zusammenhang mit der Ankündigung der US-Regierung, mehr als acht Milliarden Dollar in die Coronavirus-Forschung zu pumpen.
Kann man nicht genauer sagen, wann es den Impfstoff gibt?
Die Ankündigung 2021 ist in der Tat dehnbar. Etwas präziser drücken sich zwei Forscher aus: Die Chefwissenschaftlerin der WHO, Soumya Swaminathan, meint, dass ein zugelassener Impfstoff in 18 Monaten einsatzbereit sei. Auch Anthony Fauci, in den USA Chef des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, sagt, es werde „mindestens ein oder anderthalb Jahre dauern“, bis es den Impfstoff gibt. Das Gleiche sagt der Deutsche Alexander Kekulé, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle. Zurückhaltender äußert sich Hendrik Steeck, Direktor des Instituts für Virologe an der Universität Bonn: „Bis fest steht, ob ein Impfstoff sicher ist und tatsächlich schützt, vergehen Monate bis vielleicht Jahre.“

Wird der Impfstoff zunächst an Tieren getestet?
Diese Tests sollen laufen, aber parallel dazu sollen bereits Versuche an Menschen stattfinden, um keine Zeit zu verlieren. Das wurde bei einem WHO-Kongress zu vereinbart. „Wir wollen so schnell wie möglich eine Impfung haben“, sagte Marie-Paule Kieny, die das Treffen auf seiten der WHO geleitet hat. Zusammenfassend kann man sagen: Alle WHO-Impfstoff-Kandidaten befinden sich zurzeit in der präklinischen Entwicklungsphase. Einzelne Entwickler, wie Moderne und Curevac haben bereits den Beginn von Phase-1-Studien für April/Mai angekündigt.

Kann ein Grippe-Impfstoff gegen Covid-19 helfen?
Nicht direkt aber indirekt. Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, rät dazu, sich auch jetzt noch gegen eine Grippe impfen zu lassen. Da habe den Vorteil, dass man, sollten Grippe und Corona im Herbst erneut parallel auftreten, „in einer guten Startsituation“ sei. Auf einen Corona-Impfstoffe zu spekulieren, helfe dagegen nichts.
Gibt es Medikamente bei lebensgefährlichen Fällen von Covid-19?
Offiziell noch nicht, aber es gibt Hoffnungsträger. Ganz vorn steht dabei das Medikament Remdesivir des US-Pharma-Unternehmens Gilead. Drei Kliniken in Deutschland nehmen jetzt an Studien für den Einsatz teil. Die Düsseldorfer Uni-Klinik (UKD) setzt bereits „in ausgewählten Einzelfällen“, wie es heißt, antivirale Medikamente ein, die für die Behandlung von Coronavirus-Patienten noch nicht zugelassen sind, darunter auch Remdesivir. Das Mittel hemmt die Vervielfältigung des Erbguts sogenannter RNA-Viren, zu dem das Coronavirus und auch das Ebola-Virus gehören. In den USA heilte Remdesivir einen Patienten innerhalb kürzester Zeit. An der Hamburger Universtitätsklinik soll das Medikament schon in wenigen Tagen eingesetzt werden. Laut einer Studie wirkt Remdesivir am besten, wenn es zur Prophylaxe oder zu Beginn einer Infektion eingesetzt wird. Das Allheilmittel gegen Covid-19 wird es vermutlich nicht werden.
Gibt es nur ein Medikament als Hoffnungsträger?
Nein. Auch deutsche Forscher verbreiten Zuversicht. Wissenschaftler des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen und der Berliner Charité setzten auf den Wirkstoff Camostat Mesilate. Es ist in Japan zur Behandlung der Entzündung der Bauchspeicheldrüse zugelassen und kann verhindern, dass das Coronavirus in Zellen eindringen kann. Weiterhin getestet werden Thalidomid (das im Schlafmittel Contergan enthalten war), Stammzellen und Vorschläge aus der traditionellen chinesischen Medizin. US-Forscher haben 77 Wirkstoffe, die das Coronavirus (das den wissenschaftlichen Namen SARS-CoV-2 trägt), hemmen, mit Hilfe von Supercomputern identifiziert. Allerdings nur in Simulationen. Ob sie in der Praxis halten, was sie versprechen, muss sich herausstellen.