Herr Schubring, wie vielen Menschen haben Sie heute schon die Hand geschüttelt?

Tatsächlich niemandem. Ich habe einige Türklinken berührt, aber keine menschliche Hand.

Achten Sie darauf? Oder spielt die Angst vor dem Coronavirus dabei eine Rolle?

Prinzipiell habe ich meinen Kontakt zu anderen Menschen nicht verändert. Momentan achte ich aber noch mehr darauf, meine Hände regelmäßig zu waschen, bevor ich mir ins Gesicht fasse oder Essen anfasse.

David Schubring, Emotionsforscher an der Universität Konstanz.
David Schubring, Emotionsforscher an der Universität Konstanz. | Bild: Foto am Muenster Konstanz

Zurzeit können wir in den Supermärkten zahlreiche Hamsterkäufe beobachten. Wie erklären Sie sich dieses Verhalten?

Es kommen mehrere Sachen zusammen. Zum einen ist die Berichterstattung zum Coronavirus sehr präsent. Sie spricht etwas an, bei dem die Menschen Angst entwickeln können. Zum anderen kann das aber auch ein selbstverstärkender Prozess sein: Wenn man sieht, dass die Regale leer werden, denkt man daran, selbst noch mehr zu kaufen.

Wie erklärt die Wissenschaft das Phänomen des Hamsterkaufs?

Es gibt zum Beispiel die Risikoabschätzung. Eine objektive Risikoabschätzung funktioniert meistens so, dass man sich überlegt, wie wahrscheinlich und schlimm ein Ereignis ist. Das multipliziere ich und weiß dann, ob das Risiko hoch oder niedrig ist. Wenn also ein schlimmes Ereignis selten auftritt, ist das Risiko nicht so hoch. Genauso, wenn ein weniger schlimmes Ereignis häufig auftritt. Erst, wenn ein schlimmes Ereignis häufig ist, wird es gefährlich. Aber so funktioniert die Risikoabschätzung von Menschen nicht. Menschen reagieren auf emotionale Reize mit ihrem Verhalten und ihrer Risikoabschätzung. Deswegen gibt es zum Beispiel generell weniger Angst vor Autounfällen als vor Flugzeugabstürzen, obwohl das Flugzeug pro zurückgelegtem Kilometer viel sicherer ist als das Auto. Das liegt auch daran, dass ein Flugzeugabsturz als Ereignis viel mehr Aufmerksamkeit und damit Emotionen auslöst als ein Autounfall. Ähnlich ist es bei dem Coronavirus, das gerade mehr in den Medien verbreitet ist als die gewöhnliche Grippe – obwohl an der Grippe in Deutschland bisher deutlich mehr Personen erkrankt und gestorben sind.

Sie sind also wenig überrascht, wenn beim Einkaufen derzeit die Regale leergeräumt sind?

Richtig. In Unsicherheitslagen sind solche Verhaltensweisen allgemein verbreitet. Wenn ich nicht weiß, ob es schlimm ist, verhalte ich mich lieber so, als ob es schlimm ist.

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Macht so ein Handeln Sinn oder ist das eher unnötige Panikmache?

Es wurde in der Vergangenheit häufig gesagt, dass Massenhysterien übertrieben sind. Neuere Untersuchungen haben aber teilweise gezeigt, dass es Sinn macht. Damals gab es den Bank-Ansturm in Griechenland. Wenn niemand etwas von der Bank abhebt, hat die auch kein Problem. Aber wenn alle gleichzeitig etwas abheben, dann schon. So ähnlich ist es bei den Hamsterkäufen. Wenn niemand Hamsterkäufe tätigt, muss es keiner tun. Tätigen aber alle anderen Hamsterkäufe, ist es eine nachvollziehbare Entscheidung, selbst so zu handeln, bevor alles leer gekauft ist. Der Gruppenprozess ist schädlich, aber der Einzelprozess ist verständlich.

Taschentücher, Klopapier, Lebensmittel: Zahlreiche Menschen decken sich mit Hamsterkäufen ein.
Taschentücher, Klopapier, Lebensmittel: Zahlreiche Menschen decken sich mit Hamsterkäufen ein. | Bild: Fricker, Ulrich

Das Verhalten verändert sich also von einem Einzelphänomen hin zu einer Gruppendynamik?

Eine kritische Masse muss genügend beunruhigt sein. Diese Menschen verändern ihr Verhalten nun so, dass es die anderen auch mitkriegen. Und wenn diejenigen das mitkriegen, die zuvor nicht beunruhigt waren, dann werden sie eventuell allein dadurch beunruhigt, dass die Menschen in ihrem Umfeld Panik haben. Also sollte ich selbst vielleicht auch Panik haben, so die Denkweise.

Was raten Sie der Bevölkerung in Sachen Verhalten gegenüber anderer Menschen – gerade gegenüber denjenigen, die zuletzt in Asien oder Italien unterwegs waren?

Die wahrscheinlich sinnvollste Verhaltensänderung, die man machen kann, ist eine generell sinnvolle – unabhängig von Corona: simples Händewaschen. Je nach Lage der Ausbreitung ergibt es vielleicht einen Sinn, größere Menschenansammlungen zu vermeiden. In Deutschland müssen wir uns aber momentan keine Sorgen machen, dass ein riesiger Ausbruch bevorsteht. Man muss aber auch sagen, dass Menschen ohnehin unterschiedlich gefährdet sind. Manche haben ein niedrigeres Risiko zu erkranken, andere ein höheres. Ein kleines Maß an Besorgnis sollte jeder haben, aber auch nicht völlig in Panik verfallen.

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Inwieweit lassen Sie sich selbst von den Auswirkungen des Coronavirus beeinflussen?

Momentan haben meine Kollegen und ich im Berufsalltag weniger die Sorge, daran zu erkranken. Vielmehr, dass Reisebeschränkungen unsere Forschungstätigkeiten einschränken und wir beispielsweise nicht mehr auf Kongresse fahren können. Im persönlichen Bereich habe ich gemerkt, dass es beim Einkaufen keinen Reis und kein Mehl mehr gibt. Die Leute sind etwas vorsichtiger, waschen sich häufiger die Hände und Corona ist Smalltalk-Thema. Abgesehen davon nehme ich privat keine Ängste wahr.

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