Adrian Lobe

Während des Lockdowns, einer Zeit, in der der Einzelhandel geschlossen hat, erledigen viele Kunden ihre Einkäufe im Netz. Schnell bei Amazon oder Ebay nach einem Pullover oder Trainingsanzug suchen, schon bekommt man das Paket ein paar Tage später an der Haustür übergeben.

Online-Shopping ist gerade jetzt während des harten Corona-Lockdowns bequem und einfach. Oft ist die Ware billiger als der stationäre Handel. Doch hinter den Markenprodukten verbergen sich häufig Fakes. Da entpuppt sich das Ladekabel als Fernglas, das teure Luxusarmband als billige Kopie. Auf Online-Marktplätzen wimmelt es nur so vor gefälschten Waren. Elektrogeräte, Kleidung, Kosmetikartikel – kaum ein Produkt, was noch nicht gefakt worden wäre. Die angesehene US-Tageszeitung „Washington Post“ spricht bereits von einem „Flohmarkt der Fakes“.

Dubiose Drittanbieter

Das Vorgehen der Betrüger ist äußerst perfide: Mal werden Fotos aufgehübscht, mal ganze Händler-Accounts wie von Amazon gekapert. Das Problem: Die meisten Produkte werden nicht von Amazon direkt vertrieben, sondern von sogenannten „third-party sellers“, Drittanbietern. Das können seriöse Unternehmen wie etwa Buchhandlungen sein, aber auch dubiose Produktschleudern, die irgendwelche Waren aus Hinterhofgaragen auf dem Online-Marktplatz verhökern.

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Dass es unter den mehr als zwei Millionen Händlern, die auf Amazon Waren vertreiben, schwarze Schafe gibt, liegt auf der Hand. Produktfälschungen sind nicht nur ein Internet-Phänomen. Dass man auf einem Basar in der Türkei oder Ägypten kein Original-Fußballtrikot erwirbt, sondern meist ein Duplikat, ist erwartbar – mag der Verkäufer noch so sehr die Echtheit betonen. Im Internet ist das anders: Dort sieht man in aller Regel nicht den Verkäufer, mit dem man einen Kaufvertrag abschließt. Das Geschäft ist äußerst intransparent.

Erbitterter Wettbewerb

Um zu verstehen, wie das Geschäft der Online-Betrüger funktioniert, muss man sich die Mechanismen des Online-Handels vor Augen führen. Amazon funktioniert im Grunde wie ein gigantischer Basar. Damit der Kunde unter den Tausenden Marktschreiern nicht die Orientierung verliert, navigiert ihn ein algorithmischer Lotse durch den Angebotsdschungel und das Gewirr der Gassen. Zum Beispiel mit Markierungen wie dem Hinweisschild „In den Einkaufswagen“, der den Weg in den virtuellen Kassenbereich weist.

Wirklich 5 Sterne? Vorsicht! Diese Bewertung kann gekauft sein.
Wirklich 5 Sterne? Vorsicht! Diese Bewertung kann gekauft sein. | Bild: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Um diesen Button – auch „Buy Box“ genannt – tobt ein erbitterter Wettbewerb. Zahlreiche Händler drängeln sich vor der Kundschaft, um ihr Produkt prominent im Schaufenster zu platzieren. Fast 90 Prozent der Umsätze auf Amazon, schätzen Branchenkenner, erfolgen über dieses Einkaufswagenfeld. Wer die Buy Box gewinnt, hat quasi die Hand auf dem Geldbeutel der Kunden.

Wie sich Verbraucher schützen können

Doch über diese Pole Position entscheidet ein Algorithmus. Nach welchen Kriterien er operiert, ist ein wohl gehütetes Geschäftsgeheimnis. Bekannt sind nur zwei Faktoren: die Seller Performance (schneller Versand, Verfügbarkeit von Waren) und der Preis. Und das spielt den Händlern von Fake-Produkten in die Hände: Sie fluten den Markt mit Dumping-Preisen und bugsieren ihre Schrottware so ins Zentrum der Verkaufsflächen. Das Problem liegt also im System.

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Bewertungen oft selbst Fake

Laut einer Analyse von ReviewMeta hat die Zahl der Produktrezensionen, in denen Worte wie „fake“ oder „counterfeit“ (englisch für Fälschung) auftauchen, in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Das Problem: Die Bewertungen sind häufig selbst Fake. Amazon-Händler kaufen systematisch gefälschte Produktbewertungen ein, um ihre Performance und Chancen auf gute Verkaufsplätze zu pushen.

Und das geht so: Die Verkäufer suchen in sozialen Netzwerken wie Facebook oder WeChat Testkäufer, die bereit sind, gegen Bezahlung eine positive Produktbewertung zu schreiben. Hat der Käufer das Produkt erhalten, schickt er einen Beleg mitsamt einem Foto der veröffentlichten Rezension. Im Gegenzug erstattet der Verkäufer den Betrag. Mit fingierten Bewertungen wollen manche Testkäufer bereits ganze Wohnungen eingerichtet haben.

Pakete liegen in einem Logistikzentrum des Versandhändlers Amazon in einem Lkw. Auch Amazon kämpft gegen eine Flut von Fake-Produkten ...
Pakete liegen in einem Logistikzentrum des Versandhändlers Amazon in einem Lkw. Auch Amazon kämpft gegen eine Flut von Fake-Produkten und gekauften Bewertungen im Internet an. | Bild: Rolf Vennenbernd, dpa

Amazon ist sich des Problems bewusst. So hat der Online-Riese tausende Urheber von Fake-Rezensionen verklagt und auch Händler gesperrt, die Fälschungen verkaufen. Doch selbst der beste Algorithmus kann einen Markt mit über zwei Millionen Verkäufern nicht regulieren. Häufig vergehen Monate, bis ein Drittanbieter von der Plattform entfernt ist. Für die Fake-Verkäufer hat eine Sperre meist keine Konsequenzen – sie können sich einfach unter neuem Namen wieder anmelden.

Nike kündigt Zusammenarbeit

Für bekannte Marken ist die Produktpiraterie ein Problem, weil dies ihren Ruf bedroht. So hat Birkenstock im Streit um gefälschte Sandalen die Lieferung an Amazon eingestellt (wenngleich die Produkte über lizenzierte Schuhverkäufer weiter auf Amazon vertrieben werden). Auch der Sportartikel-Riese Nike hat seine Partnerschaft gekündigt. Daimler hat Amazon wegen des Verkaufs gefälschter Radkappen verklagt. Zwar hat Amazon unlängst eine eigene Abteilung gegründet, die gegen Fälscher auf der Plattform vorgehen soll. Doch die Gewissheit, dass man auch ein echtes Produkt in Händen hat, hat man im Online-Handel nicht.