Von Bad Säckingen bis Konstanz, von Stühlingen bis Pfullendorf – in sehr vielen Orten sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ) entweder in Planung oder schon seit einigen Jahren etabliert. Sie sind vor allem für junge Ärztinnen und Ärzte interessant: Sie bieten unter anderem ein Angestelltenverhältnis mit flexiblen Arbeitszeiten und weniger Bürokratie und haben sich als wichtiges Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung erwiesen.

Denn die Zahl der Einzelpraxen in Deutschland ist rückläufig, insbesondere bei Hausärzten. Unter anderem, weil Allgemeinmediziner, die in den Ruhestand gehen, keine Nachfolger mehr finden. Immer mehr junge Mediziner wollen gar keine eigene Praxis, weil sie zu teuer und zu zeitaufwendig ist. Sie arbeiten lieber als Angestellte gemeinsam mit Kollegen in größeren Praxisstrukturen. Ist das MVZ da also die perfekte Lösung? Oder sind manche Erwartungen zu hoch?

MVZ ist eine Möglichkeit

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg hat „eine verstärkte Nachfrage seitens der Mediziner nach einer Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis“, bestätigt Kai Sonntag. „Wenn wir die ambulante Versorgung auch künftig aufrechterhalten möchten, brauchen wir mehr Möglichkeiten für eine Angestelltentätigkeit“, weiß der Leiter der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes. Eine solche Möglichkeit bieten die MVZ.

„Eine Praxisform, bei der nicht mehr ein Arzt persönlich der Praxisinhaber ist, sondern eine Gesellschaft“, erläutert Sonntag. „Das kann auch eine Genossenschaft oder eine Kommune sein. Gründungsberechtigt sind vor allem Ärzte und Krankenhäuser.“ Das wirtschaftliche Risiko für den Einzelnen entfällt, man teilt sich Räume, Technik und Ressourcen, es gibt bedeutend weniger administrative Aufgaben für den Einzelnen, da es idealerweise ein Verwaltungsteam um einen Praxismanager gibt. In Baden-Württemberg gibt es aktuell 360 MVZ, in denen etwa 2150 Ärztinnen und Ärzte beschäftigt sind.

Keine Lösung für Ärztemangel

Die Lösung für das Problem des Ärztemangels sind die MVZ aber nicht, betont Thomas Beringer. Die Zahl an Ärzten in einem Planungsbereich ist in einem Modell aus den 1990er Jahren vorgeschrieben, so der kommissarische kaufmännische Leiter des Konstanzer MVZ.

Thomas Beringer
Thomas Beringer | Bild: Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz

So gibt es in elf von rund 100 Planungsbereichen in Deutschland keine Möglichkeit mehr, sich als Hausarzt niederzulassen – darunter auch der Bereich Konstanz. „Natürlich könnten die Zahlen angepasst werden“, sagt Sonntag. „Aber das könnte nicht die KV machen, sondern nur der Landesausschuss, der sich zu gleichen Teilen aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen zusammensetzt.“

Die Begrenzungen bei der Zahl der Arztsitze sei ursprünglich von der Politik vorgegeben worden, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu begrenzen. „Eine Erhöhung der Zahlen hätte also gegebenenfalls höhere Kosten zur Folge. Und hinzu kommt, dass ja keineswegs zusätzliche Arztsitze auch zusätzliche Ärzte bedeuten. Denn es fehlen insgesamt Ärztinnen und Ärzte.“

Zehntausende Patienten in Konstanz

Etwa ein Drittel des medizinischen Personals geht nach Studium und Ausbildung wegen der schlechten Rahmenbedingungen gar nicht erst in die Patientenversorgung, sondern lieber in die Industrie, Pharmabranche oder ins Ausland, weiß Benjamin Kläsner, Facharzt für Nuklearmedizin am MVZ Konstanz.

Benjamin Kläsner
Benjamin Kläsner | Bild: Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz

Neun Fachrichtungen, darunter Chirurgie, Kinder- und Jugendmedizin, Neurologie, Kardiologie und Innere Medizin sind in Konstanz vertreten. Sie arbeiten interdisziplinär zusammen und ermöglichen „den schnellen fachlichen Austausch“. „Wir versorgen im Jahr 40.000 Patienten“, sagt Beringer.

Durch die Versorgungszentren ergebe sich für die medizinische Behandlung externes Kapital. „Das ist auf der einen Seite gut, weil Mittel in das System fließen“, sagt Sonntag. „Andererseits aber auch kritisch: Aus unserer Sicht trägt es zur Kommerzialisierung der Versorgung bei.“ Die Struktur sei dann nicht unbedingt transparent und nicht immer klar, welche Interessen dahinterstecken. Tatsächlich ist es möglich, dass Gewinn orientierte Interessenten eine Klinik kaufen und dort ein MVZ mit besonders einträglichen Fachbereichen einrichten, weiß Kläsner.

Auch Thomas Strohschneider, ehemaliger Chef einer privatwirtschaftlich geführten Klinik und Buchautor, ist skeptisch: In rein wirtschaftlich geführten Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung könnte die Entscheidung für oder gegen eine Therapie davon abhängen, wie viel Geld sie einbringt. Das Gesundheitswesen sollte deshalb auch künftig gemeinnützig organisiert sein, meint er. Das können auch kommunale Träger leisten. In Radolfzell hat der Gemeinderat allerdings die Einrichtung eines MVZ unter kommunaler Trägerschaft entgegen den ausdrücklichen Bürgerwunsch abgelehnt.

Konstanzer MVZ teilt Sorgen nicht

Die Sorge des Kassenärztlichen Verbands, dass bei großen MVZ zu viel Marktmacht entsteht und die Zentren unter Umständen kleine Arztpraxen verdrängen, teilt man in Konstanz nicht, wo die Spitalstiftung der Träger des MVZ ist. „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den niedergelassenen Ärzten und sprechen uns ab, wenn neue Plätze frei werden“, betont Beringer.

Die Schließung kleiner Kliniken im Rahmen der Krankenhausreform kann die Einrichtung von Versorgungszentren begünstigen. Wie in Stühlingen, wo ein MVZ eröffnete, nachdem das Krankenhaus dort geschlossen wurde.

In Bad Säckingen wurde das ehemalige Spital in einen Gesundheitscampus mit drei Gynäkologen und zwei Allgemeinmedizinerinnen umgewandelt. Davon verspricht man sich langfristig die Sicherung ärztlicher Versorgung. Die Zentren sind aber kein Ersatz für Krankenhäuser, betont Sonntag – auch wenn zur Entlastung der Kliniken immer mehr Operationen vom stationären in den ambulanten Bereich verlagert werden.

Zukunft der ambulanten Versorgung

Experten sehen in größeren medizinischen Versorgungseinheiten die Zukunft der ambulanten Gesundheitsversorgung. Der Vorteil aus Sicht der Patienten: kürzere Wartezeiten, weil genügend Ärzte da sind – im besten Fall auch gleich mehrerer Fachrichtungen, sodass bei einem Besuch gleich mehrere Vorsorgetermine wahrgenommen werden können.

„Und den Patienten ist es egal, wo der Arzt arbeitet“, ist Kläsner überzeugt. „Sie sind froh, wenn sie einen Termin bekommen.“ Zumal sich die Zahl der Arztbesuche bei den 45- bis 55-Jährigen verdoppele. Allerdings sorgt eine größere Anzahl an Medizinern auch für mehr Anonymität. „Aber was die Leute im Landkreis brauchen, das bekommen sie“, versichert Kläsner. „Der Patient steht im Fokus, das wird hier gelebt.“