Jörg Zittlau

Herr Fritsche, Metformin ist derzeit – im wahrsten Sinne – in aller Munde. Ist es der neue Star am Himmel der Diabetes-Medikamente?

Ja, das Mittel ist derzeit so im Trend, dass man seine Rückstände sogar schon in Flüssen findet. Aber neu ist es nicht, ein ähnliches Präparat wird bereits seit den 1950ern bei Diabetes Typ 2 eingesetzt. Früher wurde es übrigens aus der Geißraute gewonnen, einer wunderschön blühenden Pflanze aus dem Mittelmeerraum, die aber extrem bitter schmeckt.

Es heißt ja immer: Gute Medizin muss bitter schmecken. Hat denn Metformin den aktuell herrschenden Hype verdient?

Hat es aus meiner Sicht nicht. Es ist zwar ein gutes Medikament, dass etwa im Unterschied zu Insulin kein Risiko der Unterzuckerung mit sich bringt. Aber dass es so häufig verwendet wird, wie es gerade passiert, liegt eher daran, dass es sehr preiswert ist. Und dann gibt es da dann noch eine etwas angestaubte Studie aus England, in der einzelne Diabetesmedikamente miteinander verglichen wurden. Darin verhinderte Metformin ein paar Herzinfarkte mehr als Vergleichsmedikamente wie etwa das Insulin. Das Ergebnis wurde jedoch nur für eine kleine Untergruppe von übergewichtigen Diabetespatienten gefunden, und die Studie ist – wie gesagt – schon alt, wurde 1998 auf dem Europäischen Diabeteskongress in Barcelona vorgestellt. Aus heutiger Sicht, mit den mittlerweile üblichen Kriterien der medizinischen Forschung, würde man ihre Ergebnisse nicht mehr so hoch bewerten. Aber sie wirkt sich immer noch auf das Verordnungsverhalten der Ärzte aus.

Andreas Fritsche, Diabetologe
Andreas Fritsche, Diabetologe | Bild: Hannes Schramm, Tuebingen, Germany

Worin besteht denn die Wirkung von Metformin?

Bis heute kursieren unterschiedliche Theorien dazu. Eine davon: Metformin hemmt die Glukose-Neubildung aus der Leber, so dass von dort weniger Nachschub für den Blutzuckerspiegel kommt. Eine andere postuliert, dass es die Darmflora beeinflusst, so dass im Darm mehr kurzkettige Fettsäuren gebildet werden, was am Ende den Blutzucker senkt. Und Molekularbiologen haben herausgefunden, dass Metformin die Signalwege zu den Mitochondrien, also zu den Kraftwerken der Zelle verbessert.

Letzteres kennt man vom Sport, oder?

In der Tat. Und es gibt auch Experten, die Metformin als Sport im Pillenformat bezeichnen. Was aber nicht heißen soll, dass man einfach das Arzneimittel nehmen kann, anstatt sich körperlich zu bewegen. In einer aktuellen Cochrane-Studie hat sich gezeigt, dass Metformin nicht an die Wirkung von Lifestyle-Änderungen wie Sport und einer Umstellung der Ernährung herankommt. Und es zeigte sich auch, dass es keinen zusätzlichen Effekt bringt, wenn man die Lebensstilveränderung mit Metformin kombiniert. Wer hofft, dadurch einen doppelten Effekt für die Diabetestherapie zu erzielen, wird enttäuscht werden. Möglicherweise liegt es ja daran, dass Metformin und Sport zu ähnlich sind und jeweils so viel aus den mitochondrialen Signalwegen herausholen, dass man keinen zusätzlichen Effekt mehr erzielen kann, wenn man sie miteinander kombiniert.

Bekannt ist die Behandlung von Diabetes mithilfe von Insulin.
Bekannt ist die Behandlung von Diabetes mithilfe von Insulin. | Bild: KEREM YUCEL

Für wen wäre Metformin geeignet?

Für frisch diagnostizierte Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die bekommen dann Metformin als erstes Medikament. Vorausgesetzt, dass der Blutzucker- bzw. HBA1c-Wert nicht schon zu stärk erhöht ist. In diesem Falle reicht dann Metformin nicht mehr.

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Also ein stabil eingestellter Diabetes-Patient sollte nicht auf die Idee kommen, sein Insulin durch Metformin ersetzen zu wollen?

Genau. Es gilt ja auch zu bedenken, dass Metformin durchaus seine Nebenwirkungen hat und nicht für jeden verträglich ist. So bekommt etwa jeder zehnte Patient mehr oder weniger massive Magen-Darm-Probleme wie etwa Blähungen, Durchfall, Übelkeit und Bauchkrämpfe. Das ist nicht nur unangenehm, sondern auch ein Hinweis darauf, dass das Mittel kaum aufgenommen wird und dementsprechend auch nicht wirken kann.

Und wie sieht es mit Problemen mit den Nieren aus?

Das gehört eher in die Kategorie „Mythos“. Unter den Patienten geistert zwar die Befürchtung herum, dass Metformin ihre Nieren schädigen würde. Doch richtig ist nur, dass es über die Nieren ausgeschieden wird. Sofern also dieses Organ stark geschädigt und beeinträchtigt ist, sammelt sich das Metformin an, und dann kann es im Blut zu einer gefährlichen Übersäuerung kommen. Für Patienten mit funktionsschwachen Nieren – was bei Diabetes nicht selten vorkommt – verbietet sich also die Einnahme. Aber das Medikament selbst schädigt die Nieren nicht.

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Neben Metformin gehen derzeit auch viele Kombinationen über den Apothekentresen, in denen es mit einem Wirkstoff namens Sitagliptin kombiniert wird. Eine sinnvolle Kombination?

Nicht unbedingt. Sitagliptin hat zwar weniger Nebenwirkungen, wirkt aber auch schwächer auf den Blutzuckerspiegel. Außerdem gibt es bereits genügend andere – deutlich effektivere – Alternativen bei den Diabetes-Medikamenten.

Als da wären?

Da wären vor allem die GLP-Analoga zu nennen. Die muss man bisher noch spritzen, doch bald gibt es sie auch zum Einnehmen. Das andere sind die SGLT2-Inhibitoren. Diese beiden Mittel schützen ebenfalls vor Herzinfarkten und anderen kardiologischen Komplikationen, und die Studienlage ist für sie in dieser Hinsicht eindeutiger als für Metformin. Darüber hinaus erhalten sie die Nierenfunktionen, was für Diabetiker ein wertvoller Zusatzeffekt ist.

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Es ist also absehbar, dass der Metformin-Trend bald wieder vorbei sein wird?

Schwer zu sagen. Denn einerseits gibt es immer mehr Diabetespatienten, andererseits aber auch immer mehr Medikamente für sie. Und ob und wann ein Arzneimittel-Trend abebbt, hängt bekanntlich nicht nur von der Effektivität des betreffenden Mittels ab.