Nach einem kurzzeitigen Wintereinbruch herrscht auch im südlichen Baden-Württemberg endlich Frühling. Wer trotz Corona in den Schweizer Bergen unterwegs war, packt langsam Ski, Snowboard und Schneeschuhe in die Kiste. Für Schnee- und Lawinenforscher ist es Zeit für einen Rückblick auf die abgelaufene Wintersaison.

Der Bericht liest sich bedenklich: Die Gefahr in den Bergen war groß im vergangenen Halbjahr, es gab mehr Lawinen und mehr Opfer. Und sie ist noch nicht gebannt, es müsse auch in den kommenden Wochen noch mit größeren Abgängen gerechnet werden, teilt das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos mit.

27 Lawinentote

So verstarben zwischen Oktober 2020 und März 2021 insgesamt 27 Personen in Lawinen, ein Mensch gilt als vermisst. Laut SLF waren alle Wintersportler, die sich im ungesicherten Gelände aufhielten. Die Zahl liegt deutlich über dem 20-Jahres-Mittel von 18 Todesopfern.

In der letzten Februarwoche 2021 stieg die Gefahr von Nass- und Gleitschneelawinen noch einmal auf erheblich (Stufe 3) an. Vereinzelt ...
In der letzten Februarwoche 2021 stieg die Gefahr von Nass- und Gleitschneelawinen noch einmal auf erheblich (Stufe 3) an. Vereinzelt stießen nasse Lawinen bis ins Tal vor, wie hier im Val Laschadura (Kanton Graubünden), wo auch Holz und Steine mitgerissen wurden. | Bild: Mirjam Marty

Noch stärker macht sich die hohe Gefahr an der Zahl der insgesamt von Lawinen getroffenen Personen bemerkbar. Fast 300 waren es im Winterhalbjahr 2020/21, der Durchschnitt in diesem Jahrtausend liegt bei 177. Die bisher durch das SLF registrierten Sachschäden durch Lawinen liegt dagegen mit bisher nur leicht über dem Schnitt, wobei hier der endgültige Stand erst Ende September dieses Jahres vorliegt.

Es gibt auch gute Nachrichten

Trotz der auf den ersten Blick alarmierenden Statistik spricht Lawinenwarnerin Christine Pielmeier von einem „guten Zeichen“. Denn es würden „zwar mehr Menschen ins freie Gelände gehen, im Verhältnis dazu aber die Opferzahlen im langjährigen Durchschnitt nicht ansteigen“, erklärt die Forscherin am Telefon.

Die Geographin Christine Pielmeier ist Lawinenerwarnerin am Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung mit Sitz in Davos.
Die Geographin Christine Pielmeier ist Lawinenerwarnerin am Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung mit Sitz in Davos. | Bild: Kilian Kessler

Die Gründe seien vielfältig. „Verbesserungen bei den Lawinenverschütteten-Suchgeräten und bei der organisierten Rettung spielen hier eine wichtige Rolle“, sagt Pielmeier. Dazu macht die Expertin eine bessere Touren- und Lawinenausbildung aus, auch seien Ausrüstung und Kommunikationsmöglichkeiten inzwischen ausgefeilter.

Corona-Effekt ist nicht messbar

Eines vorweg: Ein Zusammenhang zu Corona und den Folgen auf den Reiseverkehr ist laut der Lawinenwarnerin unbekannt. Man könne nicht sagen, ob die Pandemie „einen Einfluss auf die Begehungszahlen und das Risikoverhalten von Wintersportlern hat“, sagt Pielmeier.

Ohnehin lässt sich nur schwer feststellen, wie viele Winter-Alpinisten sich ins freie Gelände aufmachen. Doch genau dort – und nicht etwa auf bewirtschafteten Pisten oder in Gebäuden – ereigneten sich die Unglücke im zurückliegenden Halbjahr. Winters wie sommers sind Begehungen der Berge auf eigenes Risiko und unter Beachtung des Naturschutzes erlaubt.

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Acht Todesopfer innerhalb von vier Tagen

Es gibt Erklärungen für die anhaltend hohe Lawinengefahr. Einerseits die Schneesituation. „In niedrigen und mittleren Höhen bis 2000 Meter war der Winter bislang überdurchschnittlich schneereich“, erklärt Pielmeier. Dies sorgte ab Dezember immer wieder für teils wochenlange kritische Phasen.

Trauriger Tiefpunkt war der Jahresbeginn, als sich allein zwischen 15. und 18. Januar insgesamt acht tödliche Unfälle in den Schweizer Bergen ereigneten. Christiane Pielmeier: „Da hatten wir über mehrere Tage Warnstufe 4 (große Lawinengefahr), an zwei Tagen auch Warnstufe 5 (sehr große Lawinengefahr).“

Vor allem der viele Neuschnee im Januar 2021, wie hier in Goeschenen (Kanton Uri), sorgte für hohe Lawinengefahr in der Schweiz.
Vor allem der viele Neuschnee im Januar 2021, wie hier in Goeschenen (Kanton Uri), sorgte für hohe Lawinengefahr in der Schweiz. | Bild: Urs Flueeler

Verstärkt wurde dies durch das sogenannte Altschnee-Problem. „Durch den Oktoberschnee und den trockenen November war der bodennahe Altschnee im Winter sehr schwach“, fasst sie zusammen.

Ist die höhere Lawinengefahr ein Trend?

Was bedeutet das für die Zukunft, erleben Lawinenforscher eine Tendenz hin zu gefährlicheren Jahren? Christine Pielmeier verneint das zumindest für dieses Jahrtausend klar: „Ähnliche Winter wie den aktuellen hat es schon gegeben, besonders die Unfallzahlen variieren von Jahr zu Jahr stark“, sagt sie.

Hierfür muss man nur auf den Vorjahreszeitraum blicken, als mit sieben Todesopfern der niedrigste Stand seit mehr als 50 Jahren vorlag. Dafür waren es zwei Jahre zuvor 27, wiederum ein Jahr früher glücklicherweise nur acht – die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

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