Neue Elektromotoren und digitale Technik werden den Flugverkehr verändern. Eine der Visionen, die die Entwickler umtreibt, ist das Flugtaxi – eine Art bemannte Drohne für wenige Passagiere, die schnell von A nach B wollen. Dass diese Geräte fliegen können, haben sie schon bewiesen. So hat das Flugtaxi des Augsburger Start-ups Autoflight im März einen neuen Langstreckenrekord aufgestellt. 250 Kilometer wurden nonstop zurückgelegt.

Verständlich, dass auch am Bodensee – wo der Straßenverkehr oft stockt und nur die Katamaran-Verbindung zwischen Konstanz und Friedrichshafen die einzige Schnellverbindung über den See darstellt – Flugtaxi-Hoffnungen kursieren. So etwa am Bodensee-Airport Friedrichshafen. Wie Pressesprecher Bernd Behrend dem SÜDKURIER kürzlich sagte, habe die Geschäftsführung des Flughafens zum Thema Flugtaxi Gespräche mit Start-ups und Forschungsgruppen geführt. „Der Flughafen Friedrichshafen kann damit das Einzugsgebiet in Richtung Ostschweiz, Österreich oder des südlichen Bodenseeufers erweitern“, so Behrend.

Der bekannte Freiburger Luftfahrt-Journalist Jürgen Schelling, selbst seit Jahren Pilot, hat sich die Mühe gemacht, vor dem SÜDKURIER die Chancen eines regionalen Flugtaxis auszuloten. Sein Fazit bleibt skeptisch. Was Schelling zu den Chancen der Maxi-Drohnen zu sagen hat:

Scheinbar kurz vor der Serienproduktion stehende elektrische Senkrechtstarter haben eine ungewöhnliche Gemeinsamkeit mit Hollywood-Schauspielern. Egal ob es der Volocopter aus Bruchsal, ein Jet von Lilium in München oder das Fluggerät von Joby Aviation in Kalifornien ist – manche halten diese Flugtaxis für eine Revolution in der Luftfahrt. Aber viele dieser Projekte enden trotz brillanter Animationen auf den Websites der Start-ups wie unzählige Träume junger Hollywood-Mimen: Sie verglühen kurz vor dem angeblichen Durchbruch.

So schön die Vision ist, in Meersburg statt einer Fähre ein Flugtaxi zu nehmen, um nach Konstanz zu fliegen, so unrealistisch ist sie auch, zumindest in den nächsten Jahren. Denn das Hauptproblem dieser sogenannten „electric Vertical Take-Off and Landing aircraft“, kurz eVTOL: Alle Projekte für einen künftigen Luftverkehr vorwiegend im urbanen Raum sind bisher nicht in der Realität angekommen.

Konkret: Entweder fliegen die eVTOL, wenn überhaupt, nur ferngesteuert und himmelweit entfernt von den versprochenen Flugleistungen, wie etwa bei Lilium. Oder sie fliegen zwar mit Pilot und einem Passagier wie der Volocopter, das aber nur wenige Minuten lang und quasi rund ums Haus. Oder sie stürzen in der Flugerprobung als Totalverlust ab, wie im März der Prototyp von Joby Aviation. Glücklicherweise war er ferngesteuert.

Akkus fingen am Boden Feuer

Manchmal brennt ein Prototyp in der Halle ab, wie etwa bei Lilium im
Februar 2020. Dass feuergefährdete Akkutechnik zum Problem werden kann, zeigt ein weiterer Vorfall: Vor zwei Jahren fingen Akkus eines Prototyps des Mini-Airliners Alice des Herstellers Eviation bei Bodentests in Arizona Feuer. Der wohl einzige echte Profi in diesem Kreis von Anbietern, Airbus Helicopters, hat kürzlich den ersten Prototyp seines Viersitzers CityAirbus still und leise eingemottet und will nun mit einer komplett veränderten Konstruktion unter dem Namen CityAirbus NextGen neu anfangen.

Die Ziele der eVTOL-Hersteller sind hoch gesteckt: Fast alle wollen mehr als 100 Kilometer weit und mit mindestens 150 km/h Passagiere an ein Ziel möglichst in einem Stadtzentrum bringen. Gestartet und gelandet wird dort von einem Berufspiloten senkrecht wie ein Helikopter. Das Ganze werde leise, sicher und nicht nur lokal CO2-emissionsfrei sein, so die Versprechungen. Dazu soll der Flugbetrieb zu angeblich wettbewerbsfähigen Kosten stattfinden. Als Konkurrenz werden daher meist nicht etwa Helikopter angesehen, sondern Taxis auf der Straße.

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Aviatik-Profis schaudert es: Bei Volocopter etwa würde ein Berufspilot benötigt, um einen einzigen Passagier im Flieger „VoloCity“ zu befördern. Der Hersteller Wisk in Kalifornien will den Piloten komplett einsparen. Sein viersitziges eVTOL soll ferngesteuert gelenkt werden. Der erstaunliche Grund: Angeblich um Pilotenfehler auszuschließen.

Derartige Start-up-Unternehmen scheinen auf das Prinzip Hoffnung zu setzen: Hoffnung, dass die Akkus rasch leistungsfähiger werden, Hoffnung, dass die Zulassungsbehörden ihnen entgegenkommen und Hoffnung, dass der Ladestrom wieder billiger und es tatsächlich einen Markt für ihre Produkte geben wird.

Zwar hat United Airlines aus den USA vor kurzem eröffnet, 100 Flugtaxis vom Typ Midnight des Unternehmens Archer Aviation in Kalifornien bestellt zu haben. Dieses wird von einem Berufspiloten geflogen und soll vier Passagiere befördern können. Schon 2025 könnte das laut Archer möglich sein. In der Aviatik werden Bestellungen aber erst wirksam, wenn eine Zulassung des Fluggeräts vorhanden ist und die erflogenen Leistungen denen entsprechen, die vereinbart wurden. Es gibt bei Archer Aviation zwar einen mutmaßlichen Zeitplan für die benötigte Zulassung durch die US-Luftfahrtbehörde FAA. Ob dieser aber auch nur annähernd zutrifft, steht in den Sternen. Was Midnight eines Tages kosten soll, bleibt wie bei den Mitbewerbern unerwähnt.

Unmengen von Daten sind nötig

Denn was viele Entwickler verschweigen: Um eine Zulassung ihres Fluggeräts für einen kommerziellen Passagierflugbetrieb durch die FAA oder die europäische Agentur für Flugsicherheit EASA zu erlangen, müssen vorher Unmengen von Daten erhoben werden. Etliche davon aber nicht durch Computersimulationen, sondern durch echte Flugerprobung in der Realität – also etwa bei Wind, Regen, unterschiedlichsten Temperaturen und Einsatzbedingungen.

Zudem muss vor einer Zulassung eines eVTOL nachgewiesen werden, dass jede Komponente sicher ist. Das bedeutet, dass die Akkus bei höchster Belastung brandgeschützt funktionieren müssen. Auch, dass alle Elektromotoren zuverlässig arbeiten. Selbst unter extremen Temperatur- oder Witterungsbedingungen dürfen keine Probleme im Flugbetrieb auftreten. Daneben muss die wegen der vielen Rotoren computerunterstützte Steuerung ausfallsicher funktionieren.

Das allein ist ein Mammutprogramm. Dazu kommt aber ein ehrgeiziger Zeitplan, den sich viele Hersteller gesetzt haben. Fast alle wollen bereits in drei Jahren eine Zertifizierung und im Anschluss eine Serienproduktion erreichen. Das ist eine in der Aviatik unwahrscheinlich kurze Zeitspanne für ein Zulassungsverfahren eines ganz neuen Luftfahrzeug-Typs. Dass die Testverfahren eine dreistellige Millionensumme kosten können, wird meist verschwiegen. Einigen dürfte da vorher das Geld ausgehen.

Ein wirklich CO2-neutraler Flugbetrieb wäre zudem nur realisierbar, wenn der Ladestrom aus erneuerbaren Energien kommt. Über die mögliche Akzeptanz künftiger eVTOL beim Betrieb in Innenstädten wird wohl deren Lärmemission entscheiden. Zwar wird ständig wiederholt, dass die Flugtaxis viel leiser seien als Helikopter. Wer aber einmal einen Volocopter aus der Nähe erlebt hat, will vermutlich eher nicht, dass dieser mitten in seiner Stadt am Bodensee abhebt oder aufsetzt.

Denn anders als beim E-Auto, das sehr leise ist, existiert der Geräuschvorteil für eVTOL nicht im gleichen Maß. Denn deren hochdrehende Rotoren erzeugen einen Großteil des Fluggeräuschs, egal wie unhörbar der Elektromotor ist. Dass keines der Start-ups echte Lärmwerte bei Start und Landung für seine angeblich flüsterleisen Fluggeräte veröffentlicht, macht misstrauisch.

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Was alle Entwickler ebenfalls außer Acht lassen: Berufspiloten, sowohl für Flugzeuge als auch Hubschrauber, sind mittlerweile wieder gefragt, egal ob bei Airlines, Regionalfluggesellschaften oder Helikopter-Unternehmen. Ein künftiger Pilotenmangel gilt vielen Experten als sicher. Berufspiloten werden also ab 2025 vermutlich noch mehr als bisher wählen können, wo sie arbeiten wollen. Aber weil viele eVTOL-Betreiber bei den Betriebskosten mit Straßentaxis konkurrieren wollen, wäre ein Pilot dort wohl nur in der Gehaltsstufe eines Taxichauffeurs anzusiedeln.

Es gibt also gewaltige Herausforderungen, bevor möglicherweise die Revolution der urbanen Luftfahrt durch Flugtaxis stattfindet. Vielleicht fällt diese Revolution sogar ganz aus und am Bodensee wird noch lange Auto, Zug oder Fähre genutzt, um auf die andere Seeseite zu kommen.