Der Pressesprecher bei Opel ist besorgt. Ein bisschen gemein sei das ja schon, ausgerechnet einen kleinen Corsa stundenlang über die Autobahn jagen zu wollen. „Elektroautos sind dafür einfach nicht gemacht“, sagt er, stellt das Testfahrzeug aber dann doch bereit – verbunden mit dem dringenden Ratschlag, nicht schneller als 120 km/h zu fahren.
Minus-Alternative zum Tesla
Gemein zu sein ist nicht das Ziel dieses Autotests. Stattdessen soll er herausfinden, ob man in einem elektrischen Kleinwagen über längere Strecken verreisen kann. Keine Frage: Im Stadtverkehr sind die Stromer längst alltagstauglich. Doch auch E-Auto-Besitzer möchten irgendwann einmal die Oma am anderen Ende der Republik besuchen oder in den Urlaub fahren. Und nicht jeder hat 100.000 Euro für einen „Tesla Model S“ (Norm-Reichweite: 610 Kilometer) übrig. Daher die Frage: Geht‘s auch zwei Nummern kleiner?
Strecke 1: Deutschland-Fahrt
Hochpreisige Autos wie der Tesla machen es dem Fahrer einfach: Sobald man ein Ziel ins Navi eingibt, berechnet der Bordcomputer automatisch die passenden Ladestopps. Bei einem Kleinwagen muss man am PC einen Routenplaner für Elektroautos nutzen. In diesem Fall soll der 415 Kilometer lange Weg von Bonn nach Freiburg über die A3 und die A5 führen. Geplante Zwischenstopps: zwei.
Weil ein Stau gemeldet ist, empfiehlt das Corsa-Navi die Parallelstrecke über die A61 durch Hunsrück und Rheinpfalz. Ein Schreckmoment: Wird es dort unterwegs trotzdem genügend Ladestationen geben? Zum Glück stellt sich die Sorge als unbegründet heraus. Fast jede Raststätte auf dem Weg verfügt über Stromzapfsäulen, so auch die Station Hunsrück, die ich nach 130 Kilometern ansteuere. Zwar ist der Akku noch fast halbvoll, aber sicher ist sicher. Die Schnellladesäule, die vom Energieanbieter EnBW betrieben wird, harmoniert mit meiner Ladekarte. Einfach dranhalten, Kabel reinstecken, los! Nach 36 Minuten geht es weiter.
Wissen für die E-Langstrecke
Obwohl der Akku nur zu 80 Prozent aufgefüllt ist, steuere ich das 180 Kilometer entfernte Baden-Baden an – eine Herausforderung, die der Kleinwagen meistert. Allerdings befolge ich auch eisern das mir selbst auferlegte Tempolimit von 120 km/h. Bei höheren Geschwindigkeiten würde es mit solchen Distanzen knapp werden, weil der steil ansteigende Luftwiderstand den Akku leersaugt.
„Notaus-Schalter gedrückt“
Die Stromtankstelle bei Baden-Baden, diesmal von E.on, rührt sich nicht. „Da hat der letzte Kunde wohl den Notaus-Schalter gedrückt“, erklärt eine Hotline-Mitarbeiterin. „Wenn das passiert, muss ich das System neu starten.“ Die nächsten 35 Minuten verbringe ich damit, die Raststätte zu erkunden. Die Autobahnkirche St. Christophorus thront wie eine Pyramide inmitten von Bäumen. Im Raststätten-Shop liegen Zeitschriften aus, die das VW-Elektroauto „ID.3“ als „Volksstromer“ feiern – alles Dinge, die bei einem Fünf-Minuten-Stopp im Benzin-Auto nicht aufgefallen wären.
Am Nachmittag taucht „Freiburg“ auf dem Hinweisschild auf. Sechs Stunden hat die Fahrt gedauert, mindestens eine Stunde länger als im Verbrenner. Und doppelt so lange wie im ICE. Was die Batterien angeht, hat der Corsa tapfer durchgehalten. Die restlichen 25 Prozent reichen locker, um am nächsten Tag das Schwarzwald-Örtchen Kirchzarten anzusteuern. Dort steht, direkt neben einem Café, eine Schnellladesäule, die den Akku in einer Stunde wieder voll auflädt.
Strecke 2: Tour de France
Jetzt wird‘s ernst. Von Bonn aus geht‘s diesmal nach Boulogne-sur-Mer, eine Hafenstadt südlich von Calais in Nordfrankreich. Der Online-Routenplaner hat nur zwei Stopps für die 460 Kilometer lange Strecke vorgesehen. Das wäre wirklich gut. Alle zwei Stunden würde ich sowieso Pause machen.

Doch schnell läuft die Sache aus dem Ruder. Erst verpasse ich in Aachen die Raststätte. Dann wählt das Navi eine andere Route als die, die ich ausgedruckt habe – ohne dass ich es merke. Statt durch Belgien zu fahren, rollt der Corsa durch Holland. Nervosität! Was, wenn der Akku leer ist, bevor die nächste Stromtankstelle in Reichweite rückt? Die Ladesäulen-App würde helfen, doch bei 120 km/h bleibt das Handy lieber in der Ablage. Zum Glück zeigt auch das Navi alle verfügbaren Stationen in der Umgebung an. In dem Städtchen Geleen soll es Strom geben.
Der nächste Schock: Die erste Ladesäule existiert gar nicht. Die zweite liegt auf einem Hotelgelände – hinter einer Schranke. Also zurück auf die Autobahn. Mit 100 km/h und ausgeschalteter Klimaanlage steuere ich die nächste Schnellladestation an, die Raststätte Zolder in Belgien. Gerade rechtzeitig fließt die ersehnte Energie. Beim nächsten Stopp, der Raststätte Wetteren, gibt es keine Probleme: 30 Minuten und ein Nickerchen später geht die Reise weiter.
Böse Überraschung
Während die Sonne versinkt, vergehen die letzten Kilometer wie im Flug. Am Ziel kommt Freude auf: Direkt vor dem Hotel steht eine städtische Stromtankstelle. Schnell die passende App installieren, schon blinkt die Ladesäule grün. Doch schon der nächste Morgen startet mit einer bösen Überraschung: Die Batterie ist noch genauso voll (bzw. leer) wie vorher: 43 Kilometer Rest-Kapazität. Offenbar gab es ein Sprachproblem zwischen Säule und Auto. Stünde heute die Rückfahrt an, wäre das schlecht.
Zum Glück gibt es in Boulogne einen „Auchan“-Supermarkt, bei dem Kunden 30 Minuten kostenlos laden können. Das reicht zumindest, um es bei der Station am Hotel erneut zu versuchen. Und siehe da: Diesmal klappt‘s!

Beim Rückweg versuche ich jegliche Reich weiten-Angst über Bord zu werfen und wähle eine direkte Strecke mit nur zwei Zwischenstopps: einmal in Wetteren (192 km), einmal in Aachen (200 km). Wieder zeigt sich das bekannte Muster: Das Auto macht, was es soll, stattdessen hapert es an der Software. So ist in Deutschland abermals ein Anruf bei der Hotline nötig, bevor die Ladesäule anspringt.
Am Ende zeigt sich, dass trotz mancher Hürde eine Urlaubsfahrt im elektrischen Kleinwagen durchaus möglich ist – wenn man gut plant und einen kühlen Kopf behält. Und genügend Zeit mitbringt.